Niedersachsens Ministerpräsident David McAllister spricht über die Konsequenzen aus dem CDU-Wahldesaster bei den Landtagswahlen.

Berlin. Nach dem enttäuschenden Wahlsonntag will die CDU nicht zur Tagesordnung übergehen. Der niedersächsische Ministerpräsident David McAllister verlangt eine gründliche Analyse der Niederlagen und stellt klar: Bei der Atompolitik wird es kaum ein Zurück zu dem erst im Herbst vereinbarten Energiekonzept der Koalition geben. Das Abendblatt traf den Regierungschef in der Berliner CDU-Zentrale - kurz nach der Wahlaussprache im Präsidium.

Hamburger Abendblatt: Herr Ministerpräsident, welche Lehren zieht die CDU im Norden aus den Landtagswahlen im Süden?

David McAllister: Der Verlust der Regierungsverantwortung in Baden-Württemberg ist sehr schmerzlich. Die beeindruckende Bilanz der bürgerlichen Koalition in Stuttgart wurde überdeckt von den Ereignissen in Japan und der Diskussion über die Energiepolitik.

Wer trägt die größere Verantwortung für das Scheitern im CDU-Stammland Baden-Württemberg? Mappus oder Merkel?

McAllister: Darum geht es nicht. Die CDU in Baden-Württemberg stellt sich neu auf - und hat gute Chancen, in fünf Jahren wieder die Regierungsverantwortung zu übernehmen. Die Entzauberung der Grünen wird nicht lange auf sich warten lassen. Auf Bundesebene gibt es in der Union keinen Anlass für personelle Konsequenzen.

Die CDU erreicht ihre Stammwähler nicht mehr. Das müsste die Parteivorsitzende doch alarmieren ...

McAllister: In den ländlichen Regionen hat die CDU ihr Ergebnis gehalten und sogar zugelegt. Einbrüche gab es in den städtischen Ballungszentren und Universitätsstädten. Damit müssen wir uns parteiintern befassen. Der Vollständigkeit halber: Die SPD hat in Rheinland-Pfalz zehn Prozent verloren und in Baden-Württemberg das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte erzielt.

Ist die Union noch konservativ genug?

McAllister: Wir sind nicht die deutschen Konservativen. Die CDU ist liberal, sozial und konservativ. Sie ist für konservative Wähler nach wie vor der erste Ansprechpartner. Es gibt in Deutschland nur noch eine Volkspartei: Das ist, wenn es auch immer anspruchsvoller wird, die Union. Wahlergebnisse um die 40 Prozent sollten unser Ziel bleiben.

Ist die CDU noch die Partei der Wirtschaft?

McAllister: Selbstverständlich. Beim Thema Wirtschaft und Arbeit haben wir in Umfragen die besten Kompetenzwerte. Das muss auch so bleiben, wenn wir uns als stärkste Partei behaupten wollen.

Fanden Sie die Wende der Bundesregierung in der Atompolitik überzeugend?

McAllister: In der Energiepolitik müssen wir jetzt besonnen die richtigen Entscheidungen treffen. Klar ist: Die Ereignisse in Japan sind eine Zäsur. Nach Fukushima kann die deutsche Energiepolitik nicht mehr dieselbe sein. Die energiepolitische Neuausrichtung in meiner Partei hat jedenfalls nichts mit den Wahlen zu tun. Denn die Wahlen waren vorgestern, das Thema bleibt.

Wirtschaftsminister Brüderle sieht das offensichtlich anders ...

McAllister: Die Aussage des Wirtschaftsministers war im Wahlkampf nicht hilfreich. Das haben die FDP-Ergebnisse in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz gezeigt. 80 Prozent der Deutschen sagen: Die politischen Konsequenzen, die Angela Merkel und die Bundesregierung nach der Katastrophe von Fukushima gezogen haben, sind richtig. Jetzt kommt es darauf an, Taten folgen zu lassen.

Welche?

