Enfant terrible oder Genie? An Lars von Trier scheiden sich die Geister. Mit dem Abendblatt sprach er über sein Untergangs-Drama “Melancholia“.

Kopenhagen. Wer Lars von Trier in seinem Produktionsbüro im Kopenhagener Vorort Avedøre besucht, begegnet ihm schon in der Unterführung des Bahnhofs. Dort hängt ein überlebensgroßes Porträt des Starregisseurs. Arrogant und ein bisschen diktatorisch sieht er aus. Für die Fahrt zum Interview kommt die Assistentin mit einem Elektrocaddy in Tarnfarben. Auf dem Gelände befand sich eine Kaserne, die Filmemacher lieben den Military-Look. Sein Büro ist eine Mischung aus Wohncontainer und Künstlerkemenate. Lachend steht er in der Tür und ist ganz anders, als man ihn von seinen skurrilen öffentlichen Auftritten kennt. Wären da nicht die aussagekräftigen Buchstaben F - U - C - K, die er sich auf die Finger tätowiert hat. Beim Filmfestival in Cannes sorgte das langjährige Enfant terrible mit seinem neuen Werk "Melancholia" für Furore - und für einen Skandal. Im vergeblichen Bemühen, einen witzigen Auftritt hinzulegen, behauptete er, er sei ein Nazi und stellte Hitler-Vergleiche an. Danach wurde er von der Festivalleitung zur "persona non grata" erklärt. Sein Film über zwei ungleiche Schwestern (Kirsten Dunst, Charlotte Gainsbourg), in dem ein anderer Planet mit tödlicher Gewissheit auf die Erde zurast, blieb im Wettbewerb. Heute kommt das Drama in die Kinos.

+++ Melancholia: Die letzten Tage unserer Erde +++

Hamburger Abendblatt:

Herr von Trier ...

Lars von Trier:

Sie kommen aus Hamburg? Gutes altes Hamburg.

Sind Sie mal dort gewesen? Ich dachte, Sie reisen nicht so gern.

Von Trier:

Wir haben dort nach Locations gesucht. Ich erinnere mich an den Tunnel mit den Fahrstühlen für Autos.

Der alte Elbtunnel. Er ist gerade 100 Jahre alt geworden. Manchmal gibt es dort auch Konzerte und Ausstellungen.

Von Trier:

Aber für den Film ist er leider schon vergeben. Wim Wenders hat ihn in "Der amerikanische Freund" in Szene gesetzt. Dabei hatte er gar nichts mit der Geschichte im Film zu tun, den ich übrigens sehr mag. Aber Wim hatte schon immer ein Auge für so etwas.

Bei den Dreharbeiten zu "Antichrist" wurden Sie von Depressionen gequält. Danach sagten Sie, Arbeit würde helfen. Haben Sie sich jetzt geheilt?

Von Trier:

Vielleicht war es auch eine Heilung, aber auf jeden Fall war "Melancholia" der erfreulichste Film, den ich je gedreht habe. Das Ende der Welt ist eben etwas Gutes. Friedlich. Man kann ja sowieso nichts machen.

Ihr Film beginnt mit einem Prolog, der mit dem Vorspiel von Wagners "Tristan und Isolde" unterlegt ist. Sie wollten den "Ring" in Bayreuth inszenieren. Hat das etwas miteinander zu tun?

Von Trier:

"Tristan und Isolde" hat mir schon immer gut gefallen. Es ist ein fantastisches Musikstück, etwas Hochromantisches, und so ist dann auch der Film geworden. Ich bin Wagner in einer Art Hassliebe verbunden. Mit seinen Opern habe ich Schwierigkeiten, aber ich mag seine Orchestermusik.

Sie bereiten sich mit Musik auf Ihre Filme vor. Hören Sie da Klassik?

Von Trier:

Nein, auch sehr viel Pop. Warten Sie mal. (Er turnt zum Schreibtisch und holt seinen iPod.) Polarkreis 18, Simon and Garfunkel, Jethro Tull, Britney Spears, Beach Boys, Steppenwolf. Und weil ich Charlotte Gainsbourg so gut kenne, höre ich auch Songs ihres Vaters Serge. Was für ein Typ!

Das kann man über die Tochter aber auch sagen, oder?

