Erst viel Mut, dann der Aufstand - und jetzt? Die ägyptische renommierte Autorin Salwa Bakr schreibt im Abendblatt über ihr Land im Umbruch.

Es war ein winterlich kalter Sonnenuntergang, der am Abend des 25. Januar den Himmel über Kairo in rote Farbe tauchte. Ich saß mit meiner Tochter und ihrem Verlobten vor dem Fernsehbildschirm und verfolgte die Demonstrationen junger Menschen auf dem Tahrir-Platz. Plötzlich rief der Verlobte: "Lasst uns hingehen!" Schnell liefen wir zum Platz, der von unzähligen Sicherheitskräften umzingelt war. Irgendwo hier muss auch mein achtzehnjähriger Sohn sein. Er war uns vorausgegangen. Trotz Gedränge erkannte ich Dutzende aus meiner Generation. Wir, die an den Studentenprotesten von 1972 teilnahmen und die Befreiung des Sinai von der israelischen Besatzung und bessere Lebensbedingungen für die arme Bevölkerung forderten. Verblüfft stand ich da und konnte es kaum fassen, dass sich Ägypten noch einmal erhebt, nach Freiheit und Brot verlangt und sich dem schlimmsten Regime seiner neuen Geschichte zu entledigen sucht.

In den letzten Jahren hatte ich mit anderen Mubarak-Gegnern zu einigen kleineren Protesten aufgerufen. Nun stand ich mit meiner kleinen Familie auf dem Tahrir-Platz, und mir wurde bewusst, dass dieses Regime gehen muss. Das Volk wollte den politischen Wechsel. Der flammende Wind der Revolution in Tunesien hatte die Leidenschaft aller Ägypter entfacht. Kaum hatte die Jugend den Protest ins Rollen gebracht, schon erhob sich ganz Ägypten von Alexandria im äußersten Norden bis Assuan im äußersten Süden.

Im Gewühl der Menschen fand ich nach langer, mühsamer Suche meinen Sohn. Ein Stein hatte ihn am Kopf getroffen und verletzt. Er hatte geblutet und sich bei Auseinandersetzungen mit der Polizei die Schulter verrenkt.

Diese Revolution war für alle eine Überraschung - selbst für jene, die daran teilnahmen. Die politische Landschaft Ägyptens vor dem 25. Januar ließ nicht im Geringsten vermuten, dass eine Revolution von solch einem Ausmaß möglich wäre. Alle vorausgegangenen Proteste waren wirtschaftlicher Natur und beschränkten sich eher auf die Forderung nach Lohnerhöhung.

Die Parteien der Opposition waren nur eine demokratische Dekoration. Vom Regime schon unter Präsident Sadat erfunden, dienten sie nur dazu, der Weltöffentlichkeit weiszumachen, es gäbe eine Demokratie in Ägypten. In Wahrheit waren sie Marionetten des Regimes. Die letzten parlamentarischen Wahlen waren eine Farce.

Die Mitglieder der tatsächlichen oppositionellen Gruppen wurden unterdessen vom repressiven Sicherheits- und Polizeiapparat verfolgt. Dem war es zudem gelungen, in jeder Institution des Landes Verbündete für sich zu gewinnen. Auch einige Schriftsteller und Künstler unterhielten Beziehungen zu diesem, um die Leitung einer Literaturzeitung oder Kunstzeitschrift zu übernehmen. Und so hat so manche Berühmtheit heute ihren Ruf derartiger Zusammenarbeit zu verdanken.

Nun zeigte die Revolution ein anderes Bild von Ägypten. Den eisernen Kommunikationsmitteln war es gelungen, die Blockaden des Regimes zu durchbrechen. Die Organisation einer Demonstration im Internet war ein Leichtes. Es bedurfte nur weniger Klicks, und schon befanden sich Hunderte auf dem Tahrir-Platz. Mein Platz war jetzt dort. Es war unmöglich, vom Tagesanbruch an etwas anderes zu tun, als auf den Platz zu gehen.

Das ägyptische Regime versuchte, diese Revolution zunächst einer Handvoll zorniger junger Menschen und der Muslimbrüderschaft zuzuschreiben. Letztere hatte das Regime Jahrzehnte lang benutzt, um die USA und Europa Angst zu machen. Das Regime hatte behauptet, einzig und allein in der Lage zu sein, die Muslimbrüder in Schach zu halten und die Welt vor ihnen zu schützen. Es erhielt Milliarden - die nicht der armen Bevölkerung zugute kamen, sondern direkt auf die Auslandskonten der Regimemitglieder flossen.

Die Revolution, der sich alle Ägypter anschlossen, gleich welcher Religion oder Gesellschaftsschicht sie angehörten, war im Wesentlichen eine kulturelle Revolution. Sie verkörperte den Kampf um die Freiheit im weitesten Sinne. Man kämpfte für soziale Gerechtigkeit und Bürgerrechte, gegen patriarchalische Werte und die alten Strukturen der öffentlichen Verwaltung, die sich auf Bestechung, Beziehungen und Günstlingswirtschaft gründeten.

Viele Tausend Frauen - Musliminnen und Christinnen - gingen auf die Straße. Frauen, die in dieser Revolution unbedingt vertreten sein wollten, nicht zuletzt, weil sie unter dem alten Regime herbe Rückschläge bei bereits Anfang des 20. Jahrhunderts erzielten Errungenschaften erleiden müssten, wie etwa das Recht auf Bildung und das Recht auf Arbeit. Unter Mubarak war die Chance junger Mädchen, eine Schule zu besuchen, drastisch zurückgegangen. Im besonderen Maße galt das für Mädchen, die auf dem Land leben, was auf die Kürzung der Gelder für Bildung und Gesundheit zurückzuführen ist. Arme Familien entschieden daraufhin, nur die Jungen in die Schule zu schicken, da sie der Meinung waren, dass eine Ausbildung für Mädchen wegen der üblichen Frühheirat weniger von Nutzen sei.

Das Regime machte sich ferner den angeblichen religiösen Streit zwischen Muslimen und Christen zunutze. Später stellte sich heraus, dass der ehemalige Innenminister Habib al-Adly der Drahtzieher der meisten auf ägyptische Kirchen verübten Anschläge war.

Für die Zeit nach Mubarak ist die große Herausforderung an jedes System, das kommen mag, nachdrückliche Forderungen zu stellen. Nach grundlegenden Umstrukturierungsmaßnahmen wie der Alphabetisierung von über 80 Prozent der Bevölkerung, einer gerechten Neuverteilung des Volksvermögens, der Entwicklung einer Strategie für eine nachhaltige Nutzung von natürlichen Ressourcen und Humanvermögen und nicht zuletzt der Gewährleistung eines parlamentarischen und politischen Lebens fernab von Korruption. Diese Herausforderung ist keine leichte Aufgabe. Sie erfordert Arbeit, Mühe und vor allem Zeit.

Übersetzung: Muslih Husein