Vor seinem Anschlag auf Gabrielle Giffords ängstigte der 22-Jährige aus Arizona schon Lehrer und Studenten. Die Vita eines Sonderlings.

Tucson/Washington. Jared Lee Loughner sei schon in der Mountain View High School ein bisschen „komisch“ gewesen, erinnern sich damalige Mitschüler. Auch Anzeichen von Drogenmissbrauch habe es gegeben. Aber der schlanke dunkelhaarige Junge sei damals „immer noch ganz nett“ und zugänglich gewesen, spielte zum Beispiel auch in einer Schul-Jazzband mit. Später habe er eine Freundin gehabt, sich mit ihr zunehmend abgekapselt, schildert ein Freund aus Loughners Kindheit. Nach dem Ende der Beziehung schien Loughner „zunehmend verstört“, berichtet der Freund weiter. Loughner habe angefangen, „merkwürdige Geschichten zu erzählen, bei denen man sich fragte, wovon redest du eigentlich?“

Heute, nach Loughners Anschlag auf die US-Kongressabgeordnete Gabrielle Giffords und dem Blutbad mit sechs Toten in Tucson (Arizona), weiß man: Das war nur der Anfang, danach begann ein rapider Verfall. Studenten und Lehrer der Algebra-Klasse am Pima Community College zeichnen rückblickend das Bild eines jungen Mannes mit immer stärkeren Anzeichen von geistiger Instabilität und Verwirrung – so sehr, dass man sich geradezu vor ihm fürchtete.

Da wird etwa vom Vorfall am ersten Tag des neuen Schuljahres im vergangenen Juni berichtet. College-Lehrer Ben McGahee stellte eine simple Frage – und war völlig überrascht von der heftigen Reaktion. „Wie kannst du Mathematik verleugnen anstatt sie zu akzeptieren?“ habe ihn Loughner attackiert. McGahee alarmierte daraufhin die Schulleitung, die einen Campus-Sicherheitsbeamten ins Klassenzimmer schickte.

Aber Loughners bizarres Verhalten – von hysterischem Gelächter bis hin zu aggressiv wirren Ausbrüchen – hielt an, wurde teils noch schlimmer, schildern der Lehrer und Mitstudenten. So habe er bei Klassenarbeiten oft auch völlig unverständliche Antworten geschrieben, etwa: „Esse+Schlafe+Putze die Zähne=Mathe.“

„Ich habe mir Sorgen um die Sicherheit meiner Schule und der Schüler gemacht“, sagt McGahee in der „New York Times“. Beim Schreiben an der Tafel habe er Loughner immer aus dem Augenwinkel im Visier behalten – aus Furcht, er könne etwas tun. „Ich hatte Angst, er könnte eine Waffe ziehen.“

Nicht nur er. Studentin Lynda Sorenson erzählt, dass sie von Anfang an beunruhigt wegen Loughner war. Er habe mit einem verrückten Grinsen in der Klasse gesessen und sei wiederholt auf dem Schulhof im Kreis herumgegangen, „immer und immer wieder“. Sie habe Angst gehabt, dass Loughner gewalttätig werden könne, schrieb Sorenson seinerzeit in einer E-Mail. „Ich hoffe, dass er bald aus der Klasse ist und nicht mit einer automatischen Waffe zurückkommt.“

Die Schulleitung handelte schließlich, nachdem Mitarbeiter am 29. September auf ein YouTube-Video stießen, in dem Loughner das College als „verfassungswidrig“ bezeichnete. Mittlerweile weiß man, dass es noch eine Serie anderer Videos gab, mit bizarrem und oft unsinnigem Geschwafel über Bewusstseinskontrolle, Grammatik und Missbrauch seitens der Regierung.

Wann Loughner Besessenheit von Gabrielle Giffords anfing, wird wohl vorerst unklar bleiben. Fest steht, dass er sie 2007 bei einer kleinen Bürgerversammlung traf und am Tag danach seinem damaligen Freund Alex Montanaro davon erzählte. Demnach fragte Loughner Giffords so etwas wie „Warum bedeuten Worte, was sie bedeuten?“ Loughner sei ärgerlich gewesen, dass ihm die Politikerin nicht die Antwort gegeben habe, die er erhofft habe, schildert Montanaro in der „Washington Post“.

