Die bayerisch-tschechischen Beziehungen entspannen sich. In Seehofers Tross reist ein Funktionär der Sudetendeutschen mit.

Prag. Historische Premiere für Horst Seehofer: Beim ersten Besuch eines bayerischen Ministerpräsidenten in der Tschechischen Republik ist der Regierungschef am Montag mit Premier Petr Necas zu einem Meinungsaustausch zusammengekommen. Von seinem Besuch in Prag erhofft sich Seehofer den Beginn einer „neuen Epoche“ in den bayerisch-tschechischen Beziehungen. Sie gelten durch den Streit über die Vertreibung der etwa drei Millionen Sudetendeutschen nach dem Zweiten Weltkrieg als belastet.

Inwieweit bei dem Treffen mit Necas auch die bayerisch-tschechischen Streitfragen eine Rolle spielen werden, war zunächst unklar. Die Sudetendeutschen gelten als wichtige CSU-Klientel. Der oberste Repräsentant der Sudetendeutschen, Bernd Posselt, der Seehofers Delegation angehört, sollte an dem Treffen der Regierungschefs nicht teilnehmen.

Beobachter sprechen gar vom Ende der politischen Eiszeit zwischen Bayern und Tschechien. Seehofer will auch das Sudetendeutsche Büro in Prag besichtigen. Weitere Programmpunkte sind ein Besuch der Jüdischen Gemeinde und ein Gespräch mit dem Prager Erzbischof Dominik Duka. Am Vorabend hatte bereits der tschechische Außenminister Karel Schwarzenberg die bayerische Delegation zu einem Abendessen geladen, das nach Angaben eines Seehofer-Sprechers in sehr freundschaftlicher Atmosphäre verlief. Sowohl Schwarzenberg als auch Seehofer betonten den Willen, die Brüche der Vergangenheit zu überwinden und den Blick in die Zukunft zu richten.

Umstritten zwischen Bayern und Tschechen sind die sogenannten Benes-Dekrete. Sie schufen die Voraussetzung für die 1945 von den Alliierten im Potsdamer Abkommen gebilligte Ausweisung der deutschen Minderheit aus der damaligen Tschechoslowakei. Damit sollten die Sudetendeutschen für ihre angebliche Unterstützung der deutschen Nationalsozialisten bestraft werden. Die vom früheren tschechoslowakischen Präsidenten Edvard Benes (1884-1948) zum Teil im Londoner Exil erlassenen Dekrete dienten Behörden und vielen Bürgern als Freibrief für einen Rachefeldzug und gehören zu den umstrittensten europäischen Rechtsakten.

Die Vertreibung selbst kommt nicht in den Dekreten vor. In ihnen ist stattdessen von der Bestrafung der „Landesverräter“ die Rede. Jedoch wurden nach dem 8. Mai 1945 generell Mitglieder der deutschen Minderheit abgeschoben, darunter auch Antifaschisten und sogar deutschsprachige Juden. Viele Vertriebene ließen sich in Bayern nieder. Auch die vorwiegend in der Slowakei lebende ungarische Minderheit wurde ihrer politischen Rechte und wirtschaftlichen Lebensgrundlage beraubt.

Nach dem Zerfall des Ostblocks und der Gründung der Tschechischen Republik belastete die Auseinandersetzung um die Benes-Dekrete und ihre Folgen das deutsch-tschechische Verhältnis. Erst die Deutsch-Tschechische Erklärung von 1997 konnte die Spannungen ausräumen. Darin erkennen beide Seiten ihre Verantwortung an.