Suchen und bewerten: AOK und Barmer bauen eine umstrittene Ärzte-Datenbank im Internet auf. Erste Erkenntnis: Hamburger schlucken teure Medikamente.

Hamburg/Berlin. Man nennt es „Ärzte-TÜV“ oder „Ärzte-Navi“ – doch das soll die neue Mischung aus Internetsuchmaschine und Bewertungsportal für Deutschlands Mediziner nicht sein. Zumindest nicht in der negativen Besetzung des Begriffs. Denn die niedergelassenen Ärzte finden es ebenso wenig passend, ihre Leistungen von den Patienten benoten oder bewerten zu lassen, wie das Lehrer tun, die sich mit www.spickmich.de konfrontiert sehen. Das allerdings ist den Krankenkassen gleich, die ja das Geld der Krankenversicherten verwalten. Sie finden: Das deutsche Gesundheitssystem soll transparenter werden. Von „übler Nachrede“ im Internet wollen die Kassen nichts wissen.

Die etwa 30 Millionen Versicherten aller AOKen und der Barmer GEK können künftig die Ärzte im Internet bewerten. Mit dem jetzt gestarteten Online-Portal sollen Patienten nach einem geeigneten Arzt suchen können. Auch soll mit der anonymen Bewertung niedergelassener Ärzte die Behandlungsqualität verbessert werden. Ein „digitaler Ärztepranger“ soll ausgeschlossen werden, hieß es. Es soll keine Liste der vermeintlich besten deutschen Mediziner geben. Nach Angaben der Betreiber wird es noch einige Zeit dauern, bis das Arzt-Suchportal bundesweit mit ausreichenden Ergebnissen aus der Patientenbefragung gefüllt ist. Voraussichtlich Anfang 2012 könnten sich weitere Kassen beteiligen.

Der Sprecher der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Roland Stahl, verwies darauf, dass sich das Portal an den Vorgaben des Ärztlichen Zentrums für Qualität orientiere. Rein subjektive Bewertungen würden verhindert. „Das erkennen wir an.“ Es gehe um ernsthafte Informationen. „Es geht nicht darum, populistisch Stimmung zu machen, und es geht nicht um einen ,digitalen Pranger’.“

„Das neue Portal ist für die Patienten, aber nicht gegen die Ärzte entwickelt worden“, sagte Jürgen Graalmann vom AOK-Bundesverband. Die Ärzte erhielten Rückmeldungen ihrer Patienten auf der Basis eines anerkannten Fragebogens. „Daher können die Ergebnisse auch eine Hilfe für das praxisinterne Qualitätsmanagement sein.“ Der stellvertretende Vorstandschef der Barmer GEK, Rolf-Ulrich Schlenker, nannte das Arzt-Navi „ein wunderbares Werkzeug“. Eine Registrierung schütze vor Manipulation, die Anonymität des Benutzers bleibe gewahrt, der Fragebogen sei leicht auszufüllen: „Ärzte können per Kommentar reagieren, Schmähkritik ist nicht erlaubt.“ Es würden auch keine „TÜV-Ambitionen“ vorgespielt. Vorbereitet würden entsprechende Fragebögen auch für Zahnärzte und Psychotherapeuten.

Brigitte Mohn, Vorstandsmitglied der Bertelsmann Stiftung, rief die Patienten zum Mitmachen auf. „Die Versicherten können mit ihrer Stimme dafür sorgen, dass nach und nach eine echte Orientierungshilfe für alle Patienten in Deutschland entsteht.“ Die Bertelsmann Stiftung hat mit Patienten- und Verbraucherorganisationen das Internetportal „Weisse Liste“ ins Leben gerufen.

Derweil wurde bekannt, dass die deutschen Ärzte Kassenpatienten im vergangenen Jahr Pillen, Salben und Infusionen im Wert von 34 Milliarden Euro verschrieben haben. Diesen Rekordwert nannte die Techniker Krankenkasse. Das seien zwei Milliarden Euro oder sechs Prozent mehr als noch 2009. Die Patienten zahlten 1,9 Milliarden Euro aus eigener Tasche zu – 13 Prozent mehr als im Vorjahr. Die Kasse berief sich auf Statistiken des Spitzenverbands der gesetzlichen Krankenversicherung für alle niedergelassenen Ärzte und alle rund 70 Millionen Kassenpatienten.

Im Durchschnitt habe jeder gesetzlich Versicherte Medikamente für rund 485 Euro verordnet bekommen, meldete die Kasse weiter. Regional gab es jedoch große Unterschiede. In Mecklenburg-Vorpommern verordneten Ärzte ihren Patienten mit rund 599 Euro pro Kopf am meisten. In Bayern bekamen die Patienten Arzneien für 443 Euro pro Kopf. In Hamburg waren es 577 Euro – deutlich mehr als der Bundesdurchschnitt. Das bedeutet, dass die Hamburger besonders viele Medikamente zu sich nehmen oder an arzneimitteltechnisch besonders teuren Krankheiten leiden.