Zehn deutsche Archäologen harren derzeit in Kairo aus - und verfolgen Tag für Tag, wie Ägypten, die Wiege der Zivilisation, in Scherben zerbricht.

Hamburg. Es sei ein geradezu surreales Gefühl, sagte Ulrich Hartung, ein Mitarbeiter des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI), als er gestern in der Zentrale des Instituts in Berlin anrief. Mitten in Kairo stand er da, am Fenster seiner Wohnung auf der Nilinsel Zamalek: Von hier aus kann Ulrich Hartung über den Nil bis zum Tahrir-Platz schauen, dem Schauplatz der politischen Unruhen in Ägypten. Er hat die Demonstrationen beobachtet, hat mit Bangen verfolgt, wie vorgestern Rauch vom Gelände des Ägyptischen Museums aufstieg - und Angst gehabt um die unermesslichen Schätze, die dort mehr schlecht als recht lagern. Er hat beobachtet, wie am Mittwoch die Demonstranten von Mubarak-Anhängern brutal attackiert wurden, wie die Revolution des Volkes in Gewalt erstickt werden sollte. Wenn man so will, hat Ulrich Hartung in den vergangenen Tagen aus seinem Fenster den Anbruch eines neuen ägyptischen Zeitalters verfolgt.

Es ist schwer zu ermessen, was Archäologen derzeit empfinden, wenn sie machtlos zusehen müssen, wie die weltgrößte Sammlung ägyptischer Altertümer von Feuer und Gewalt bedroht wird. Denn das tun sie: Zehn deutsche Wissenschaftler befinden sich noch immer in Ägypten - und wollen vorläufig auch dort ausharren.

Ihre im Land verteilten Grabungsstätten haben sie bereits am Wochenende verlassen müssen, sie kehrten in die Ägypten-Zentrale nach Kairo zurück. Auch die befindet sich auf der Insel Zamalek. Jeden Vormittag treffen sich die Wissenschaftler dort, um sich auszutauschen, um Kontakt zu ihren ägyptischen Partnern vom Antikendienst zu finden. Und um Informationen zu bekommen. Aber die Nachrichtenlage ist unklar, viel ist über die Lage der Grabungsstätten nicht zu erfahren. Nach einigen Stunden müssen sie zurück in ihre Wohnungen, ab 15 Uhr herrscht Ausgangssperre. Die Handys funktionieren zwar, dürfen aber nur für Notrufe benutzt werden.

Zamalek ist eine noble Gegend mit Botschaften und Firmenrepräsentanzen. Hier herrscht eine trügerische Normalität. Die Geschäfte sind geöffnet, alles scheint seinen normalen Gang zu gehen. Die Revolution ist entrückt - und vollzieht sich doch in Sichtweite.

Bis Mittwochabend hat das DAI alle Stipendiaten, Gäste und Familienangehörige der deutschen Beschäftigten außer Landes gebracht. Die zehn verbliebenen Mitarbeiter sind fest angestellte Wissenschaftler, die erst ausreisen werden, wenn die Botschaft das ausdrücklich anordnet. Sie leben inzwischen alle auf Zamalek; diejenigen, die ihre Wohnungen anderswo haben, sind entweder in der DAI-Zentrale oder bei Kollegen untergekommen.

Das Deutsche Archäologische Institut genießt in Ägypten einen vorzüglichen Ruf. Die 1829 gegründete wissenschaftliche Forschungseinrichtung, die heute dem Auswärtigen Amt untersteht, ist seit 1907 in Ägypten aktiv. Damals firmierte sie als Kaiserlich Deutsches Institut für Ägyptische Altertumskunde. Bis vor wenigen Tagen waren deutsche Wissenschaftler an sechs Grabungsstätten tätig, an denen das DAI Grabungshäuser betreibt: in Buto im Niltal, in der Oase Siwa, in Abydos in Mittelägypten, in Dassur bei Sakkara, in Assuan und in Luxor. Nur das Grabungshaus in Luxor ist zurzeit noch besetzt, allerdings unfreiwillig.

Der dortige Kollege bleibt vor Ort, weil es gegenwärtig zwischen Luxor und Kairo weder Flüge noch Bahnverbindungen gibt und die Straßen im Land zu gefährlich sind. Auf die Frage, wie stark die Grabungsstätten gefährdet sind, antwortet DAI-Pressesprecherin Nicole Kehrer: "Die Lage ist sehr unübersichtlich und auch von Provinz zu Provinz unterschiedlich. Von einem ägyptischen Angestellten in Abydos haben wir erfahren, dass es dort absolut ruhig ist. Die Grabungsflächen werden nach wie vor von der Polizei überwacht, die Amerikaner graben sogar noch. In Sakkara sieht es dagegen ganz anders aus. Wir haben ein kleineres Haus in Dassur in der Nähe von Sakkara. Das wurde aufgebrochen und geplündert."

Das DAI unterhält aber auch Außenstellen in weiteren, politisch zunehmend instabilen Regionen des Nahen und Mittleren Ostens. Zum Beispiel im Jemen. Die Lage ist hier schon seit Jahren angespannt. "Die Grabungsflächen im Jemen liegen in Gebieten, die seit Längerem von Ausländern nicht mehr betreten werden dürfen. In der jemenitischen Hauptstadt Sanaa arbeiten ohnehin nur drei bis vier Mitarbeiter. Diese haben sich inzwischen neue Projekte in Äthiopien gesucht, an denen sie zurzeit arbeiten."

Anders sieht es in der syrischen Metropole Damaskus aus. Dort betreibt das DAI eine große Zweigstelle mit zahlreichen Mitarbeitern und Stipendiaten. Vorläufig herrscht hier noch Normalität. Doch jeder weiß, dass sich das sehr schnell ändern kann.