McAllister: Unsere Energiepolitik muss drei Ziele erfüllen: Sicherheit, Bezahlbarkeit und ökologische Verträglichkeit. Wir werden die nächsten drei Monate intensiv nutzen, um die Energiepolitik in Deutschland neu auszurichten. Ich werbe für einen größeren politischen und gesellschaftlichen Konsens. Wir brauchen mehr Gemeinsamkeit in der deutschen Energiepolitik.

Was bedeutet das für die deutschen Kernkraftwerke?

McAllister: Die Deutschen eint, dass sie sich eine Energieversorgung ohne Kernenergie vorstellen können. Wir alle halten die Kernenergie für eine Brückentechnologie. Die Kürze und die Breite dieser Brücke werden jetzt neu zu diskutieren sein.

Wie sieht Ihr Diskussionsbeitrag aus?

McAllister: Ich bin der Auffassung: Wir sollten schneller auf die Kernenergie verzichten, als das bislang geplant ist. Ich bin für einen Atomausstieg mit Augenmaß. Jetzt gibt es zusätzliche Sicherheitsüberprüfungen: sowohl für die älteren Meiler, die vorläufig vom Netz gegangen sind, als auch für die jüngeren Meiler. Und in einem weiteren Schritt für die anderen kerntechnischen Anlagen und andere Einrichtungen. Als Norddeutscher sage ich: Die Zukunft gehört ganz besonders der Offshore-Windenergie. Sie ist die Jahrhundertchance für die deutsche Nordseeküste: von Emden über Brake, Bremerhaven, Cuxhaven bis Husum.

Muss auch die Endlagerfrage neu beantwortet werden?

McAllister: Ich werbe dafür, dass nicht nur die Meiler, sondern auch End- und Zwischenlager einer zusätzlichen Sicherheitsüberprüfung unterzogen werden. Das gilt für die Asse wie für Schacht Konrad. Davon unabhängig wird in Gorleben ergebnisoffen geprüft, ob sich der Salzstock für ein Endlager eignet. Spätestens dann, wenn sich Gorleben als ungeeignet erweist, muss die nationale Standortsuche von Neuem beginnen.

Was bleibt vom Energiekonzept der Bundesregierung?

McAllister: Das Energiekonzept hatte das Ziel, die Energieversorgung in Deutschland bis 2050 vorauszuplanen. Das war und ist richtig. Jetzt sollte das Konzept in Teilen überarbeitet und auf eine breitere Grundlage gestellt werden. Die Chancen, die sich jetzt bieten, sollten alle politisch Verantwortlichen nutzen.

Der einstige Fraktionsvorsitzende der Union, Friedrich Merz, kritisiert: Wer sich auf eine Panikwelle setzt, darf sich nicht wundern, wenn er davon überrollt wird.

McAllister: Der Kurs der Bundesregierung ist richtig. Ich stelle Herrn Merz und anderen die Gegenfrage: Was wäre denn die Alternative gewesen? Die Ereignisse in Japan ohne politische Konsequenzen einfach hinzunehmen? Das hätte niemand nachvollziehen können.

Frau Merkel hat Schwarz-Grün vor einigen Monaten zum Hirngespinst erklärt. Gilt das noch?

McAllister: Demokraten sollten untereinander immer koalitionsfähig sein. Mögliche Gesprächspartner der Union sind demnach FDP, SPD und Grüne. In Niedersachsen arbeiten wir seit acht Jahren vertrauensvoll mit der FDP zusammen. Mit der FDP haben wir deutlich die größte inhaltliche Schnittmenge.

Die Liberalen verabschieden sich gerade als Mehrheitsbeschaffer ...

McAllister: Die Wahlereignisse vom Sonntag müssen in der FDP sehr gründlich analysiert und aufgearbeitet werden. Wie die Union muss auch die FDP ihre parteiinternen Hausaufgaben machen.

Trauen Sie Guido Westerwelle zu, seine Partei wieder zum Erfolg zu führen?

McAllister: Das ist zunächst eine Angelegenheit der FDP, die ich nicht zu kommentieren habe. Ich gehe davon aus, dass Guido Westerwelle FDP-Bundesvorsitzender bleibt.