Die beiden Hamburger Ole Utikal und Hannes Mussbach installieren auf dem Dockville-Kunstcamp in Wilhelmsburg ein Stück deutsche Maßarbeit.

Dockville. Ursprünglich, so erzählt Ole Utikal, sei die ganze Sache einfach so ein Schnack im Freundeskreis gewesen. "Immer, wenn etwas besonders geradlinig lief und konsequent durchgezogen wurde, dann hieß das 'Autobahn' bei uns", sagt der 33-Jährige. Doch da sein Kumpel Hannes Mussbach und er von Haus aus Designer sind, haben sie sich so lange weiter mit dem Thema beschäftigt, bis jetzt ein Kunstprojekt daraus entstanden ist. Beim diesjährigen Dockville-Kunstcamp in Wilhelmsburg, das am Wochenende startet, haben die Hamburger deshalb der Deutschen liebstes Kind aufgebaut: ein Stück Autobahn.

All die historischen und kulturellen Bezüge rund um die Schnellverkehrspiste schwangen stetig mit, als die beiden die Idee am Computer entwarfen: Die erste öffentliche deutsche Autobahn, die 1932 zwischen Köln und Bonn von Konrad Adenauer eingeweiht wurde. Der Ausbau des Streckennetzes (und des Mythos Autobahn) im Dritten Reich. Die Brennerautobahn, die Nordeuropa in den 70ern den Weg nach Italien öffnete.

Perfektion und Hybris, Geschwindigkeit und Rausch, Mobilität und Freiheit - zahlreiche Künstler haben sich der symbolisch immens aufgeladenen Straße in ihren Werken angenommen. Allen voran die Düsseldorfer Band Kraftwerk mit ihrem Album "Autobahn" aus dem Jahr 1974. Das von Emil Schult illustrierte Cover zeigt einen Mercedes und einen Volkswagen auf glattem Asphalt vor hügeliger Idylle.

+++ Der Reiherstieg wird zum Kunstcamp +++

Utikal und Mussbach bewegen sich mit ihrer Installation, wenn man so will, im Spaghettiknoten zwischen Faszination für Kritik und ironischem Blick auf das Phänomen. "Vereinfachen Schnellstraßen wirklich unser Leben?", lautet eine ihrer zentralen Fragen.

Die Verschwendung, die ihrer Ansicht nach der Aus- und Neubau zahlreicher Strecken bedeutet, möchten die Kreativen mit ihrer Minitrasse auf dem Open Air karikieren. "Wir bauen ein Stück Autobahn, das isoliert mitten auf der grünen Wiese liegt und daher definitiv keinen Sinn macht", erklärt Mussbach. Und Utikal ergänzt: "Wenn da ein Laster drüberfahren möchte, hängt der mit den Vorderreifen schon wieder auf dem Rasen, so kurz ist das."

+++ In Gefahr: Bleibt das Dockville in Hamburg? +++

Drei Meter lang und 23 Meter breit ist der Streifen, den die beiden nach der offiziellen Bauvorlage RQ28 errichtet haben. Vierspurig. Mit original Leitplanken aus der Autobahnmeisterei. "Für uns ist dieses Stück akkurate deutsche Wertarbeit auch ein spannender Kontrast zu den freieren Werken der übrigen Kunstcamp-Teilnehmer", erläutert Mussbach. Die Differenz zwischen Hippieflair auf der einen und reglementiertem Verkehrswesen auf der anderen Seite dürfte aber im Laufe des Kunstcamps durchaus schmelzen wie flirrender Asphalt in der Sommerhitze. Denn die Künstler wünschen sich ausdrücklich, dass ihre Autobahn, die sie A 0 getauft haben, begangen, befeiert und betanzt wird. Abfahren und Raserei wird es also höchstens zur Musik geben. Ein Wildwechsel dürfte auf der Industriebrache im Hafen wesentlich wahrscheinlicher sein als eine Alkoholkontrolle. Und getankt wird wohl ohnehin, unabhängig von den Spritpreisen.

Eine gute Gelegenheit für Frontalunfälle mit dem anderen oder gleichen Geschlecht ist die Raststättenparty am 5. August, bei der DJ Stoecker Stereo die Bahn mit Hip-Hop-Beats zum Schwingen bringt. Und das vermutlich im wahrsten Sinne des Wortes. Denn die A 0 basiert (der Grünfläche zuliebe) nicht auf Teer, sondern auf Holzpaletten, die mit einer Sandfarbe gestrichen wurden und so einen täuschend echten Autobahn-Look angenommen haben.

+++ Kommentar: Lasst im Hafen Platz für Pop +++

Die körperliche Baustellenmaloche, die sie mit Hilfe der Handwerker auf dem Dockville-Gelände meisterten, war für Utikal und Mussbach "ein guter Ausgleich zum Schreibtisch". Zum Broterwerb betreibt Mussbach mit einem Freund das kleine Designstudio 2erpack und hat sich auf Corporate Design spezialisiert. Utikal gestaltet als Artdirector bei Gruner+Jahr Kundenmagazine. Ihren künstlerischen Background haben beide in Graffiti und Streetart. Zuletzt haben sie beim Roskilde-Festival in Dänemark mit anderen Sprayern eine ein Kilometer lange Wand bemalt. Utikal und Mussbach entschieden sich dafür, eine Musikklub-Toilette nachzuempfinden. Mit all den typischen Sprüchen und Stickern.

Letztlich ist ihre Autobahn ja auch nur eine horizontale Wand. Und abzuwarten bleibt, wie die Konzert- und Kunst-Besucher am Reiherstieg ihren Gestaltungswillen an dem Objekt ausleben - wenn sie es denn finden. Denn als eine Aktion um die A 0 sind, ganz wie im Alltag, Umleitungen geplant. "Die Gäste kommen dann überall hin, bloß nicht zu unserer Autobahn", sagt Mussbach und grinst. Doch der 32-Jährige und sein Kollege Utikal imitieren und persiflieren nicht nur den Verkehrskollaps. Sie machen auch das Hören des Verkehrsfunks, das normalerweise ein intimer Akt in der Geborgenheit der Karosserie ist, zum kollektiven Erlebnis. "Wir haben Jingles produziert, die die Musiker und DJs des Festivals auf CD erhalten und dann hoffentlich vor, während und nach ihren Sets spielen", erzählt Ole Utikal.

Der Designer macht übrigens gerade seinen Führerschein. Seine erste Autobahnfahrt hat er bereits hinter sich.