Das Ensemble Resonanz hat das Zeug zur Champions League der Kammerorchester, aber es braucht alle Unterstützung der Stadt Hamburg.

Hamburg. Musiker müssen zählen können, sonst verpassen sie ihren Einsatz. Das heißt noch lange nicht, dass sie sich deswegen auch mit Zahlen auskennen müssen, die aus vielen Ziffern bestehen. Da verliert der gewöhnliche Musiker schnell die Übersicht, es sei denn, es handelt sich um seine Gage. Fragen Sie seinen Manager. Beim Ensemble Resonanz aber, dem in Hamburg ansässigen Kammerorchester, war auch der Manager früher Musiker, und die Kollegen haben ein ungewöhnlich ausgeprägtes Verhältnis zu Zahlen. Schließlich gehört ihnen der Laden.

Weil sie sich nicht auf ihren Sachverstand allein verlassen wollten, haben die 15 fest zum Ensemble gehörenden Streicher im Jahr 2008 zusammen mit dem Unternehmensberater Karsten Witt aus Berlin überlegt, was rein zahlenmäßig geschehen muss, damit ihrem Kammerorchester der Übergang in die Goldene Ära Hamburgs als Musikstadt gelingt. Ihr Businessplan trägt die Überschrift "In Residenz an der Elbphilharmonie - Zu Gast in aller Welt".

Als hätten die Musen so viel nüchternen Ehrgeiz belohnen wollen, steht das Ensemble Resonanz acht Jahre nach seinem Einzug in Hamburg plötzlich künstlerisch besser da denn je. Trotz Finanzkrise gelang im letzten Jahr eine Umsatzsteigerung gegenüber dem Vorjahr von 56 Prozent. Die Kulturbehörde erhöhte ihre Zuwendung im selben Jahr um 100 000 Euro auf das Dreifache des ursprünglichen Betrags. So schön diese Entwicklung für das kleine Orchester ist: Um sich langfristig in der Champions League vergleichbarer Ensembles in Frankfurt, Wien Köln oder Bremen etablieren zu können, reicht es finanziell noch nicht. Im Plan des Geschäftsführers Tobias Rempe steht als Ziel für 2011 eine gute Verdopplung der Förderung durch den Senat auf 340 000 Euro sowie die Einrichtung eines eigenen Haushaltstitels. Bislang erhält das Orchester seine Zuwendungen aus der stadtstaatlichen Schatulle für Allgemeine Musikförderung.

Das Ansinnen der Musiker trifft die Stadt in wirtschaftlich klammen Zeiten. Dabei treten sie immer noch vergleichsweise bescheiden auf: Namhafte freie Orchester anderer Städte finanzieren sich zu 20 bis über 50 Prozent über öffentliches Geld. Manche liegen dem Staat also weit mehr auf der Tasche. "Unsere Hausaufgaben haben wir gemacht, die Entwicklung des Ensembles verläuft sogar schneller als geplant. Damit das aber kein Rohrkrepierer wird, ist es wichtig, dass die Stadt das Tempo auch mitgeht", sagt Tobias Rempe zum Stand der Dinge. Die Kulturbehörde wollte sich mit Hinweis auf die laufenden Haushaltsberatungen zu den Wünschen nicht äußern.

Tatsächlich stünde Hamburg eine ausdrückliche Stärkung des Ensembles Resonanz aber gut zu Gesicht. Das Jahr 2002, in dem die Musikergruppe nach Hamburg kam und ihren Arbeitsplatz als Residenzorchester in der Kleinen Laeiszhalle bezog, markiert den Anfang des sich wandelnden musikalischen Selbstverständnisses der Stadt. Ein Jahr später, im Frühsommer 2003, elektrisierte die Vision der Elbphilharmonie viele Bewohner, und seither spielt die Musik sich auf vielfältigste Weise ins Bewusstsein der Bevölkerung - andauernde Dissonanzen um all das schöne dafür auszugebende Geld und den Termin der Fertigstellung und Eröffnung des Gebäudes inbegriffen.

Im Ensemble Resonanz verkörperte sich vieles, was im Hamburger Musikleben damals fehlte. Die Interpreten - ihr Durchschnittsalter liegt inzwischen bei 34 Jahren - waren Vorboten eines Generationswechsels, wie er sich jetzt etwa beim NDR Sinfonieorchester durch die Verpflichtung von Thomas Hengelbrock, 51, als Chefdirigent feststellen lässt. Repertoireentscheidungen traf das Ensemble Resonanz schon immer abseits des Klassik-Mainstreams. Neue Musik ist täglich Brot, und Partituren früherer Jahrhunderte werden kräftig gegen den Strich gebürstet, damit sie wieder ihre andauernde Zeitgenossenschaft beweisen können.

Ihre Organisationsform und das aufgeklärt basisdemokratische Verständnis des Musizierens teilen die Resonanzler mit Ensembles wie der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen, dem Ensemble Modern, dem Klangforum Wien, Concerto Köln oder dem Kammerorchester Basel: Hierarchiefragen werden nach Bedarf gelöst. Wo ein Dirigent hilfreich ist, wird er engagiert, wo man allein besser klarkommt, bleibt der Platz fürs Pult frei.

Nach Jahren kontinuierlicher Aufbauarbeit hat sich das Ensemble Resonanz in Hamburg eine stetig wachsende Zuhörerschaft erspielt, die man zumindest in Teilen Fangemeinde nennen darf - selbst wenn die Musiker keine Autogrammkarten verteilen und als einzige Allüre eine chronische Finsterkeit in Blick und Habitus auf Pressefotos kultivieren. Wer das Ensemble je auf der Bühne erlebt hat, weiß, dass spieltechnische Brillanz, geistige Durchdringung und musikantische Leidenschaft sich hier zu einem ziemlich unschlagbaren Akkord summieren.

Plötzlich setzt das Ensemble nun zum Sprung auf eine internationale Karriere an. Bis Herbst stehen Engagements in Musikzentren wie dem Pariser Théâtre des Bouffes du Nord, der Kölner Philharmonie, dem Musikverein Wien, dem Amsterdamer Muziekgebouw und bei der Biennale Musica in Venedig an. Immer mehr wird das in Hamburg fest verwurzelte Ensemble zum Botschafter eines neuen musikalischen Selbstverständnisses der Stadt.

Die etwas umständliche Formulierung "Residenz an der Elbphilharmonie" trifft logistisch den Kern der Sache: Ein Proberaum oder ein Geschäftszimmer sind in der tollen Zukunftshalle an der Elbe ebenso wenig vorgesehen, wie sie dem Ensemble Resonanz derzeit in der chronisch überbuchten Laeiszhalle zur Verfügung stehen. Dafür geeignete Räume zu finden ist die nächste Großbaustelle der Musiker. Mal sehen, auf wen sie dabei so alles zählen können.