Teile des Geländes sind nicht langfristig nutzbar, denn es soll “hafenbezogen“ genutzt werden. Festival droht nach Schleswig-Holstein abzuwandern

Hamburg. Wenn Jean Rehders mal so richtig träumt, also ganz ohne angezogene Handbremse, dann würde das Gelände des Dockville-Festivals in Wilhelmsburg von März bis Oktober bespielt. Mit Artists in Residence aus der ganzen Welt, die für Monate auf der Elbinsel gemeinsam wohnen, arbeiten, sich mit dem urbanen Hamburger Umfeld austauschen und letztlich die Stadt im Herzen wieder mitnehmen.

+++ Der Reiherstieg wird zum Kunstcamp +++

Neulich, erzählt der 32-Jährige, hätte das Dockville-Team einen Ausflug zur Documenta nach Kassel gemacht. „Wie die dort die Karlsaue nutzen, das ist beeindruckend“, sagt Rehders und blickt auf die sehr grüne Industriebrache am Reiherstieg, auf der heute das Kunstcamp eröffnet wird (siehe Live-Heft, S. 3). Ein Areal für Kunst, Avantgarde, Musik und Soziokultur mitten in der Metropole wünscht sich der Dockville-Sprecher dauerhaft auch für Hamburg. Und so unrealistisch sind seine Träume nicht, hat sich das Dockville in den vergangenen sechs Jahren doch zu einem spartenübergreifenden Kultursommer entwickelt. Allerdings: Die Handbremse, sie ist unfreiwillig immer angezogen. Dieser Tage mehr denn je. Eine kleine Anfrage der Grünen an den Senat hat ergeben, dass die Zukunft des Festivals auf dem Gelände gefährdet ist.

Konkret geht es um eine10,5 Hektar große Fläche, auf der die rund 9000 Camper zelten, die zum Abschlussfestival anreisen. Für das Dockville, das in diesen drei Tagen Mitte August insgesamt mehr als 22000 Popfans erwartet, ist der Zeltplatz das finanzielle Rückrat. 50 Prozent der Einnahmen werden durch die meist jungen Camper erzielt.

+++ Lüttville führt auch die Kleinen zur Kunst +++

Der Eigner, die Hamburg Port Authority (HPA), möchte das Gebiet jedoch sanieren und danach hafenbezogen nutzen, wie aus der Senatsantwort auf die kleine Anfrage hervorgeht. Die Fläche kann „dem Dockville Festival nur 2012 zur Verfügung gestellt werden“, heißt es in dem Dokument. Die Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt (BSU) spricht davon, dass die Campingfläche „voraussichtlich ab 2014 nicht mehr zur Verfügung“ steht. Damit hat die Planungsunsicherheit, mit der das Festival seit 2007 zu kämpfen hat, einen weiteren Höhepunkt erreicht.

Von Jahr zu Jahr müssen die Organisatoren auf eine Vertragsverlängerung hoffen und das Gelände aufgrund der Bauaktivitäten für die Internationale Gartenschau 2013 (IGS) zudem stets neu ausrichten. „Das ist wirtschaftlich eine Vollkatastrophe“, sagt Rehders. Da sein Team und er jedoch an einem konstruktiven Austausch mit der Stadt interessiert sind, haben sie bereits alternative Flächen geprüft, etwa an der Dratelnstraße. Der Ort sei aber lediglich für ein Drittel der Camper geeignet, erklärt Rehders. „Wir wollen keine großen Geldbeträge, sondern eine sichere Infrastruktur“, sagt der Sprecher. Derzeit wird der Musikbereich mit 10000 Euro von der Stadt unterstützt. Eine Summe, die zweieinhalbfach in die Kassen Hamburgs zurückgeht, erläutert Rehders. Denn das restliche Festivalareal mietet das Dockville von der IGS, die es wiederum von der BSU mietet.

So heterogen wie die Beteiligten, die in die Sache involviert sind (unter anderem verhandeln auch noch die Kulturbehörde, der Bezirk Mitte und die Finanzbehörde mit), liest sich auch die Senatsantwort. Einerseits heißt es: „Mit der Verbesserung der Erlebbarkeit des Hafens beabsichtigt der Senat vor allem, die Akzeptanz und das Verständnis der Bevölkerung für den Hafen, seine Aktivitäten und seine wirtschaftliche Bedeutung zu erhöhen.“ Andererseits wird erklärt: „Das Dockville-Festival hat einen positiven Einfluss auf das Image Hamburgs als lebenswerte Metropole mit pulsierenden Szenen und einer vielfältigen und kreativen Musikszene.“ Klingt nach klassischer Pattsituation zwischen wirtschaftlichen und kulturellen Interessen. Die Frage ist, wie lange die Veranstalter noch in den Mühlen der Bürokratie mahlen wollen.

+++ Kommentar: Lasst im Hafen Platz für Pop +++

Es gebe zwei konkrete Angebote, das Dockville in Schleswig-Holstein neu aufzuziehen, sagt Rehders. Mit „traumhaften Bedingungen“. Doch nach wie vor glaubt er an die Einmaligkeit und das Entwicklungspotenzial des Festivals im urbanen Hamburger Raum.

Anjes Tjarks, hafenpolitischer Sprecher der grünen Bürgerschaftsfraktion, der die Anfrage mit der Abgeordneten Christa Goetsch gestellt hat, nennt es ein „Armutszeugnis“, dass der Senat bisher keine „kreative Lösung“ gefunden habe, „die möglichst alle Interessen berücksichtigt“. Eine Kulturveranstaltung wie das Dockville stärke die Akzeptanz und Identifikation der Hamburger mit dem Hafen. Wer einmal durch den alten Elbtunnel Richtung Festival geradelt ist, weiß, wovon die Rede ist. Von einer Brücke aus hat man da einen guten Blick auf die Elbphilharmonie-Baustelle. Auch so ein Traum. Allerdings einer, der – anders als das Dockville – noch nicht lebendig ist.