Die Nebenkläger verfolgten den Prozess gegen den ehemaligen KZ-Wächter John Demjanjuk im Landgericht München mit unterschiedlichen Emotionen.

München. So bange die Nebenkläger den Fall Demjanjuk verfolgt haben, am Ende geht es ihnen nur noch um eines: dass der 91-jährige Angeklagte verurteilt wird. Ob zu fünf Jahren, wie der Vorsitzende Richter Ralph Alt am Donnerstag vor dem Landgericht München II letztlich entscheidet, oder zu der Höchststrafe, wie einzelne von ihnen gefordert hatten, ist vielen von ihnen egal. "Was sind fünf Jahre? Das ist auch nicht so wichtig“, merkt etwa David van Huiden, einer der Nebenkläger, an.

Der Niederländer, selbst ein alter Mann, hat im Vernichtungslager Sobibór, in dem der gebürtige Ukrainer John Demjanjuk nach Überzeugung des Gerichts an der Ermordung von 28.060 Menschen Beihilfe geleistet hat, Vater, Mutter und Schwester verloren. "Ich wünsche niemandem, dass er nur ein Familienmitglied auf die Art und Weise verliert, wie ich meine“, sagt der 79-Jährige und kämpft wie schon zuvor im Gericht mit den Tränen. "Das ist einfach unbeschreiblich.“

"Heute ist es für mich vorbei“

Auch bei Jan Goedel, der in Sobibór insgesamt 30 Familienmitglieder, darunter seine Eltern und Großeltern verloren hat, überwiegt eine Empfindung: "Heute ist es für mich vorbei. Alles andere ist für mich egal. Er hat eine Strafe bekommen.“ Dass der ehemalige KZ-Wachmann das Gericht bis zum Vorliegen eines rechtskräftigen Urteils als freier Mann verlassen durfte, weil nach Ansicht von Richter Alt nicht zuletzt aufgrund seines hohen Alters keine Fluchtgefahr besteht, zählt für ihn nicht. "Das ist für mich egal.“

Demjanjuks Verteidiger Ulrich Busch hatte nach dem Urteil umgehend Revision eingelegt. Bis diese entschieden ist, könne es noch ein Jahr oder länger dauern, hieß es aus Justizkreisen. Ob Demjanjuk dann noch haftfähig ist, weiß niemand. Bis dahin ist Demjanjuk auf jeden Fall auf freiem Fuß. Ob die Anklageseite Revision einlegen wird, ließ Staatsanwalt Hans-Joachim Lutz zunächst offen. "70 Jahre nach seinen Taten ist es uns endlich gelungen, die Schuld des Angeklagten zu beweisen.“ Nun wolle man das Urteil erst einmal "wirken lassen“.

Tränen im Gerichtssaal

Neben der Verurteilung an sich rechnet Goedel dem Gericht vor allem eines hoch an: Er habe nicht damit gerechnet, dass der Richter noch einmal auf die mit den Nebenklägern verknüpften Schicksale einzeln hinweise. "Das kam sehr plötzlich.“ Wohl auch deshalb hätten viele so emotional reagiert. Fast alle von ihnen rangen während des Urteilsspruchs und vor allem während der Schilderung der im Vernichtungslager erlittenen Qualen mit den Tränen.

Denn, wie Alt in seiner Urteilsbegründung ausführte: Hinter den 28.060 Getöteten „stecken Einzelschicksale der Überlebenden“. In vielen anderen Fällen werde der Verlust eines nahen Angehörigen vielleicht durch andere Angehörige ersetzt, sagte Alt: "Hier starben Onkel, Tanten, Brüder, ganze Familien, die einen Menschen allein zurückgelassen haben.“

Demjanjuk dagegen blieb von den Emotionen im Gerichtssaal nach außen unberührt. Er präsentierte sich wie an den 92 Verhandlungstagen zuvor: ohne sichtbare Regung, die Augen hinter einer Sonnenbrille verborgen. Auf ein Schlusswort verzichtete er und blieb damit konsequent bei seiner Strategie des Schweigens. Lediglich über seinen Verteidiger Busch ließ er während des Prozesses seine Unschuld beteuern.

"Meinte er, dass er die Kammer unter Druck setzen kann?“

Im Prozess zu schweigen sei das Recht des Angeklagten, sagte auch Alt in seiner Urteilsbegründung. Eines aber empört den Richter bis zuletzt: Dass Demjanjuk mit einem Hungerstreik gedroht habe, sich aber vor aller Augen jeden Tag Essen aus der Kantine habe bringen lassen. Das habe den "Eindruck hinterlassen, als würde er sich über das Gericht lustig machen“, kritisiert Alt. "Meinte er wirklich, dass er die Kammer unter Druck setzen kann? Er verkennt offensichtlich die Verfassungsmäßigkeit der Gerichte.“

Für Nebenkläger Robert Fransmann ist die Sache auch so nicht vorbei. „Wenn man heute die Altenheime in München aufmacht, gibt es noch Hunderte Demjanjuks mit deutscher Staatsbürgerschaft.“ Doch die Zeit, etwaige weitere NS-Kriegsverbrecher zu ermitteln, wird, sieben Jahrzehnte nach Kriegsende, täglich knapper.