Die vier großen Energiekonzerne stellten derweil ihre Zahlungen an den sogenannten Ökofonds zur Förderung erneuerbarer Energien ein.

Berlin,. Die schwarz-gelbe Bundesregierung rudert beim Thema Atomausstieg inzwischen zurück: Sie warnte am Wochenende vor einem Abschalten der Atomkraftwerke binnen weniger Jahre. Die vier großen Energiekonzerne stellten derweil ihre Zahlungen an den sogenannten Ökofonds zur Förderung erneuerbarer Energien ein, den die Regierung im Gegenzug zur Laufzeitverlängerung geschaffen hatte.

Die Bundesregierung hatte nach der Atomkatastrophe im japanischen Fukushima zunächst ein dreimonatiges Atomoratorium verhängt, während dessen die sieben ältesten deutschen Atomkraftwerke vom Netz bleiben müssen. In dieser Zeit will die Regierung die Risiken der Atomkraft neu überprüfen. Außerdem entbrannte eine Debatte über die Laufzeitverlängerung, mit der Schwarz-Gelb den rot-grünen Atomausstieg aufgeweicht hatte. Dieser sah einen Atomausstieg bis 2022 vor.

CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe nannte das von den Grünen geforderte neue Ausstiegsjahr 2017 „voreilig“. Der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ von Sonnabend sagte er, nach Japan müssten die Risiken der Kernkraft neu in den Blick genommen werden. „Das bedeutet aber nicht, dass wir Hals über Kopf aus der Kernenergie aussteigen.“

Auch FDP-Generalsekretär Christian Lindner hält einen schnellen vollständigen Atomausstieg nicht für machbar. „Unter dem Aspekt der Wirtschaftlichkeit, der Versorgungssicherheit und der Klimaverträglichkeit halte ich es für unrealistisch, 2022 das letzte Kernkraftwerk vom Netz zu nehmen“, sagte Lindner dem „Hamburger Abendblatt“ vom Samstag. Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) forderte in der „Bild am Sonntag“, Maßstab bei allen Entscheidungen müsse „eine sichere, für alle bezahlbare und klimaverträgliche Energieversorgung“ sein.

Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) forderte von der Koalition hingegen, sich von der Laufzeitverlängerung endgültig zu verabschieden. Union und FDP müssten „klar sagen: Wir korrigieren unsere Beschlüsse vom vergangenen Herbst“, sagte Röttgen der Zeitschrift „Super Illu“. Der Kurswechsel in der Energiepolitik müsse klar benannt und „auch wirklich vollzogen“ werden, um der Bundesregierung Glaubwürdigkeit zu verleihen.

Der Energieriese RWE begründete das Einstellen der Zahlungen an den Ökofonds damit, dass die Grundlage für die Zahlungen der Energiekonzerne durch das Moratorium entfallen sei. Das Geld überweise der Konzern daher zur Zeit auf ein „Sicherungskonto“. Auch Sprecher von Eon und Vattenfall bestätigten, kein Geld mehr an den Fonds zu überweisen. Das gleiche gilt laut „Spiegel“ für EnBW.

Die Bundesregierung nahm die Entscheidung der Akw-Betreiber „zur Kenntnis“, wie eine Sprecherin am Samstag sagte. Derzeit würden „die finanziellen Auswirkungen des Moratoriums“ geprüft. In den Ökofonds zum Ausbau erneuerbarer Energien soll ein Teil der zusätzlichen Gewinne fließen, die die Akw-Betreiber durch die Laufzeitverlängerung erwirtschaften.

Nach einem Bericht der „Süddeutschen Zeitung“ (Samstagsausgabe) verständigten sich das Bundesumwelt- und Wirtschaftsministerium derweil auf einen Sechs-Punkte-Plan zum Umbau der Stromversorgung auf erneuerbare Energien. Der Plan, über den Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) kommenden Freitag mit den Ministerpräsidenten beraten wolle, sehe etwa den schnelleren Ausbau der Stromnetze und mehr Geld für das Sanieren von Gebäuden vor.

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Gemeinsame Sicherheitsstandards für Atomkraftwerke wird es in der EU auch weiterhin nicht geben. Das EU-Parlament zeigte sich bei einer gestrigen Abstimmung tief zerstritten über die Frage, welche Konsequenzen die Staatengemeinschaft aus der Reaktor-Katastrophe im japanischen Kraftwerk Fukushima ziehen muss. Eine Einigung über die Verlagerung der bislang nationalen Zuständigkeiten für die Sicherheit der Kraftwerke auf die europäische Ebene kam nicht zustande. Anders als zuvor angestrebt, werden auch die sogenannten Stresstests für Atomkraftwerke weiterhin unverbindlich bleiben.

