„Volksverdummung und Wählerfängerei“. Gegner des Bahnhofprojekts Stuttgart 21 sprechen bereits von neuen Groß-Demonstrationen.

Hamburg/Stuttgart. Mit der Wiederaufnahme der Bauarbeiten für das Bahnprojekt Stuttgart 21 gewinnt der Streit erneut an Schärfe: Bahn-Chef Rüdiger Grube warf den regierenden Grünen vor, sie hätten die Wähler getäuscht. Landes-Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) kritisierte Grubes Äußerungen am Mittwoch als „unangemessen“.

Grube sagte am Dienstagabend bei einer Veranstaltung in Hamburg, den Grünen in Baden-Württemberg sei vor der Landtagswahl bekannt gewesen, dass sie nicht aus den vereinbarten Verträgen für den unterirdischen Bahnhof herauskämen. „Alles andere, was sie gemacht haben, ist Volksverdummung und ist Wählerfängerei. Man hat nicht ehrlich mit den Wählern gesprochen“, kritisierte Grube.

Hermann hielt dagegen, die Bahn solle es unterlassen, der Politik Täuschung vorzuhalten, da sie bis heute nicht für Klarheit über die tatsächliche Entwicklung der Kosten für den Großbahnhof gesorgt habe. „Wer selbst im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen“, erklärte Hermann in Stuttgart. Frühere Schätzungen habe die Bahn immer wieder nach oben korrigieren müssen. „Es kann nicht sein, dass man zwischen drei öffentlichen Partnern stur an Verträgen festhält, wenn die Kosten für ein Großprojekt ins Uferlose steigen.“ Für solche Fälle müsse es Ausstiegsmöglichkeiten geben. Die grün-rote Landesregierung habe dafür ein Kostenlimit von 4,5 Milliarden Euro festgeschrieben.

Das Aktionsbündnis gegen das Bahnprojekt kündigte an, die Proteste in den nächsten Wochen zu verschärfen. Sollten die Bagger in diesem Sommer an den Südflügel des Hauptbahnhofs und die großen Bäume im Schlossgarten gehen, sei mit ähnlichen Demonstrationen wie im Herbst 2010 zu rechnen, sagte der Co-Sprecher des Bündnisses, Hannes Rockenbauch, in Stuttgart. Mit den am Dienstag wiederaufgenommenen Bauarbeiten rings um den Bahnhof riskiere die Bahn, das Vertrauen zu verspielen und den sozialen Frieden in der baden-württembergischen Landeshauptstadt zu verspielen. Für 9. Juli sei eine weitere Großdemonstration geplant.

Die Bahn will die Hauptarbeiten nach eigenen Angaben erst nach der Vorstellung des Belastungstests anrollen lassen. „Die ersten Baumaßnahmen am Technikgebäude beginnen erst am 18. Juli“, kündigte Projektsprecher Wolfgang Dietrich in Stuttgart. Davor stünden Vorbereitungsarbeiten. Im Bereich des ehemaligen Nordflügels werde nach Bomben aus dem Zweiten Weltkrieg gesucht. Um das Grundwasser in den Baugruben absenken zu können, müssten bis zu 17 Kilometer Rohre im Schlossgarten und den umliegenden Wohngebieten verlegt werden. Die Bahn hatte nach zweimonatigem Baustopp am Dienstag mit Unterstützung der Polizei mit Vorbereitungen an der Baustelle begonnen. Die Bahn und die grün-rote Landesregierung von Baden-Württemberg hatten sich Ende vergangener Woche nicht darauf einigen können, die Bauarbeiten bis Mitte Juli weiter ruhen zu lassen. Dann soll das Ergebnis des mit Hilfe des Schlichters Heiner Geißler vereinbarten Belastungstests für den Bahnhof vorgelegt werden. Damit soll simuliert werden, ob der neue Bahnhof in der Spitzenstunde 30 Prozent mehr Züge abfertigen kann als der bisherige Kopfbahnhof. Für einen Aufschub der Arbeiten hatte die Bahn 56 Millionen Euro pro Monat verlangt, die die Landesregierung nicht zahlen will.

Die Grünen unter Ministerpräsident Winfried Kretschmann lehnen das Projekt ab. Ihr Regierungspartner SPD befürwortet es dagegen. Die Entscheidung soll eine Volksabstimmung im Oktober bringen. Bis zum 15. Juli muss die Bahn nach eigenen Angaben aus Fristgründen bereits ausgeschriebene Aufträge für Tunnelstrecken in Höhe von 750 Millionen Euro vergeben. (rtr)

Bahnchef präsentiert Ergebnisse des Stresstests am 11. Juli

Bahnchef Rüdiger Grube will die Ergebnisse des Stresstests für das umstrittene Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 am 11. Juli den Projektpartnern übergeben. Einen entsprechenden Bericht des „Handelsblatts“ (Donnerstag) bestätigte Projektsprecher Wolfgang Dietrich am Mittwochabend der Nachrichtenagentur dpa in Stuttgart. Die Ergebnisse werden den Projektpartnern „vertraulich“ zur Verfügung gestellt, sagte Dietrich.

Am 14. Juli kommt es zur öffentlichen Präsentation, via TV: Die Ergebnisse sollen „unter der Moderation von Dr. Heiner Geißler“ wieder wie schon bei der Schlichtung zuvor erörtert und im Fernsehsender Phoenix übertragen werden, wie Grube weiter in einem der Zeitung vorliegenden Brief schreibt.

Die grün-rote Landesregierung fordert einen Baustopp bis zum Volksentscheid im Herbst. Den wiederum hatte die Bahn mit dem Hinweis abgelehnt, die Kosten dafür nicht tragen zu wollen. (dpa)