Michael Jackson ist tot. Was für ein unglaublicher Satz. Seit 15 Jahren tauchte er als bittere Pointe zuverlässig in den Schriften auf, die sein allmähliches Verschwinden aus dem Popzirkus begleiteten.

Seit Jahren wurden Nachrufe verfasst, die seinen körperlichen, künstlerischen und geschäftlichen Verfall erörterten. Zu Lebzeiten, wie man in solchen Fällen sagt. Dass Michael Jackson tot sei, die Figur, die er verkörperte, zählt zu den Litaneien der Popkultur. Man wollte diesen Satz schon lange nicht mehr schreiben, weil er sich so leer las.

Michael Jackson ist tot. Am Donnerstag um 23.26 Uhr wurde er in Kalifornien für tot erklärt. Zwei Stunden zuvor erging aus seinem Haus in Hombly Hills ein Notruf seines Leibarztes. Der Sänger wurde wegen eines Herzinfarkts ins UCLA Medical Centre eingeliefert. Eine Stunde lang rangen die Ärzte um sein Leben. Bei ihm waren seine Mutter Katherine, seine Schwester LaToya und sein Bruder Jermaine, der darum bat, die Privatsphäre des Verstorbenen zu respektieren, den Menschen Michael Jackson.

Dieser letzte fromme Wunsch bleibt unerfüllbar. Nicht nur, weil ein Hubschrauber den Leichnam umgehend zur Autopsie ausflog und weil sein körperlicher Zustand in den kommenden Wochen für Gesprächsstoff sorgen wird. Seine Familie selbst vermutet öffentlich einen zumindest leichtfertigen Umgang mit verschreibungspflichtigen Arzneien. Jackson habe sich damit auf sein Comeback vorbereiten wollen. Am 13. Juli wollte er in London seine künstlerische Wiederauferstehung feiern, bis ins Jahr 2010 hinein. In einem unmenschlichen Reigen von Konzerten. Die Bitte seines großen Bruders, ihn in Frieden gehen zu lassen, schlägt die Welt ihm ab. Sie kann nicht anders.

Michael Jackson war der letzte Popstar, und so hohl der Zusatz "King Of Pop" auch klingen mag: Der letzte König war er auch. Man muss heute daran erinnern, dass zum Mega-, Super- oder Popstar seinerzeit mehr gehörte als Begabung, Fleiß und Leidensfähigkeit. Es ging um Selbstaufgabe, Größenwahn und anderen Irrsinn.

Michael Jackson hat sich konsequenter selbst ermächtigt als jeder zuvor im Pop. Selbst Elvis, der schon tot war, als Jackson dessen Tochter heiratete, wirkte in seinem Graceland bodenständiger. John Lennon lief als treu sorgender Familienvater durch New York. Von Stars, die Jackson folgten, ganz zu schweigen. So verrückt und so geheimnisvoll wird nie wieder ein Künstler sein. Es wird keinen "Megagastar" wie ihn mehr geben.

Die Tragödie begann am 29. August 1958 in Gary, Indiana. Michael Jackson kam zur Welt als achtes von zehn Kindern eines Kranführers. Der Vater, Joseph Jackson, hatte Großes vor. Eine Karriere im erblühenden Musik- und Popgeschäft. Biografien schildern die Drangsal, die er den Kindern angedeihen ließ. Er scheuchte sie durch Wettbewerbe und Talentshows.

1965 gründete der Vater die Familienband The Jackson Five. Bei Motown Records in Detroit, der ersten Hitfabrik, wo Schwarze Hits für Weiße fertigten, wurden die Jackson Five gefördert. 1969 sangen sie noch an der Seite von Diana Ross. Dann fand es Motown reizvoll, einen Minderjährigen Soul singen zu lassen, Liebeskrankes wie "I Want You Back" und "I'll Be There". Beizeiten wurde Michael Jackson aus dem Bruderbund herausgelöst. Als er 1971 debütierte, mit "Got To Be There", war er 13 Jahre alt. Das Drama des begabten Kindes schien beendet, als er sich mit 18 von der Firma löste und sich familiär emanzipierte. 1977 trat er im Film "The Wiz - Das zauberhafte Land" als Vogelscheuche auf. Dabei traf er auf Quincy Jones. Der Produzent verhalf ihm 1979 zum noch heute unfassbaren Album "Off The Wall". Es nahm die Achtziger bereits vorweg, eine Epoche, die man irgendwann nur noch die Jackson-Jahre nennen wird. Eröffnet wurden sie mit "Don't Stop 'Til You Get Enough", der Hedonistenhymne. 1982 folgte "Thriller". Was damals noch als großer Spaß gefeiert wurde, Jacksons "Thriller"-Video, kommt einem heute wie ein Menetekel vor. Der Regisseur führte Jacksons Wandlung vor, zunächst zum Werwolf, anschließend zum Zombie.

Die späten 80er-Jahre waren die Zeit des großen Auftritts. Wobei Michael Jackson weniger auftrat als erschien: Er materialisierte sich aus einer Wolke und verschwand am Ende spurlos. Er schwebte im Moonwalk durch die Lüfte. Menschlichere Gesten wie der Griff in den Schritt, wurden mit weißem Handschuh ausgeführt. Geschichten mehrten sich über Marotten. Ängste vor Krankheitserregern. Messianismus. Menschenscheue. Die Abkehr von Erwachsenen, die Hinwendung zu Kind und Tier. Die 80er endeten mit "Bad", die 90er begannen vielsagend mit "Dangerous" und "HIStory - Past, Present & Future, Book I". Er hat sich 1995 selbst historisiert und nie ein zweites Buch verfasst.

