Vor dem Musikfestival im August lädt das Dockville-Kunstcamp zu Installationen, Performance und Workshops nach Wilhelmsburg.

"Entweder. Oder.", lautet das Motto des diesjährigen Kunstcamps, das dem Dockville-Musikfestival in Wilhelmsburg nicht nur vorangeht, sondern sich Mitte August auch mit diesem verquickt. Und der geneigte Betrachter muss nicht erst Kierkegaard und dessen philosophisches Pendeln bemühen, um zu erkennen, dass die Welt im Allgemeinen und die (Pop-)Kultur im Besonderen zwischen den Extremen taumelt und torkelt, also recht kompliziert ist.

Das Dockville ist der postmodernen Verzettelung stets nicht nur mit fröhlichem Trotz begegnet, sondern hat diese sogar zum Prinzip erhoben. Seit der Gründung im Jahr 2007 ist das Festival auf der Elbinsel zu einem mehrwöchigen, spartenübergreifenden Spektakel angewachsen. Und wenn ab diesem Donnerstag für zwei verlängerte Wochenenden gut ein Dutzend internationale Künstler und Kollektive ihr Schaffen am Reiherstiegknie präsentieren, zeigt sich wieder einmal: Eine Industriebrache kann durchaus erblühen. Mit Ideen und Objekten, mit Plänen und Unvernunft, Performance und Party, Musik und Lärm. Entweder oder? Oder doch eher ein Dazwischen?

Die Genres Malerei, Literatur, Musik und Film zu kreuzen, dem hat sich die Vereinigung Krautzungen verschrieben. Das Kunstcamp möchten die Hamburger mit Tolstois Roman "Krieg und Frieden" durchdringen, indem sie Textpassagen (mit hautverträglichem Stift) auf Arme, Beine und sonstige Körperteile der Gäste schreiben (26.7., 19 Uhr, 27.7., 18 Uhr, 28./29.7., 16 Uhr). Die Weltliteratur wird im wahrsten Sinne des Wortes lebendig. "Aufgrund des monumentalen Umfangs des Romans wird selbst bei reger Teilnahme das literarische Werk nicht vollendet werden können", erklären die Krautzungen. Passend dazu zeigt Flexibles Flimmern, Hamburgs mobiles Kino, "Die letzte Nacht des Boris Gruschenko", Woody Allens "Krieg und Frieden"-Adaption (26.-28.7., jew. 19.30 Uhr).

Mehr Entweder-Oder geht kaum? Weit gefehlt. An beiden Wochenenden führen kuratierte Spaziergänge zu den Werken auf dem Gelände. Und da geht die gezielte Verwirrung erst richtig los.

Eine sprudelnde Installation hinterfragt unseren Umgang mit Wasser. Performances sollen die Ausgeh-Gewohnheiten der Besucher gegen den Strich bürsten, Klangcollagen hingegen loten das Phänomen menschlicher Langeweile aus. Die Gruppe modular-t.org errichtet unter dem Titel "Borderville" einen realen Grenzwall, sodass die sonst häufig abstrakte Flüchtlingsproblematik physisch erfahrbar wird. Der bosnische Künstler Mladen Miljanovic führt dem Betrachter vor Augen, wie sich je nach Perspektive die Bedeutung von Worten und Welt wandeln kann. Um neue Blickwinkel ringt auch die Initiative Schwemmland, die wie viele andere Künstler zu Workshops einlädt, um Makro- und Mikrokosmos des Dockville kreativ zu erkunden.

All diese Projekte zu verbinden, hat sich der Streetart-Künstler Anton Unai zur Aufgabe gemacht. Denn der Spanier, der in Berlin wohnt und wirkt, errichtet seine dreidimensionalen Installationen aus den Abfällen seiner Kollegen. Eine Art Kunst-Kompostierung, aus der Neues erwächst. Viele seiner Arbeiten, erklären die künstlerischen Leiterinnen Dorothee Halbrock, Laura Raber und Susanne Schick auf der Dockville-Webseite, entstünden zwischen Bewusstsein und Unbewusstsein. Also zwischen Entweder und Oder.

Und wer noch nicht genug hat von all den Transitzuständen, kann einfach zum parallel stattfindenden Musikprogramm hinüberdriften. Etwa zum Konzert von Hgich.T am Freitagabend oder zum Butterland Open Air am Sonntagnachmittag, bei dem DJs und Musiker rund um die Kollektive Smallville und Klingtsogut! für die elektronische Verschmelzung der Dinge sorgen.

Dockville Kunstcamp Do 26.7.-So 29.7. und Do 2.8.-So 5.8., Reiherstieg Hauptdeich/Alte Schleuse (S 3/S 31 + Bus 13), Eintritt je nach Veranstaltung zw. 0,- u. 8,-; Infos unter: www.msdockville.de/kunst