Ute Scheub beschäftigt sich in ihrem Buch “Heldendämmerung“ mit der Krise traditioneller Männerbilder und neuen Frauenrollen.

Hamburg. Warum zeigt sich Wladimir Putin (57) gern mit nacktem Oberkörper beim Angeln, als Jäger in sibirischen Wäldern oder als sportiver Reiter? Warum ist es für Italiens Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi (73) so wichtig, sich wie ein Showstar zu schminken und mit dekorativen Mädchen zu umgeben? Viele Regierungschefs und Staatsmänner inszenieren ihre Politik deutlich als Männlichkeitspose. Warum? Wen soll das noch beeindrucken? Haben sie den Schuss nicht gehört?

Die Autorin Ute Scheub hat eine These: Die männliche Vorherrschaft, die da so kraftstrotzend demonstriert werden soll, hat sich zur Pathosmaschinerie verselbständigt. In Wahrheit wird sie „zunehmend ausgehöhlt und virtuell“, die meisten Männer können sie im Alltag gar nicht leben.

In ihrem neuen Buch „Heldendämmerung“ trägt Scheub Belege dafür zusammen, dass die traditionelle männliche Identität in eine schwere Krise geraten ist. Auch dafür sieht Scheub ein lebendes Indiz: Barack Obama. „Nicht erst seit der Weltwirtschaftskrise ist die einzige verbliebene Supermacht USA im Niedergang begriffen, und es ist nur eine Frage der Zeit, bis China und womöglich auch Indien aufrücken“, schreibt Scheub. Obama markiere mit seinem Stil den Übergang zu einer Zeit, in der andere Hautfarben und Kulturen die Weltpolitik prägen werden.

Obamas „Soft Power“ ist vielleicht noch kein Abschied, aber schon ein Bruch mit der Tradition der weißen Siedler und Cowboys, die immer Amerikas Wehrhaftigkeit zur Schau stellten. In der Staatengruppe der G20, die die alte G8 abgelöst hat und 62 Prozent der Weltbevölkerung repräsentiert, sind heute sechs weiße Männer als Staatsoberhäupter in der Minderheit.

Weltweit hat die Globalisierung den Frauen einen Bildungsaufstieg und eine Aufwertung beschert. Ein Wandel, der Folgen hat. Frauen in Kunst, Politik, Medien, Wirtschaft, Kirchen und Protestbewegungen machen die alten Männerposen durchschaubar und halten die Debatte in Gang. In Italien initiierten drei Universitätsprofessorinnen 2009 einen öffentlichen Protest dagegen, wie Berlusconi „Frauen im politischen wie privaten bereich behandelt“; sie wandten sich damit u.a. auch an Angela Merkel, Michelle Obama und Frankreichs First Lady Carla Bruni. Die französische Dramatikerin Yasmina Reza enttarnte Frankreichs Staatspräsidenten als manischen Selbstinszenierer, der sich bei der Arbeit am liebsten in einem rein männlichen Gefolge bewegt.

Aber ein friedlicher Übergang zum kooperativen, gleichberechtigten Miteinander von Männern und Frauen ist noch nicht absehbar. „50.000 leitende Bankmanager, Broker, Händler und Vermögensverwalter sagen dem Rest der Welt, wo es langgeht“, schreiben die Journalisten Harald Schumann und Christiane Grefe. Die herrschende Klasse der Finanzindustrie ist zu 95 Prozent männlich. Was „männliche Monokulturen“ anrichten, hat Scheub zufolge gerade die internationale Finanzkrise überdeutlich gezeigt: Sie hat weltweit vor allem Arbeitsplätze von Männern vernichtet.

In Deutschland stieg die Zahl der männlichen Arbeitslosen zwischen 2008 und 2009 um 200.000, die der arbeitslosen Frauen ging um 45.000 zurück. „Wenn Männern Jobs und Posten durch die Globalisierung und die Wirtschaftskrise wegbrechen, sehen sich viele von Identitätsverlust bedroht“, so Ute Scheub.

In allen krisengebeutelten Ländern fühlen sich Männer, die ihren Job verloren haben, zutiefst gedemütigt, wenn sie ihre Familie nicht mehr ernähren können. Männliche Identität krisele heutzutage „unter Bankmanagern genauso wie unter erwerbslosen Slumbewohnern, unter weißen US-Amerikanern genauso wie bei den Taliban“, sagt Scheub.

Unter den Männlichkeits-Extremisten der Geschichte, denen sie im Buch nachgeht, ist auch eine Figur, die selbst keineswegs als Superheld daherkam: Adolf Hitler. „Für ihn war alle Politik letztlich Mittel zum Krieg, Männlichkeit war für ihn gleichbedeutend mit Kriegsheldentum und Kämpfen bis zum blutigen Untergang, egal wieviel Millionen dabei mitgerissen wurden“, sagt Ute Scheub im Gespräch mit dem Abendblatt.

Nach 1945 dauerte es bis in die 70er Jahre, um Frauen den Männern zumindest rechtlich gleichzustellen. Offensive Heldenposen waren in der deutschen Politik verpönt, eher „landesväterliche“ Haltungen wurden eingenommen. Bis Gerhard Schröder kam: Er zeigte, dass auch Sozialdemokraten nicht auf Zigarren als Phallussymbol verzichten und Frauenpolitik lieber als „Gedöns“ abtun.

Europaweit entwickelt sich die politische Teilhabe der Frauen erst allmählich. Nach einer gerade veröffentlichten Studie des Europarats („Parity democracy - A far cry from reality“) lag der Anteil der Ministerinnen in Europa 2009 bei 28,6%, was im Vergleich zu 19,9% im Jahre 2005 einen leichten Anstieg bedeutet; der Anteil der Frauen in den nationalen Parlamenten lag unverändert bei 21,7%. Diese Zahlen liegen weit unter dem vom Europarat empfohlenen Mindestprozentsatz von 40%.

Die wenigen Politikerinnen in herausgehobener Stellung haben noch keine Wende bewirkt. „Es stimmt zumindest für Kanzlerin Merkel, dass sie sich selten für eine frauenfreundliche Politik einsetzt“, sagt Scheub. „Indiens Staatspräsidentin ist hier machtlos, sie hat ähnlich wie unser Präsident Köhler allein repräsentative Aufgaben. Islands Ministerpräsidentin Sigurdardottir scheint nach meinem Eindruck schon eine andere Art von Politik zu verfolgen. Aber von hier aus braucht man schon ein gutes Fernglas, um das im Detail verfolgen zu können.“

Und wann werden Politik, Wirtschaft und Unternehmensführung nun weiblicher? „Verschiedene organisationssoziologische Studien haben bewiesen, dass Frauen in Institutionen bzw. in der Politik insgesamt erst dann zugunsten ihres Geschlechts etwas bewirken können, wenn sie dort die ‚kritische Masse’ von 30 Prozent überschritten haben“, sagt Scheub. Genau das treffe aber für die einsamen Frauen an der Spitze von Organisationen oder Staaten noch nicht zu.

Es bleibt also nur die Alternative, dass Frauen sich weiter qualifizieren, sich besser vernetzen und weltweit gegenseitig unterstützen. Nicht zuletzt deshalb, weil mit dem Islamismus eine weltweite männlichkeitsfixierte Bewegung entstanden ist, die wieder Männerposen als Gegengewalt herausfordert und zu kriegerischen Konflikten verleitet. Nichts ist für das zarte Pflänzchen der Frauenrechte fataler.

Ute Scheub: Heldendämmerung. Die Krise der Männer und warum sie auch für Frauen gefährlich ist. Pantheon, 400 S., 14,95 Euro