So viele Schulden hat die Bundesregierung noch nie gemacht: mehr als 80 Milliarden Euro. Die Schlussrunde des Haushaltsausschusses dauerte gut 14 Stunden.

Berlin. Der Bund macht in diesem Jahr weniger neue Schulden als ursprünglich geplant. Im Etat würden 80,2 Milliarden Euro an frischen Krediten geplant, beschloss der Haushaltsausschuss des Bundestages am frühen Freitagmorgen. Das sind 5,6 Milliarden Euro weniger als die im Regierungsentwurf ursprünglich eingeplante Rekordmarke von 85,8 Milliarden Euro. Weiter legten die Abgeordneten in der sogenannten Bereinigungssitzung fest, dass die Bundesausgaben kommendes Jahr 319,5 Milliarden Euro betragen sollen. Im Haushaltsentwurf von Finanzminister Wolfgang Schäuble waren bislang für 2010 Ausgaben von 325,4 Milliarden Euro vorgesehen. Den bisherigen Rekord in puncto Neuverschuldung hatte 1996 der damalige CSU-Finanzminister Theo Waigel mit gut 40 Milliarden Euro Nettokreditaufnahme aufgestellt. Um die neue Schuldenbremse einzuhalten, die ab 2016 greift, muss der Bund nach Angaben Schäubles sein Defizit um jährlich zehn Milliarden senken.

Gut 14 Stunden hatte die Schlussrunde gedauert. Dann war der erste Haushalt der schwarz-gelben Koalition unter Dach und Fach - und ein neuer Schuldenrekord amtlich. Bis zum frühen Freitagmorgen wurde um jeden Posten gerungen. Das bekam auch die Ministerriege zu spüren. Lange mussten die Ressortchefs von Union und FDP auf einen Auftritt vor dem Haushaltsausschuss des Bundestages warten, um ein letztes Mal für ihren Etat zu kämpfen. Immer wieder kam es zu Verzögerungen. Vor Sitzungssaal 2400 schien zeitweise das halbe Kabinett versammelt, teils im Dunkeln bei ausgeschaltetem Licht.

Am Ende der ungewöhnlich langen „Bereinigungssitzung“ klopften sich die Haushaltspolitiker der Koalition dann stolz auf die Schulter. Sie haben ihr Ziel erreicht und können die erhoffte Botschaft verkünden: Die Neuverschuldung wurde von 85,8 Milliarden im Entwurf auf 80,2 Milliarden gedrückt. Das ist zwar immer noch ein einsamer Rekordwert, aber die Schuldenexplosion fällt weniger schlimm aus als befürchtet. Die Opposition winkt – nicht nur wegen des Verhandlungsmarathons – müde ab: Die nun geringere Verschuldung sei fast ohne Sparanstrengungen möglich gewesen und nur Folge bloßer Anpassungen an neue Wachstumsprognosen. Vor allem aber schweige die Koalition weiter über den künftigen Sparkurs ab 2011.

Finanzminister Wolfgang Schäuble musste ausgerechnet die Schlussverhandlungen über seinen Etat vom Krankenbett aus verfolgen. Den Attacken der Opposition konnte er so nur wenig entgegensetzen. Knapp vier Monate nach Amtsübernahme ist die Schonfrist für den 67-jährigen CDU-Politiker vorbei. Auch der längere Klinikaufenthalt Schäubles hindert SPD, Grüne und Linke nicht, den Ton zu verschärfen. Natürlich lässt sich Schäuble, der nach einem Eingriff länger als erwartet im Krankenhaus bleiben muss, regelmäßig auf dem Laufenden halten – ob Griechenland-Krise, Etat 2010, die parallel laufenden Haushaltsverhandlungen für 2011 oder der Dauerstreit um illegal beschaffte Daten über Steuerbetrüger. Im Finanzministerium hofft man, dass Schäuble bei der abschließenden Etat-Beratung des Bundestages Mitte März wieder an seinem Schreibtisch an der Wilhelmstraße sitzt. Dann kann er auch im Plenum auf Vorwürfe reagieren, er lasse die Bürger weiter im Unklaren über den drastischen Sparkurs.

Zuletzt hatte Schäuble „schwerwiegende Entscheidungen“ und Einschnitte auch bei gesetzlichen Leistungen für die Zeit ab 2011 angekündigt. Auch seine Ressortkollegen stimmte der Minister auf eines der größten Sparpakete der Nachkriegsgeschichte und einen „Wendepunkt“ ein. Nur zu Details halten er und die zerstrittenen Koalitionäre sich bedeckt. Das wird noch mindestens bis Mai der Fall sein. Dann steht die nächste Steuerschätzung an. Vor allem aber ist dann Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen. Die schwarz-gelbe Mehrheit in Düsseldorf wackelt und damit auch die Mehrheit von Union und FDP im Bundesrat.

Experten sind sich einig, dass die Mai-Steuerschätzung wenig Überraschungen bringen wird. Für sie ist der ständige Verweis auf die neue Einnahmeprognose für die nächsten Jahre im Mai nur eine Ausrede. Auf die Vorlage einer neuen Finanzplanung bis 2013/14 hat die Koalition bisher verzichtet. Sie soll mit dem Etatentwurf für 2011 bis zur Sommerpause kommen. Spätestens dann muss Schäuble erklären, wie er die Schuldenbremse einhalten, das Maastricht-Defizit senken, weitere Milliarden-Steuersenkungen finanzieren und die angestrebte Einführung einer Kopfpauschale in der Gesetzlichen Krankenversicherung finanzieren will. Allein, um die Schuldenbremse zu erfüllen, muss der Bund jährlich zehn Milliarden Euro sparen.

„2010 ist ein verschenktes Jahr, da die Regierung keinen einzigen Sparvorschlag gemacht hat“, kritisierte SPD-Haushaltsexperte Carsten Schneider. Dass noch nichts auf dem Tisch liege, gleiche einem „finanzpolitischen Himmelfahrtskommando“. Auch Grünen-Experte Alexander Bonde wirft Schäuble Versagen vor. Es spreche für wenig Autorität des Ministers, wenn 2010 nicht viel mehr passiere, als ein paar zu hoch angesetzte Ausgabenposten zu korrigieren. Und das nur, weil die Konjunktur besser läuft und weniger Zinsen fällig werden.