"Das EU-Parlament hat heute eine große Chance vertan", sagte der Vorsitzende des Energieausschusses im EU-Parlament, Herbert Reul (CDU), dem Abendblatt. "Wir hätten mit einer gemeinsamen Resolution einen riesigen Druck auf die EU-Mitgliedstaaten ausüben können, die geplanten Stresstests verbindlich durchzuführen und gegebenenfalls Konsequenzen zu ziehen." Bei dem letzten Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs Ende März hatte sich der Gipfel auf eine gemeinsame Sicherheitsüberprüfung aller 143 Reaktoren bis Ende des Jahres geeinigt. In Stresstests sollen die Meiler auf mögliche Risiken hin getestet werden - etwa durch Erdbeben, Hochwasser oder einen Terrorangriff. Allerdings: Die Sicherheitsüberprüfung der Kernkraftwerke obliegt allein den Nationalstaaten und steht deshalb auf tönernen Füßen. Ob sie die Tests auch tatsächlich durchführen oder irgendwelche Konsequenzen aus den Ergebnissen ziehen ist weiterhin ihre Angelegenheit.

"Wir brauchen höhere Sicherheitsstandards. Zudem müssen wir die Sicherheit von Kernkraftwerken auf einer europäischen Ebene regeln", forderte Reul. In diesem Ansinnen ist man sich im europäischen Parlament weitestgehend einig - gescheitert ist es jedoch an der Frage, ob die Forderung nach mehr Sicherheit auch mit einer europaweiten Ausstiegsperspektive aus der Atomenergie verknüpft wird.

Dafür plädieren vor allem die Grünen. Die Fraktionsvorsitzende der Partei im EU-Parlament, Rebecca Harms, sagte dem Abendblatt: "Wenn wir eine Sicherheitsüberprüfung in Form von Stresstests machen, dann muss sie Teil eines gesamteuropäischen Ausstiegsfahrplans sein. Diese Sichtweise hätten wir heute gern im Parlament verabschiedet." Es müsse festgelegt werden, dass die ältesten Meiler und die mit den meisten Störfällen oder jene in Erdbebenregionen zuerst abgeschaltet werden und dann ein Prozess für eine Abschaltung aller Kraftwerke eingeleitet werde. Die ehemalige Grünen-Fraktionschefin im Niedersächsischen Landtag betonte, ihre Partei werde die Anstrengungen für einen europaweiten Atomausstieg "jetzt erst recht forcieren." Der Streit spaltet jedoch nicht nur politische Lager, er geht auch quer durch die meisten Fraktionen. So sprechen sich vor allem viele deutsche Abgeordnete für einen progressiven Ausstieg aus - was bei den traditionell wenig atomkritischen Franzosen auf heftigen Widerstand stößt. Die Forderung nach einem Moratorium, das ebenfalls zur Debatte stand, geht vor allem Polen und Rumänen zu weit - schließlich wurde in diesen Ländern bereits der Bau neuer Meiler beschlossen.

Auch in Deutschland ging die Debatte um einen Atomausstieg weiter. Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) sagte, die vorläufig abgeschalteten acht ältesten Meiler würden für die Stromversorgung nicht benötigt. "Deutschland produziert auch nach der vorläufigen Abschaltung der sieben Kernkraftwerke genügend Strom, um sich selber versorgen zu können", sagte er der "Rheinischen Post". Der Chef des Parlamentskreises Mittelstand, Röttgens Parteifreund Michael Fuchs (CDU), sagte jedoch, er hoffe, "dass wir die als sicher erkannten Meiler nach der Denkphase wieder anschalten". SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier sagte, der Ausstieg müsse glaubwürdig sein. "Das ist er dann, wenn die vorsorglich vom Netz genommenen Atomkraftwerke auch dauerhaft abgeschaltet bleiben", so Steinmeier im "Handelsblatt".

Nach aktuellen Berechnungen der Umweltschutzorganisation Greenpeace ist der Atomausstieg bis 2015 möglich, ohne dass dadurch negative Folgen für die Sicherheit der Stromversorgung, den Klimaschutz oder die Energiekosten entstehen. Im aktuellen ARD-Deutschlandtrend gaben 86 Prozent der Befragten an, für einen vollständigen Atomausstieg bis spätestens um das Jahr 2020 zu sein.

(AFP/abendblatt.de)