Nach Abzug der US-Truppen droht der Irak ins Chaos abzurutschen. Sicherheitsbehörde entwickelt sich zur Folter-Industrie.

Hamburg. Viel Zeit haben die Behörden Iraks nicht verloren, um unmissverständlich klarzumachen, wer jetzt das Sagen im Land hat. Seit dem Abzug der letzten amerikanischen Kampftruppen Ende des vergangenen Jahres haben die Behörden mehrere Hundert Angehörige ausländischer Sicherheitsdienste vorübergehend festgesetzt und viele des Landes verwiesen. Darunter waren amerikanische Spezialisten, die zur Bewachung der US-Botschaft in Bagdad angestellt waren. Die vorgeschoben wirkenden Vorwürfe lauteten meist: unvollständige Papiere.

Der frühere Minister Latif Rashid, Berater von Staatspräsident Jalal Talabani, sagte der "New York Times" ganz offen: "Wir machen jetzt unsere eigenen Regeln." Allein die US-Botschaft mit ihren 11 000 Mitarbeitern beschäftigt noch 5000 Sicherheitsexperten, Zehntausende sind es im ganzen Irak - vor allem in der Ölindustrie. Bereits während des US-Abzugs hatte der Sohn des irakischen Ministerpräsidenten Nuri al-Maliki damit begonnen, US-Firmen aus der Grünen Zone in Bagdad zu drängen.

Der 32-jährige Alex Antiohos, ein früheres Mitglied der US-Eliteeinheit Green Berets, berichtete, er und seine Kollegen seien in einem irakischen Militärlager festgesetzt worden, hätten insektenverseuchtes Essen bekommen und in Gefängniszellen schlafen müssen. Ein irakischer General habe sie regelmäßig verbal bedroht. "Ich habe manchmal um mein Leben gefürchtet", sagte Antiohos. Die Festsetzungen der Ausländer reichten von wenigen Stunden bis zu drei Wochen.

Ausländische Sicherheitsfirmen haben im Irak einen miserablen Ruf - spätestens seit dem Massaker auf dem Nissur-Platz in Bagdad, bei dem Blackwater-Söldner am 16. September 2007 unprovoziert 17 Zivilisten erschossen.

Offenbar will Maliki nun seine Macht absichern und die im Land tätigen Sicherheitsdienste unter seine Kontrolle bringen. Der republikanische Kongressabgeordnete Peter T. King sagte, zum Teil gingen die Maßnahmen der Regierung aber auch auf Machtkämpfe zwischen den einzelnen irakischen Ministerien zurück. Indessen erschüttern Anschläge und Attentate das Land - gestern starben im Westen Iraks fünf Polizisten bei einem Angriff mutmaßlich sunnitischer Extremisten.

+++ Wieder mehrere Tote bei Selbstmordanschlag in Bagdad +++
+++ Willkommen in einer ungewissen Zukunft +++

In mehreren Artikeln zeichnete die Londoner Qualitätszeitung "The Guardian" ein düsteres Bild des Irak nach dem Abzug der US-Truppen. Das Land vereinige sich nun keineswegs hinter der von den USA geförderten Regierung von Ministerpräsident Maliki, sondern rutsche immer mehr ins Chaos ab. Der Nationalstaat, der zur Modelldemokratie werden sollte, falle allmählich auseinander. Ein Indiz für das aufflammende Sektierertum ist auch der Feldzug des glühenden Schiiten Maliki gegen den sunnitischen Vizepräsidenten Tarik al-Haschemi, den er per Haftbefehl wegen angeblicher Terrorpläne suchen lässt. Haschemi ist in das autonome Kurdengebiet geflohen. Unter dem früheren Diktator Saddam Hussein hatten die Sunniten die Bevölkerungsmehrheit der Schiiten unterdrückt.

Reporter des "Guardian" berichteten, im Irak habe sich eine verstörende Kultur der Korruption und Gewalt ausgebreitet. Willkürlich würden Bürger von den Behörden inhaftiert und auf bestialische Weise gefoltert, um von der Familie hohe Summen zu erpressen. Mit diesem Geld kauften sich Beamte dann höhere Posten und holten die Summe durch neue Entführungen wieder herein. Dieses System sei zu einer veritablen Industrie herangewachsen. Die britische Zeitung sprach mit 14 ehemaligen Häftlingen und fünf Beamten.

Sie berichteten, die unschuldig eingesperrten Bürger würden oft tagelang mit Ketten an den Händen aufgehängt und über viele Stunden mit Stromkabeln geschlagen. "Wir hängen sie auf und schlagen sie, bis sie nur noch reglose Körper sind", sagte ein Folterer namens Rafic dem "Guardian" ungerührt. "Dann gestehen sie."

Auch wird Stromfolter eingesetzt und werden Fingernägel herausgerissen. Ergibt das auf diese Weise erpresste "Geständnis" zum Beispiel ein Todesurteil, so können Verwandte den Häftling freikaufen; die Geständnisse werden von den Beamten dann kurzerhand geändert.

Nicht wenige, bei deren Familie man noch mehr Geld vermutet, werden danach aber gleich wieder verhaftet. Rafic erzählte, dass die Familie die Quälerei reduzieren könne, sofern sie für eine bessere Behandlung des Häftlings bezahle. Nach und nach wird die Familie oft um ihr gesamtes Geld gebracht, verkauft die letzten Möbel und nimmt Kredite auf. In manchen Fällen behalten die Folterer ihre Gefangenen noch lange in ihrer Gewalt, obwohl ein Richter längst die Freilassung angeordnet hat. Wer sich beschwert, wird ermordet.

"Die Korruption hat den Kopf des Landes erreicht", gab ein Beamter zu. "Von oben bis unten ist jeder verrottet."