Immer wieder hat die Kunst ihre Betrachter provoziert. Sie darf das. Auch das ist Teil der Kunstfreiheit. Die feigen Morde von Paris sind erst recht ein Grund, diese Freiheit zu verteidigen.

Hamburg. „Die Kunst ist eine Tochter der Freiheit“, wusste Friedrich Schiller. Bisweilen, diese Tage beweisen das schmerzhaft, wird sie an die Grenzen ihrer Belastbarkeit getrieben. Denn dass Kunst nicht einfach kontrovers, sondern offensichtlich regelrecht gefährlich sein kann, und zwar gleichermaßen für denjenigen, der sie schafft, wie den, der sie herausbringt, zeigt das grausame Attentat auf die Redaktion der Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ in Paris. Der Anschlag ist eine neue Eskalationsstufe im verachtenswerten Versuch, diese Freiheit einzuschränken.

Menschen, die mit künstlerischen Projekten nicht einverstanden sind, die sich durch Bücher oder Filme oder Zeichnungen verletzt oder zutiefst beleidigt fühlen, hat es immer wieder gegeben – einen Überblick über besonders markante und erschreckende Fälle der jüngeren Vergangenheit haben wir auf dieser Seite zusammengestellt. Die Heftigkeit, mit der sich selbst ernannte Richter gegen das vermeintliche Übel erheben (und im Einzelfall sogar vor Mord nicht zurückschrecken), scheint zuzunehmen, ist jedoch unterschiedlich ausgeprägt. Was die Kritiker allerdings eint: Sie sind oft wenig informiert; sie verurteilen, was sie nur glauben zu kennen, sie unterstellen, sie verachten Ungelesenes und Ungesehenes. Sie scheuen die tatsächliche Auseinandersetzung, sie schrecken vor der Komplexität der Dinge zurück, sie flüchten in allzu einfache Denkmuster.

Und ihr Glück, dessen sie sich an dieser Stelle verblüffend selten bewusst sind, ist: Sie dürfen das.

Weil sie – jedenfalls in Frankreich oder in Deutschland – in einem Land leben, in dem sie die Freiheit haben, zu denken (oder auch nicht) und zu mögen (oder eben nicht), was immer sie wollen. Sie sind im Falle der Kunst sogar explizit dazu aufgerufen, sich (selbstverständlich gewaltfrei) zu äußern. Kunst exponiert sich, sie sucht die Auseinandersetzung, sie ist nichts ohne ihren Betrachter. Das macht sie verletzlich.

Bekenntnis zur Freiheit der Kunst

Bisweilen wird die Auseinandersetzung so zum Teil der Kunst, wie vor einigen Jahren in Hamburg. Das eigentliche Werk des Künstlers stand noch gar nicht, da war die Kunst im Grunde schon passiert: Gleich zweimal hatte Gregor Schneider seinen schwarzen Kubus geplant, der sowohl an Malewitschs schwarzes Quadrat erinnerte als auch Assoziationen zur Kaaba in Mekka hervorrief, der zentralen Pilgerstätte des Islam. Einmal hatte Schneider den dunklen Würfel in Venedig aufstellen wollen, einmal in Berlin. An beiden Orten hatten die Entscheidungsträger diffuse Bedenken, erst die Hamburger Kunsthalle traute sich im Frühjahr 2007, den riesigen Kubus auf ihrem Plateau zu zeigen. Die Absagen in Venedig und Berlin sowie die Zusage von Hamburgs Museumsdirektor Hubertus Gaßner hatten jeweils für erhitzte Diskussionen gesorgt und waren letztlich vom Kunstwerk selbst kaum noch zu trennen. Gregor Schneider hatte stets betont, nicht provozieren zu wollen, der Zentralrat der Muslime hatte versichert, sich gar nicht provoziert zu fühlen, und am Ende konnte Gaßner seine Ausstellung als Erfolg verbuchen.

Einen großen schwarzen Kasten aufzustellen – ist das tatsächlich schon Mut? Des Künstlers, des Museumsdirektors? Es war jedenfalls ein eindeutiges Bekenntnis zur Freiheit der Kunst.

Am Ende sind es solche Bekenntnisse, die den Unterschied machen. „Je suis Charlie“ rufen die Demonstranten den Mördern trotzig entgegen, nicht nur in Paris, sondern weltweit. „Aufruhr“ lautet dazu passend fast hellseherisch der Titel der nächsten Lessingtage am Thalia Theater. Auf seiner Homepage veröffentlichte das Theater gestern den Aufruf des Autors Navid Kermani: „Tun wir, was den Tätern am meisten missfällt und den Opfern am meisten entspricht: Bleiben wir frei.“