Zitate wie dieses der Republikanerin zeigen, wie sehr Amerikas politische Debatte vergiftet ist. Jetzt beklagen alle die sechs Toten von Arizona.

Während Gabrielle Giffords nach einer Operation in einem Krankenhaus in Tucson um ihr Leben rang, brandete eine Welle der Entrüstung von Amerikas Politikern über die Kabelsender. In seltsamer Einmütigkeit verurteilten Präsident Barack Obama und Sarah Palin, die Gallionsfigur der Tea Party, die Mordtat als "sinnlos". So als gäbe es sinnvolle Gewalt gegen eine Abgeordnete des amerikanischen Kongresses.

Wortgleich mit Obama entsetzte sich John Boehner, Mehrheitsführer der Republikaner im US-Repräsentantenhaus, über Gewalttaten, "die keinen Platz haben in unserer Gesellschaft". Nancy Pelosi, die Fraktionschefin der Demokraten, rühmte die "brillante, mutige" Abgeordnete Giffords, die niedergeschossen wurde, als sie ihren Wählern mit "Hingabe und Auszeichnung" diente. Es gab so viel Lob, dass es peinlich an Nachrufe erinnerte.

Einem einfachen Sheriff blieb es vorbehalten, an die "vergiftete Rhetorik" im politischen Streitklima Amerikas und besonders in Arizona, (wegen seiner radikalen Anti-Immigranten-Gesetze) ein "Mekka für Vorurteil und Heuchelei", zu erinnern. Sheriff Clarence Dupnik deutete an, dass halb spielerische Gewaltaufrufe von Tea-Party-Aktivisten und Westernhelden-Sprüche von Sarah Palin ("Nicht nachgeben, nachladen!") gestörte Menschen zu Tätern machen könnten. Ob seine Tochter Feinde habe, wurde der erschütterte Vater von Gabrielle Giffords gefragt: "Ja, die gesamte Tea Party."

Noch weiß niemand, ob der Schütze Jared Lee Loughner, 22, allein gehandelt hat, als er am Sonnabendvormittag (Ortszeit) auf einer Kundgebung Giffords vor einem Einkaufszentrum in Tucson (Arizona) der Abgeordneten plötzlich aus nächster Nähe eine Kugel durch den Kopf schoss, dann wild in die Menge feuerte, sechs Menschen - darunter ein neunjähriges Mädchen und den Bundesrichter John Roll - tötete und zwölf weitere verletzte, ehe er von Passanten an der Flucht gehindert wurde. Giffords erwachte gestern Abend aus dem Koma und habe auf Ansprache reagiert, sagte einer der Ärzte. Welche Schäden sie davontragen werde, sei aber noch völlig ungewiss.

Die Ermittler glauben, dass es mindestens einen Mittäter, einen Mann mittleren Alters, gegeben hat. Die Polizei veröffentlichte ein Fahndungsfoto des mutmaßlichen Helfers - er sei weiß, zwischen 40 und 45 Jahre alt und habe schwarzes Haar. Aus den wirren Internet-Blogs Loughners, der Hitlers "Mein Kampf" und Karl Marx' "Kommunistisches Manifest" als Lieblingslektüre neben Orwell, Hesse, Äsop und Plato auswies, rasche Schlüsse zu ziehen, wäre verwegen. Der College-Abbrecher mit einer Vorgeschichte von gewaltsamem Aufruhr auf dem Campus verfasste wirre Anti-Regierungs-Propaganda und nannte Schulen einen Verfassungsbruch. Am 30. Dezember notierte der spätere Amokläufer: "Lieber Leser, ich suche ... mit jeder weiteren Beschwerde wird mein Schuss nun sein Ziel finden. Die Jagd ist mein beherrschender Gedanke." Auf einer MySpace-Seite des mutmaßlichen Täters, die am Sonnabend von den Ermittlern untersucht wurde, heißt es: "Auf Wiedersehen, meine Freunde. Bitte seid mir nicht böse." Vor einigen Wochen wurde zudem ein Video auf YouTube veröffentlicht, in dem Jared Loughner unter anderem die hohe Analphabetenrate im Kongressbezirk Giffords kritisiert.

Es scheint beinahe überflüssig zu erwähnen, dass die Tatwaffe, eine 0.9 Millimeter Halbautomatische Glock mit verlängertem Magazin, nach ersten Erkenntnissen legal erworben wurde. In Arizona steht es den Bürgern frei, Waffen offen in Bars, politischen Versammlungen und Kirchen zu tragen.

