Die EU müsse laut Sabine Leutheusser- Schnarrenberger ihre eigene Richtlinie überarbeiten. Die EU drohe hingegen mit einem Verfahren.

Berlin. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger sieht sich durch eine neue Expertise der EU-Kommission in ihrer Kritik an der Massenspeicherung von Kommunikationsdaten bestätigt. „Offensichtlich sieht nun auch die Kommission: Die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung gehört auf den Prüfstand. Die derzeitige Rechtslage ist überarbeitungswürdig“, sagte die FDP-Politikerin am Sonnabend der Nachrichtenagentur Reuters. „Es wäre aberwitzig, wenn jetzt auf die Durchsetzung einer Richtlinie gedrungen würde, die ohnehin überarbeitet werden muss.“

Der „Spiegel“ berichtete dagegen unter Berufung auf ein EU-Dokument, die Kommission fordere von der Bundesregierung schnellstmöglich ein neues Gesetz zur Datenspeicherung. Andernfalls drohe Deutschland ein Verfahren wegen Verletzung des EU-Vertrags. In dem Prüfbericht kämen EU-Beamte zu dem Schluss, dass die Speicherung von Telefon- und Internetdaten ein „wertvolles Instrument“ und „integraler Bestandteil“ der Arbeit europäischer Strafverfolgungsbehörden sei. Zugleich hätten die EU-Beamten in der zugrundeliegenden EU-Richtlinie aber auch schwere Mängel entdeckt. So seien etwa kürzere Speicherfristen sowie eine Reduzierung der Datenarten und der zugriffsberechtigten Behörden zu erwägen.

„Es ist dringend geboten, dass die Richtlinie auf Grundlage der anstehenden Evaluierung überarbeitet wird,“ sagte dazu Leutheusser-Schnarrenberger. Besonders die Datenschutzstandards müssten gestärkt werden. Vorher könne die Richtlinie nicht umgesetzt werden. „Es wäre nicht vertretbar, dass die Unternehmen mit Investitionen in erheblichem Umfang belastet werden aufgrund einer Rechtslage, die derzeit schon überprüft wird.“

FDP-Generalsekretär Christian Lindner forderte am Sonntag, das „Quick-Freeze“-Verfahren müsse bei der Überarbeitung der EU-Richtlinie miteinbezogen werden. Es sei „eine gute Nachricht“, dass die Kommission eine grundlegende Überarbeitung in Angriff nehme. An die Adresse des Koalitionspartners in Berlin sagte Lindner: „Jetzt kommt es darauf an, in Ruhe Alternativmodelle zur anlasslosen Vorratsdatenspeicherung zu beraten. Ich warne die Union vor einem Schwarzen-Peter-Spiel. Ein konstruktiver Dialog ist überfällig.“

Die Vorratsdatenspeicherung ist seit Monaten ein Streitthema zwischen Union und FDP. CDU und CSU fordern, dass die Kommunikationsdaten aller Bürger auch ohne konkreten Verdacht für eine bestimmte Frist von den Telefon- und Internet-Anbietern gespeichert werden. Die Unionsparteien berufen sich dabei auf die Notwendigkeit zur Umsetzung der EU-Richtlinie.

Leutheusser-Schnarrenberger will die Kommunikationsdaten dagegen nur in konkreten Verdachtsfällen nachträglich einfrieren lassen. Ein Richter soll bei diesem „Quick-Freeze“-Verfahren entscheiden, ob die Daten entsperrt und verwendet werden dürfen. Ansonsten wären sie zu löschen. Für ihren Kurs hat die FDP-Politikerin die Unterstützung ihrer Partei. Der designierte Vorsitzende Philipp Rösler sagte der „Passauer Neuen Presse“, die FDP stelle sich zuverlässig Schritten zu einem Überwachungsstaat in den Weg. „Hin und wieder braucht die Union die liberale Stütze, wenn sie zwischen Sicherheit und Bürgerrechten aus der Balance gerät.“ Leutheusser-Schnarrenbergers hatte als Oppositionspolitikerin gegen die Vorratsdatenspeicherung Verfassungsbeschwerde eingelegt und von den Richtern im März 2010 in weiten Teilen recht bekommen.

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Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) will nach einem Zeitungsbericht die Befugnisse der Sicherheitsbehörden bei der Terrorbekämpfung ausweiten. Er strebe eine weitgehende Entfristung des sogenannten Terrorbekämpfungsergänzungsgesetzes an und wolle die Befugnisse der Nachrichtendienste in mehreren Punkten erweitern, berichtet die „Financial Times Deutschland“ unter Berufung auf einen ihr vorliegenden internen Vermerk des Bundesjustizministeriums. In einem Spitzengespräch beider Ministerien habe Friedrich am Mittwochabend seine Wünsche präzisiert. Demnach sollen Geheimdienste künftig leichter an Passagier- und Bankdaten herankommen.

Das Justizministerium wolle dies nicht akzeptieren. Derzeit müssen die Behörden die Daten eines Terrorverdächtigen bei einer Fluggesellschaft oder einer Bank einzeln erfragen. In Zukunft sollen sie auf die Passagierdaten über den sogenannten Amadeus-Code bei den Flugbuchungsstellen zugreifen können. Bei den Bankdaten könnte der Zugriff über die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) laufen. Außerdem will Friedrich Unternehmen mit Bußgeldern belegen, die die Datenauskunft verweigern. Die Bundesregierung muss in den kommenden Wochen über eine Verlängerung der Anti-Terror-Gesetze entscheiden.

Die rot-grüne Bundesregierung hatte die Gesetze als Reaktion auf die Anschläge des 11. September 2001 verabschiedet. „Bei den Terrorismusgesetzen müssen wir bewerten, wie oft wir sie in den vergangenen Jahren gebraucht und was sie wirklich gebracht haben“, sagte Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) der „FTD“. Manches sei nie oder nur einmal angewandt worden. Manche Maßnahmen seien „in jedem Fall unverhältnismäßig und verzichtbar“. Die FDP werde einer pauschalen Verlängerung nicht zustimmen. (reuters/afp/abendblatt.de)