Danach habe Loughner nur selten über Giffords gesprochen. „Es war nicht so eine Sache, von der ich dachte, dass sie (später) eine bedeutende Geschichte wird“, sagt Montanaro. Er irrte sich gründlich.

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Nach dem Attentat auf eine Kongressabgeordnete im US-Staat Arizona hat die Staatsanwaltschaft Anklage gegen den mutmaßlichen Schützen in fünf Punkten erhoben. Der 22-Jährige muss sich wegen Mordversuchs an der Politikerin Gabrielle Giffords verantworten, außerdem wegen Tötung und versuchter Tötung von Bundesbediensteten. Der offenbar psychisch labile Mann wurde nach dem Blutbad vor einem Einkaufszentrum in Tucson festgenommen, wo sechs Menschen getötet und 14 weitere verletzt wurden.

Aus Gerichtsunterlagen geht hervor, dass der Verdächtige Jared L. bereits in der Vergangenheit Kontakt zur Kongressabgeordneten Giffords hatte, der während eines Bürgertreffens aus kurzer Entfernung in den Kopf geschossen wurde. Ein Beweis dafür sei ein an L. adressiertes Schreiben, das auf offiziellem Briefpapier der Politikerin verfasst worden sei, hieß es. In dem Brief bedanke sich Giffords bei dem Verdächtigen für dessen Teilnahme an einer ihrer Kundgebungen in Tucson im Jahr 2007. Bei der Durchsuchung des Hauses des Verdächtigen fanden die Ermittler zudem einen Brief in einem Safe, in dem Sätze wie „Ich habe voraus geplant“ und „Mein Attentat“ zu lesen gewesen seien. Neben dem Namen Giffords’ habe in dem Brief die Unterschrift des Verdächtigen gestanden, erklärten die Ermittler. Die beim Blutbad vor dem Einkaufszentrum verwendete Waffe soll der 22-Jährige im November gekauft haben.

Über das Motiv des mutmaßlichen Täters war weiterhin nichts bekannt. Die örtliche Behörden gingen aber einer möglichen Verbindung des Verdächtigen zu einer Online-Gruppe nach, die für regierungsfeindliche Rhetorik bekannt sei, hieß es aus Ermittlerkreisen.

Ein zweiter Mann, der zusammen mit L. in der Nähe des Tatorts gesehen und von den Ermittlern als möglicher Komplize gesucht wurde, wurde von der Polizei entlastet. Es handele sich um einen Taxifahrer, der den 22-Jährigen gefahren und offenbar kein Geld dafür bekommen habe.

Unterdessen zeigten sich die Ärzte Giffords’ optimistisch, dass die demokratische Politikerin überlebe. Sie reagierte nach einer Operation auf die Ansprache der Ärzte und wurde später in ein künstliches Koma versetzt. In der Synagoge Giffords’ in Tucson fanden sich am Sonntag Trauernde ein, um für eine schnelle Genesung der Politikerin zu beten. US-Präsident Barack Obama rief für Montag zu einer landesweiten Schweigeminute zu Ehren der Opfer des Anschlags in Arizona auf. Er ordnete zudem an, dass die Flaggen im Land auf halbmast gesetzt würden.

Unter den sechs Getöteten waren nach Behördenangaben ein neunjähriges Mädchen, der wichtigste Bundesrichter des Staates Arizona sowie ein Mitarbeiter Giffords, der das Attentat offenbar galt. Das Mädchen Christina war nach Medienberichten am 11. September 2001 geboren worden, dem Tag der verheerenden Terroranschläge in den USA. Fünf der 13 Verletzten waren nach Krankenhausangaben in kritischem Zustand. Sheriff Clarence Dupnik erklärte, das Blutbad habe erst geendet, als der Täter von drei Personen überwältigt werden konnte.

Obama nannte den Anschlag eine „Tragödie für das gesamte Land“. Ermittler sehen die Bluttat vor dem Hintergrund einer zunehmend „hasserfüllten politischen Rhetorik“ in den USA. Gifford hatte sich vor allem wegen ihrer Unterstützung für die Gesundheitsreform bei den Republikanern Feinde gemacht und die Wahl im November knapp gegen einen von der erzkonservativen Tea Party unterstützten Republikaner gewonnen.