Dafür verfiel er öffentlich. Zunächst erbleichte der als Kind eindeutig schwarze Michael Jackson, die Naturkrause wich langem weichen Haar. Was Jackson selbst auf eine Störung des Pigmenthaushalts zurückführte und alle Welt auf eine tiefsitzende Scham, von Schwarzen abzustammen. Mit aller Macht zerstörte er den eigenen Leib. Er selbst nahm seine Maßnahmen verschönernd wahr, ließ sich Grübchen bohren, Kinn und Nase spitzen, bis die Nase kaum noch hielt. Genüsslich gruselte man sich beim Anblick seiner Maske. Mochte sie einen auch noch so freundlich anblicken wie von der letzten Platte, die er aufnahm, von "Invincible", 2001.

Seit 1993 wurde Jackson wiederholt von der Justiz ins Licht gezerrt. Er wurde wegen Kindesmissbrauchs angeklagt. Verhandlungen zogen sich hin. 2005 erschien er im Schlafanzug vor Gericht und bat den Richter um Vertagung, wegen eines Spinnenbisses in die große Zehe. Kurz darauf wurde er freigesprochen.

Michael Jackson aber war in allen Punkten ruiniert. Seit 1988 lebte er verschanzt in seinem Neverland in Kalifornien, wo er einen Rummelplatz und einen Tierpark unterhielt und häufig Kinder um sich scharte. Michael Jacksons Nimmerland. Auch daran hat die Welt sich abgearbeitet, am Peter-Pan-Syndrom. Mal war er Peter Pan, mal Dorian Gray, dessen Bildnis in der Oscar-Wilde-Geschichte zügiger altert als Gray selbst. Mal war er der Erlöser, mal der König, mal der Freak, mal einfach Jacko wie ein guter Freund. Es passte nie zusammen, was die Menschheit in ihm sah. Was wiederum für seine Größe sprach.

Nach seinem Freispruch verlor sich die Spur. 2006 nahm er in Tokio einen Preis entgegen. Mit seinen drei Kindern, deren Herkunft einem immer etwas biblisch vorkam, tauchte er in Irland auf, Las Vegas und Bahrein. Der dortige Prinz drängte auf ein Comeback. Die Verträge für ein Album und Konzerte handhabte der Popstar wie gewohnt: Er ließ sie platzen. Er verschwand. Er war der König.

Weitere Verträge existierten; in Amerika sprach Michael Jacksons Großfamilie seit geraumer Zeit von einer Rückkehr als The Jackson Five, gemeinsam mit der jüngeren Schwester Janet. Ein Geschäftsmann hatte sie mit Jacksons Einverständnis für 2010 verpflichtet. Zuletzt wollte der Veranstalter mit Hinweisen auf die entsprechenden Klauseln ein eigenmächtiges Comeback verhindern. Klagen ehemaliger Mitarbeiter liefen gegen ihn. Sogar der Video-Regisseur John Landis prozessierte. Michael Jackson hatte vor, ein "Thriller"-Musical zu inszenieren, voller Zombies.

Niemand weiß, was ihn am Schluss getrieben hat: die finanziellen Schulden oder das, wovon er glaubte, dass er es der Menschheit schulde, sich und seine Songs. Am 5. März hielt Jackson eine Pressekonferenz in London ab. Als Videobotschaft überbrachte er die frohe Kunde, wieder aufzutreten. Ab 8. Juli, für zehn Konzerte in der örtlichen O2-Arena. Anschließend brachen die Server für Karten-Vorbestellungen zusammen. Weitere Termine wurden anberaumt. Bis März 2010 wollte er so präsent wie nie zuvor sein, 50 Gastspiele absolviert haben und triumphal den Thron zurückerobern. Erst wurde der Auftakt um eine Woche verlegt, den Montag in zwei Wochen. Danach mehrten sich Gerüchte über den beklagenswerten Zustand Jacksons. Sein Geschäftsumfeld versicherte: Nie war er in besserer Verfassung.

Was wird von ihm bleiben? Bestenfalls unsterbliche Geheimnisse. In den nächsten Tagen wird wohl wieder die Erkenntnis reifen, dass es zwar nicht Michael Jackson brauchte, um zu zeigen, dass die Welt nicht mehr zu heilen ist, weil die Natur des Menschen es nicht zulässt. Allerdings hat Michael Jackson gegen die Natur noch angesungen, angetanzt, wahrscheinlich angelebt. Auf seiner letzten Platte gab es ein Stück mit dem Titel "Privacy". In der ihm eigenen Art stellte er Fluch und Segen seiner Existenz heraus: "Wollt ihr mich nicht einfach in Ruhe lassen?" Zumindest die Musik wird bleiben, wie man wieder einmal schreiben darf. Ein abgeschlossenes Werk.

Aber wer weiß: Von unzähligen Musikern und Produzenten werden aus den letzten Jahren weitere Aufnahmen bezeugt und astronomische Verschwendungen von Zeit und Geld. Mit Sicherheit lebt die Musik nicht nur im sprichwörtlichen Sinne fort. Man wird weiter von ihm hören. Michael Jackson ist tot. Er wurde 50 Jahre alt.