Von Trier:

O ja. Ich glaube, sie erkennt etwas von der Verrücktheit ihres Vaters in mir wieder. Ich arbeite gern mit ihr. Apropos Väter. Ich habe vier Kinder und mache mit ihnen gerade ein Projekt zur Kunstgeschichte. Ich möchte, dass sie alle Stilrichtungen in der Malerei erkennen. Am vergangenen Wochenende habe ich ihnen gerade die 20 bekanntesten Bäume in Dänemark beigebracht.

Sind Sie ein Sterngucker?

Von Trier:

Nein, aber gut, dass Sie mich daran erinnern. Die wichtigsten Sternbilder müssen sie natürlich auch noch lernen. Meine armen Kinder!

Wieso ist Jean Genets Stück "Die Zofen" eine Quelle für diesen Film gewesen?

Von Trier:

Das lag an Penélope Cruz. Sie sollte eigentlich die weibliche Hauptrolle spielen und wollte, dass ich das Stück verfilme. Ich habe ihr gleich gesagt, dass ich nur Bücher verfilme, die ich selbst geschrieben habe. Aber dann hat es mich doch inspiriert. So kommt es auch, dass eine der Frauen in meinem Film Claire heißt, wie bei Genet. Ich habe sehr viel mit Penélope diskutiert.

Sie wäre eine ungewöhnliche Von-Trier-Heldin gewesen.

Von Trier:

Also, da muss ich erst mal Kirsten Dunst danken, die wunderbar gespielt hat. Ich würde gern wieder mit Penélope zusammenarbeiten. Aber ich habe ihr auch gesagt: Ich glaube, für dich schreibe ich keinen Film wieder.

Waren Sie sauer, als Penélope Cruz abgesprungen ist?

Von Trier:

Ich habe mich gefühlt wie Charlie Brown mit dem Football. Er läuft an und will ihn kicken, aber im letzten Moment zieht ihn Lucy weg.

Das Problem mit Superstars wie ihr ist: Wenn sie dir erst einmal zugesagt haben, erwarten sie von dir, dass du ihretwegen deinen Film verschiebst, wenn sie Terminprobleme haben.

Sie kombinieren in diesem Film Hoffnungslosigkeit mit visueller Opulenz. Normalerweise erlauben Sie Ihren Zuschauern nicht, in Schönheit zu sterben.

Von Trier:

Dieser Film sieht einfach zu gut aus. Wenn man aus einem protestantischen Land kommt, ist man immer etwas beschämt, wenn man bei der Arbeit nicht gelitten hat. Und ich habe leider gar nicht gelitten bei den Dreharbeiten. Ich weiß auch nicht, was da falsch gelaufen ist.

Wie sehen Sie die skandalumwitterte Pressekonferenz in Cannes heute?

Von Trier:

Pressekonferenzen haben mich schon immer eingeschüchtert. Man braucht Jahre, um einen Film fertigzustellen. Man hat sein Bestes gegeben, und es ist wirklich harte Arbeit, als ob man den Mount Everest besteigen würde. Und dann fragen sie, warum man ihn nicht in der Hälfte der Zeit bestiegen hat.

Man hat Sie in Cannes zur "Persona non grata" erklärt. Sind Sie es immer noch?

Von Trier:

Glauben Sie, die schicken mir eine Karte, auf der steht: Sie sind es jetzt nicht mehr?

Warum nicht? Eigentlich ist die Verbannung aber doch auch ein spezieller Preis.

Von Trier:

Und der wird nicht jedes Jahr vergeben. Ich bin auch ein bisschen stolz darauf. Es liegt auch daran, dass ich mich bei Pressekonferenzen verpflichtet fühle, etwas zu bieten und gern eine kleine Stand-up-Nummer mache.

Wohin geht die Reise jetzt?

Von Trier:

Der nächste Film soll ein richtiges Schlamassel werden. "Nymphomaniac", wird lang und extrem langweilig. Das Publikum wird ihn hassen.

(Neben seinem Sofa steht ein großes Hubschraubermodell, daneben liegt eine Fernbedienung)

Fliegen Sie den?

Von Trier:

Ja. Vor zwei Wochen habe ich sogar einen echten Helikopter gesteuert, natürlich mit einem Piloten an meiner Seite. Das Modell ist viel schwerer zu fliegen. Es war das erste Mal seit 30 Jahren, dass ich wieder in der Luft war.

Haben Sie jetzt Ihre Flugangst überwunden? Sie könnten in die USA reisen. Zu dem Land haben Sie doch ein ähnliches Verhältnis wie zur Musik von Wagner.

Von Trier:

Vielleicht ist es in einem großen Flugzeug anders. Angst und Faszination liegen ja dicht beieinander.