Der Andrang an den Universitäten überlastet die Ämter. FDP fordert Neuausrichtung des Systems. Studenten warten auf BAföG.

Berlin. Es sind Zehntausende Studenten, die seit Anfang Oktober vor allem eines lernen müssen: warten. Denn die Rekordzahlen, die die deutschen Unis zum Start des jüngsten Wintersemesters aufgrund doppelter Abiturjahrgänge und dem Aus für die Wehrpflicht vermelden konnten, bedeuten bei den Studentenwerken von Flensburg bis Konstanz auch einen neuen Rekordstand beim Verwaltungsaufwand. Vor allem beim BAföG macht sich das derzeit bemerkbar. Die Zahl der Anträge für die Studienförderung ist mit der Zahl der Erstsemester rapide nach oben geschnellt. Die Papierberge auf den Schreibtischen der Sachbearbeitern stapeln sich.

"Die gestiegene Studierendenzahl macht sich auch bei uns in Hamburg deutlich bemerkbar", bestätigt der Geschäftführer des Studierendenwerks, Jürgen Allemeyer. "Man kann zwar noch nicht genau sagen, wie viele BAföG-Anträge zum jüngsten Wintersemester gestellt wurden, es sind aber wirklich unheimlich viele. Wir brauchen jetzt definitiv länger mit der Bearbeitung, als es in den Vorjahren der Fall war." Bis jetzt seien längst noch nicht alle Anträge bearbeitet, wie Allemeyer betont. "Um der Antragsflut Herr zu werden, haben wir zusätzliches Personal eingestellt. Es wird aber sicher noch bis Ende Februar dauern, bis wir das Gros der Anträge abgearbeitet haben." Für viele Studenten bedeuten drei Monate ohne Geld einen veritablen finanziellen Engpass bis zu Existenzängsten. Sie müssen ihr Studium jetzt finanziell irgendwie anders stemmen. Nebenher zu jobben geht angesichts eng getakteter Bachelor- und Masterstudiengänge nur in gewissen Grenzen. "Grundsätzlich gilt, dass es vor allem bei denjenigen Studierenden schneller geht, die ihre Unterlagen vollständig eingereicht haben", sagt Allemeyer. Wer in finanzielle Not gerät, dem versuche das Studierendenwerk etwa durch Überbrückungsdarlehen zu helfen.

Dass auch in Zukunft mit einer ähnlichen Entwicklung zu rechnen ist, belegt der neue BAföG-Bericht, den das Bundeskabinett heute verabschiedet. Demnach hat sich die Situation der Empfänger von 2008 bis 2010 deutlich verbessert. So hat sich die Zahl der durch das BAföG geförderten Studenten von rund 330 000 auf 386 000 erhöht - das entspricht einer Zunahme von 16 Prozent. Die Zahl der Studenten insgesamt ist allerdings um nur neun Prozent gestiegen - die finanzielle Unterstützung hat sich also auf einen größeren Rahmen junger Leute ausgedehnt. Das liegt vor allem daran, dass der sogenannte Elternfreibetrag 2008 um acht Prozent und 2010 noch einmal um drei Prozent erhöht wurde. Derzeit wird ab gut 1600 Euro das Einkommen der Eltern auf die monatliche BAföG-Summe des Studenten angerechnet. Auch der durchschnittliche Förderbetrag, den die Studenten erhalten haben, hat sich 2008 bis 2010 von 398 Euro auf 436 Euro erhöht und damit um zehn Prozent zugelegt. Der Höchstsatz liegt derzeit bei 670 Euro. Beachtlich ist, dass es immer mehr BAföG-Empfänger in die Ferne zieht: 54 Prozent mehr als zuvor studierten ein oder mehrere Semester im Ausland.

"Dass immer mehr Studierende eine BAföG-Förderung bekommen und sich der durchschnittliche Förderungsbetrag erhöht hat, ist eine grundpositive Botschaft und ein gesamtpolitischer Erfolg", sagte der bildungspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Patrick Meinhardt, dem Abendblatt. Sein SPD-Kollege Ernst Dieter Rossmann nannte das BAföG "ein unverzichtbares Förderinstrument, vor allem für Familien aus den unteren und mittleren Einkommen". Zufrieden sind die Sozialdemokraten trotzdem nicht. Nötig sei eine weitere "Anhebung des Elternfreibetrages um zehn Prozent, damit größere Teile der Mittelschicht vom BAföG profitieren können. In der Zeit der wachsenden Studierendenzahlen wäre das für sehr viele Familien sehr wichtig", sagte Rossmann dem Abendblatt.

Auch die FDP zeigte sich für Leistungsverbesserungen offen, die sich an den steigenden Lebenshaltungskosten orientieren. "Wir sollten jetzt eine solide Debatte über die Erhöhung der Förderbeträge und der Freibeträge führen", so FDP-Experte Meinhardt. "Beides könnte man für das Jahr 2013 prüfen. Ich erwarte aber, dass dann auch die Länder mitziehen und sich nicht vor steigenden Kosten drücken." Bislang wird das BAföG zu zwei Dritteln vom Bund und zu einem Drittel von den Ländern finanziert. Die letzte Reform im Herbst 2010 war erst nach langem Hin und Her und einer Anrufung des Vermittlungsausschusses im Bundesrat möglich geworden.

Die FDP fordert mittelfristig deshalb eine Finanzierung des Systems aus einer Hand. "Unser Vorschlag: Der Bund übernimmt die jährlichen 750 Millionen Euro der Länder - in einer Legislaturperiode kommen so drei Milliarden Euro zusammen. Als Gegenleistung investieren die Länder die gleiche Summe in andere Bereiche von Bildung und Forschung", so Meinhardt. Das bisherige Verfahren führe "zu ständigem Hickhack und hemmt die Weiterentwicklung". Fraglich ist allerdings, ob auch Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hierzu sein Einverständnis geben würde.

Meinhardt bekräftigte die Forderung der FDP nach einem elternunabhängigen BAföG, das "innerhalb der nächsten zehn Jahre" kommen müsse. "Das schafft einfach mehr Bildungsgerechtigkeit", so der Bildungspolitiker. "Grundsätzlich sollten wir über einen Systemwechsel beim BAföG nachdenken und die Studierendenförderung an das 21. Jahrhundert anpassen."