Der missglückte Luftangriff in Nordafghanistan hat einen Schatten auf das Engagement der Bundeswehr in dem Land geworfen.

Berlin/Brüssel. Der Luftangriff in Nordafghanistan, bei dem Dutzende Menschen starben, wirkt sich zunehmend belastend auf das Verhältnis zwischen Deutschland und seinen Verbündeten aus. Das Ministerium für Verteidigung wies am Donnerstag in Berlin Anschuldigungen eines ungenannten NATO-Offiziers zurück. Dieser hatte erklärt, der deutsche Oberst hätten erlauben dürfen, dass zwei Tanklastzüge bombardiert werden sollten. „Unter bestimmten Voraussetzungen kann der örtliche Kommandeur den Befehl geben. Das sehen die Regeln bei ISAF vor“, sagte der Sprecher des Ministeriums, Thomas Raabe. Nähere Angaben machte er jedoch nicht und verwies auf die noch laufende Untersuchung der ISAF-Kommission.

In der vergangenen Woche war bei einem Angriff von zwei F-15-Kampfflugzeugen der US-Luftwaffe auf zwei von den Taliban gekaperten Tanklastzügen auch Zivilisten ums Leben gekommen. Die genaue Zahl der Todesopfer soll im Zuge einer gründlichen Untersuchung ermittelt werden.

Nach den Worten des früheren Vorsitzenden des NATO-Militärausschusses, Harald Kujat, trägt die Bundeswehr nicht die alleinige Verantwortung. Die NATO bestritt, dass das Vorgehen in einem vorläufigen NATO- Bericht scharf kritisiert worden sei. „Ich habe heute mit der (Afghanistan-Schutztruppe) ISAF gesprochen“, sagte NATO-Sprecher James Appathurai. „Und man hat mir versichert, dass es keinen ISAF-Bericht gibt, in dem irgendwelche Schlussfolgerungen oder Bewertungen hinsichtlich des Zwischenfalls in Kundus stehen.“

Die „Süddeutsche Zeitung“ und die ARD hatten zuvor berichtet, ein führender NATO-Offizier habe die Genehmigung für den Angriff durch den Bundeswehr-Oberst als „sonnenklaren“ Verstoß gegen die neuen ISAF- Regeln gewertet. Eine Entscheidung solcher Tragweite hätte er nicht ohne Rücksprache mit dem ISAF-Hauptquartier treffen dürfen. Es habe keine unmittelbare Bedrohung für ISAF-Truppen gegeben. Ferner dürfe die Unterstützung durch Flugzeuge nur angefordert werden, wenn Soldaten am Boden in Gefechte verwickelt seien. Dies war nicht der Fall.

Der NATO-Sprecher erklärte:„Ich habe keine Ahnung, woher diese Berichte kommen.“ Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) wies Kritik seiner Kollegen aus Frankreich und Großbritannien zu dem Luftangriff zurück. „Gerade von unseren NATO- und EU-Partnern erwarte ich, dass sie das Ergebnis der Untersuchung abwarten. Man kann doch kein Urteil fällen, ohne die Fakten zu kennen. Das habe ich meinen Amtskollegen auch sehr klar gesagt“, sagte er der „Bild“-Zeitung (Donnerstag-Ausgabe).

Der frühere Generalinspekteur der Bundeswehr Kujat sagte der dpa, die Verantwortung liege nicht allein bei der Bundeswehr. „Sie glauben doch nicht im Ernst, dass ein deutscher Oberst über den Einsatz von zwei amerikanischen F-15-Bombern entscheiden darf.“ Er verwies auf ISAF-Angaben, wonach „verantwortlich für Planung, Koordinierung und Ausführung der Luftoperationen in Afghanistan“ die Luft-Koordinierungsstelle im ISAF-Hauptquartier sei. Deren Befehlshaber unterstehe ISAF-Kommandeur Stanley McChrystal. Auch Kujat sagte, die Anforderung des Angriffs decke sich mit den Regeln, die die ISAF veröffentlicht habe. „Ich hätte genauso gehandelt.“

Der Grünen-Politiker Omid Nouripour sagte der dpa, Verteidigungsminister Franz Josef (CDU) müsse schnellstmöglich nach Afghanistan fliegen. Grünen-Chefin Claudia Roth meinte, Jung sei „schlichtweg für diesen Job nicht geeignet“. Die Grünen verlangten die Einsetzung einer überparteilichen Kommission, die gleich nach der Bundestagswahl das deutsche Engagement überprüft. Es solle ein Abzugsplan entwickelt und in der nächsten Legislaturperiode eingeleitet werden. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte bei einem Wahlkampfauftritt über Verteidigungsminister Jung: „Er hat für unsere Soldaten so vieles auf den Weg gebracht, was seinesgleichen sucht.“ Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) kündigte in der „Stuttgarter Zeitung“ an, bleibe die Union an der Regierung, bleibe Jung Verteidigungsminister. Jung nahm die deutschen Soldaten erneut in Schutz. Wenn es nun zu Vorverurteilungen komme, sei es wichtig, dass er sich vor seine Soldaten stelle, sagte Jung in Kiel.

Unterdessen durchleuchten auch Sonderermittler beim Generalstaatsanwalt Sachsens den Vorfall. Es sei zu klären, ob es einen strafrechtlichen Anfangsverdacht gegen den verantwortlichen Oberst zur Einleitung von Ermittlungen gebe. „Die Prüfung wird wegen der tatsächlichen und rechtlichen Komplexität voraussichtlich längere Zeit in Anspruch nehmen“, teilte die Behörde mit. Der Oberst, der normalerweise in Leipzig stationiert ist, wolle bei der Aufklärung des Sachverhaltes mitwirken. Er wird noch im September nach Deutschland zurückkehren, wie Ministeriumssprecher Raabe der „Mitteldeutschen Zeitung“ (Freitag-Ausgabe) sagte.