Jedes kritische Wort über die geschätzten 200 Millionen Schusswaffen in den Händen von 300 Millionen Amerikanern, Säuglinge und Greise eingerechnet, ist tausendfach geschrieben. Und müßig. An dem zweiten Verfassungszusatz (Amendment), der den Besitz und das Tragen von Waffen garantiert, ist nicht zu rütteln. Wenn auf Tea-Party-Kundgebungen "Second Amendment remedies", also bewaffnete Remeduren durch eine Rebellion gegen Washington, propagiert werden, ist das amerikanischer Alltag. Im Western nichts Neues, gewissermaßen. Das Entsetzen über Bluttaten, die nur mit automatischen Waffen so viele Opfer fordern können, ist heuchlerisch unter Waffenbrüdern, die auch Kalaschnikows als Jagdwaffen für Wild verteidigen. Nun sind sechs Menschen erschossen worden. Es wird schon darüber gesprochen, dass dem Täter allein wegen der Ermordung eines Bundesrichters die Todesstrafe droht.

Über die "Feuer-frei"-Rhetorik von Sarah Palin und ihren Unterlingen reden nur wenige, die als bekennende Linksliberale außerhalb des Mainstream stehen. Dazu zählen die Redakteure des Internet-Magazins "Huffington Post". Sie fanden ein Fernsehinterview von Gabrielle Giffords mit dem Kabelsender MSNBC. Es entstand im März 2010 in den Hallen des Kongresses kurz nach einem vandalistischen Anschlag auf das Wahlbüro Giffords in Tucson, bei dem die Schaufensterscheibe zu Bruch ging. Die als gemäßigte Demokratin in einem konservativen Wahlkreis bekannte Politikerin hatte es gewagt, sich nach langem Zögern für Präsident Obamas Gesundheitsreform auszusprechen. In dem Interview beklagt Giffords eine notorische Facebook-Webseite Sarah Palins, die auf einer US-Landkarte 20 Wahlbezirke von politischen Gegnern regelrecht zum Abschuss freigibt: Sie liegen im Fadenkreuz eines Zielfernrohrs.

Natürlich könnten nur Böswillige darin ein Spiel mit Gewaltfantasien ihrer Bewunderer erkennen. In dem TV-Interview beschreibt Giffords die Grafik Palins anschaulich: mit zwei gekreuzten Zeigefingern. Selten hat eine Politikerin nichts ahnend ihr Schicksal auf solch akurate Weise beschrieben.

Gewöhnliche Kongressabgeordnete genießen, anders als die Führer beider Kammern, keinen Personenschutz; es sei denn, es liegen konkrete Drohungen vor. Dies war nach Auskunft eines Mitarbeiters von Gabrielle Giffords nicht der Fall. Es wird nun eine Debatte anheben, ob die Abgeordneten und Senatoren des US-Parlaments sich noch mehr verbarrikadieren und mit Leibwächtern umgeben sollen. Noch vor 30 Jahren konnten Bürger unkontrolliert im Kapitol zu Washington ihre Abgeordneten aufsuchen, es war ein Haus des Volkes. Dann explodierte 1983 eine Bombe vor dem Senatseingang und die Kontrollen begannen. Nach einem tödlichen Anschlag auf zwei Polizisten der U.S. Capitol Police wurden Absperrungen um das Parlamentsgebäude errichtet und Metalldetektoren eingeführt. Seit "9/11" ist der Kongress eine von mehreren Sicherheitsgürteln umgebene Festung. Offene Bürgertreffs, Passantenversammlungen ohne Personenkontrolle, wie Giffords sie regelmäßig auf den Straßen von Tucson organisierte, könnten der neuen Angst vor Attentaten geopfert werden.

Viele Kommentatoren, angefangen von Barack Obama, hatten am Sonnabend nach den ersten falschen Meldungen vom Tod der Abgeordneten Mühe, nicht in der Vergangenheitsform über sie zu sprechen. Nicht einmal dem rhetorisch sicheren Präsidenten gelang es fehlerfrei, die Neigung zur Trauer um eine Ermordete zu zügeln: "Gabby Giffords war eine Freundin von mir." (Obama hält inne, als er den Fehler bemerkt). "Sie ist nicht nur eine außergewöhnliche Staatsdienerin, sie ist auch jemand, der warm und mitfühlend ist." John McCain, einer der beiden Senatoren für Arizona, ging in seiner entsetzten Verdammung der Tat am Weitesten: "Wer immer dies getan hat, was immer die Gründe waren, ist eine Schande für Arizona, für diese Nation und die menschliche Rasse. Und er verdient und erhält die Verachtung aller anständigen Menschen und die strengste Bestrafung durch das Gesetz."

Daniel Hernandez, erst fünf Tage im Team von Giffords, hat ihr womöglich das Leben gerettet. Der junge Mann und ausgebildete Sanitäter stand zehn Meter von der Abgeordneten entfernt, als die Schüsse fielen. Er nahm den Puls der niedergeschossenen Menschen und presste seine Hand auf die Stirnwunde Giffords, die er für die Eintrittswunde hielt. Er zog die Frau, die still, aber bei Bewusstsein war, in seinem Schoß so weit hoch, dass sie nicht an Blut im Rachen ersticken konnte. Bis zum Eintreffen der Notärzte hielt er den improvisierten Pressverband. Noch im Krankenwagen umfasste er ihre Hand. Hernandez berichtete, Giffords habe den Händedruck erwidert.