Mit einer friedlichen Besetzung, Ausstellungen und Partys demonstrieren Kreative gegen den Abriss eines historischen Quartiers.

Hamburg. Die Besucher des Engelsaals, des "Theaters der leichten Muse" am Valentinskamp, trafen auf junge Künstler, die im Leben keine Operette besuchen würden. Familienväter spazierten neugierig über die roten Teppiche, die überall an den Hauseingängen und auf den Fußwegen ausgelegt waren, Kinder tobten durch die Hinterhöfe, Pärchen tranken Rotwein und Studenten unterhielten sich über Gemälde und Installationen, die in halb verfallenen Räumen, aber auch auf den Höfen zu sehen sind.

Bis tief in die Nacht trafen sich am Wochenende in den und um die zwölf leer stehenden Altbauten an der Ecke Caffamacherreihe/Valentinskamp etwa 3000 ganz unterschiedliche Menschen zu einer außergewöhnlichen Party mit Performances, Livemusik und vielen Gesprächen, die immer wieder um zwei Themen kreisten: um die Zukunft des letzten Restes des historischen Hamburger Gängeviertels, das akut vom Verfall bedroht ist, und um die prekären Arbeitsbedingungen Hamburger Künstler.

"Eine Initiative von etwa 200 Künstlern hat die leer stehenden Häuser jetzt besetzt. Die Aktion steht unter der Schirmherrschaft von Daniel Richter", sagt Darko Caramello, einer der Sprecher der Aktion "Komm in die Gänge". Daniel Richter selbst war allerdings bei dem "Kulturfest zur Hausbesetzung" am Wochenende nicht anwesend, der Malerstar hielt sich gar nicht in Hamburg auf und war auch für die Künstlerinitiative gestern für eine Stellungnahme nicht zu erreichen. "Daniel Richter kennt aber die Räume und die Bedrohung des Gängeviertels, er unterstützt unser Anliegen und hat deshalb gern die Schirmherrschaft übernommen", sagt Caramello, der Wert darauf legt, nicht Initiator der Aktion zu sein, sondern Sprecher der Künstlerinitiative.

Die meisten der beteiligten Künstler wollen nicht namentlich genannt werden, da sie Konsequenzen befürchten. "Wir machen so etwas doch zum ersten Mal", sagt eine junge Frau mit Rastalocken. Es wirkt fast ein wenig so, als hätte sie Angst vor der eigenen Courage. Militant wirkt hier niemand, auf eine wirkliche Konfrontation werden es die Besetzer nicht ankommen lassen. Wie lange sie hier bleiben wollen? "Bis der Senat mit uns redet oder bis wir rausgeschmissen werden", sagt ein junger Mann. Ein zweite Hafenstraße dürfte am Gängeviertel kaum drohen - den Künstlern geht es vor allem darum, dass ihre Anliegen in der Öffentlichkeit gehört werden.

"Die Beteiligten verbinden mit dieser Aktion zweierlei: Erstens geht es darum, ein wertvolles Beispiel der Hamburger Baukultur zu retten, und zweitens, auf diese Weise dringend benötigten Raum für Hunderte von Kreativen zu schaffen", erklärt Caramello und fügt hinzu: "Sehen Sie sich die Häuser doch an. Wenn hier nicht eingegriffen wird, stürzen spätestens im nächsten Winter die Dächer ein. Dann ist dieses Stück Hamburger Geschichte für immer verloren. Wir streben dagegen eine sofortige künstlerische, kulturelle und soziale Nutzung aller Räume an, als Ausgangspunkt für eine langfristige und nachhaltige Entwicklung des Viertels."

Genau danach sieht es nicht aus, bisher ging es mit dem Gängeviertel nur bergab. Nachdem die Saga den meisten Mietern in den letzten Jahren gekündigt hatte, verfallen die größtenteils denkmalwürdigen Häuser immer mehr. Die Finanzbehörde hat den Komplex zum Höchstgebot an den Investor Hanzevast verkauft und ihm das Recht eingeräumt, nur 20 Prozent der historischen Substanz zu erhalten. Selbst das erscheint inzwischen fraglich. Vor einem Monat berichtete das Abendblatt darüber, dass es am Gängeviertel nicht den geringsten Hinweis auf das angeblich geplante 50-Millionen-Projekt gibt und dass eine Künstlerinitiative diesem Beispiel althamburgischer Wohnkultur neues Leben einhauchen will.

Dass die Künstler gerade jetzt aktiv werden, hat nicht zuletzt damit zu tun, dass Hamburger Kreative immer wieder aus ihren Atelierräumen vertrieben werden. So hat ein etwa 50 Mitglieder umfassendes Künstlerkollektiv zunächst sein Arbeitsdomizil an der Reeperbahn 1 verlassen müssen, zog dann nach Altona in die Große Bergstraße in das ehemalige Frappant-Gebäude ein, das nun einem Ikea-Möbelhaus weichen soll.

"Das ist nur ein Beispiel von vielen. Für einen Hamburger Künstler ist es kaum noch möglich, bezahlbaren Atelierraum zu finden", sagt Caramello, dessen Initiative sich deshalb am Wochenende mit einem offenen Brief an den Senat gewandt hat. Darin heißt es: "Wir erwarten von Ihnen als Senat, dass Sie, wie im bestehenden Koalitionsvertrag in Bezug auf den Umgang mit den Hamburger Kreativen vereinbart, die Verantwortung für die kulturelle und soziale Vielfalt der Stadt übernehmen und mit uns konstruktiv zusammenarbeiten - für die Gestaltung eines neuen, öffentlich zugänglichen und finanziell unabhängigen Kunst- und Kulturzentrums im Herzen der Stadt."

In einer ersten Reaktion sagte Kulturbehördensprecherin Susanne Frischling gestern: "Wir haben den offenen Brief noch nicht erhalten, aber wir werden uns ernsthaft mit den Anliegen und Bedenken der Künstler auseinandersetzen."