Bei ihrem Treffen mit Netanjahu in Jerusalem fordert Kanzlerin Merkel den israelischen Ministerpräsidenten zu Zugeständnissen in Nahost auf.

Hamburg/Kairo. Der Zeitpunkt für politischen Druck auf Israel ist derzeit vielleicht nicht der allerbeste. Gebannt und mit großer Sorge blickt Jerusalem auf die Unruhen beim Friedenspartner Ägypten; was dort geschieht, hat unmittelbare, möglicherweise gar dramatische Auswirkungen auf Israel. Dennoch hatte sich Bundeskanzlerin Angela Merkel fest vorgenommen, Klartext mit der Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu zu reden. Berlin wünscht sich endlich Zugeständnisse im seit Monaten stagnierenden Nahost-Friedensprozess mit den Palästinensern.

Natürlich überschattete die Ägypten-Krise dann die dritten bilateralen Regierungskonsultationen, zu denen Merkel gestern mit acht Ministern nach Jerusalem anreiste, darunter Bundesinnenminister Thomas de Mazière (CDU), Entwicklungsminister Dirk Niebel (FDP), Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) und Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU).

Im Gespräch mit Netanjahu machte die Kanzlerin gestern deutlich, dass die ägyptische Krise eine Lösung der Nahost-Problematik dringlicher denn je mache, und forderte den israelischen Regierungschef zu erkennbarer Bewegung im Prozess mit den Palästinensern auf. Auch über den umstrittenen Siedlungsbau, den Merkel als Hindernis betrachtet, wurde ausführlich gesprochen, so hieß es.

Die Kanzlerin kann sich offene Worte leisten - sie ist ein respektierter Gast in Israel und gilt als enger Freund des jüdischen Staates. Am Sonntag erst hatte Netanjahu auf einer Krisensitzung des Kabinetts gesagt: "Wir sehen Deutschland - eines der wichtigsten Länder der Welt und eines der wichtigsten für Israel - als einen Hauptanker unserer Beziehungen mit Europa."

Bezüglich des Friedensprozesses plane er aber bereits konkrete Schritte, versicherte Netanjahu - ohne allerdings Details zu nennen. Auch die Minister der beiden Kabinette kamen zu Gesprächen zusammen; dabei wurden diverse Vereinbarungen über Forschung, Umwelt, Klima und Jugendaustausch getroffen.

Doch die ägyptische Krise nimmt Israels Regierungschef derzeit völlig in Beschlag. Gegenüber Merkel sprach Netanjahu von einer "dramatischen Lage" und warnte vor der Gefahr, dass dort radikale Islamisten die Macht in Ägypten ergreifen könnten.

Israel ist offenbar vom Ausmaß und der Wucht der Straßenproteste beim Nachbarn Ägypten überrascht worden. Unkompliziert war das Verhältnis zwischen Ägyptern und Israelis ja nie. Jedes Schulkind kennt die Geschichte vom ägyptischen Pharao, der die als Sklaven schuftenden Israeliten nicht ziehen lassen will. Der den Fliehenden seine Armee auf den Hals hetzt - die aber zugrunde geht, als Moses die Wasser des Schilfmeeres über ihnen zusammenschlagen lässt.

Doch derzeit ist es Israel, das den schwer bedrängten Herrscher Ägyptens, Husni Mubarak, vehement verteidigt. Eindringlich rufen führende Politiker Israels die Staatengemeinschaft dazu auf, Mubarak nicht zu heftig zu kritisieren.

Die Zeitung "Haaretz" und der Militärrundfunk zitierten aus einer geheimen Bitte der israelischen Regierung an die USA, China, Kanada und mehrere europäische Partner, "jede öffentliche Kritik an Präsident Husni Mubarak zu bremsen". Netanjahu wies auch sein Kabinett entsprechend an.

Denn Israel hat bei einem Umsturz am meisten zu verlieren - sollte am Ende gar die islamistische Muslimbruderschaft in Kairo an die Macht gelangen, so würde sich die Sicherheitsarchitektur im Nahen Osten dramatisch zuungunsten Israels verändern.

Nachdem bereits im Libanon eine Marionette der radikalislamischen, proiranischen und israelfeindlichen Hisbollah regiert, würde sich in Ägypten die stärkste Armee Arabiens - massiv aufgerüstet von den USA - womöglich zu einer Bedrohung Israels entwickeln. Nicht zu vergessen: Die im Gazastreifen herrschende, ebenfalls militant islamistische Hamas ist ein direkter Ableger der Muslimbruderschaft.

"Es wird keine Demokratie in Ägypten geben", warnte Eli Shaked, Israels Botschafter in Kairo zwischen 2003 und 2005, im US-Sender CNN. "Falls es demokratische Wahlen im Sommer oder in naher Zukunft geben sollte, dann würden sie die ersten und letzten demokratischen Wahlen in Ägypten sein." Shaked geht offenbar davon aus, dass die Muslimbruderschaft - deren Wählerpotenzial derzeit auf höchstens 30 Prozent geschätzt wird, noch gewaltigen Auftrieb erfahren wird.

Auch Israels Präsident Schimon Peres warnte gestern vor einer Machtübernahme durch fanatische Islamisten. Ausdrücklich dankte er Mubarak für die Bewahrung des Friedens im Nahen Osten. Israel hat es Husni Mubarak nie vergessen, dass er den Friedenskurs seines Amtsvorgängers Anwar al-Sadat nach dessen Ermordung 1981 mutig fortgesetzt hat - obwohl Ägypten deswegen in der arabischen Welt vorübergehend völlig isoliert war. Der Friedensschluss von 1979 ist die wohl wichtigste Säule einer Stabilität im Nahen Osten.

Der frühere Luftwaffenkommandeur Mubarak, unter Sadat noch Vizepräsident und Überlebender des Attentats, überstand seitdem selber mindestens sechs Attentate islamistischer Fanatiker auf ihn. Eli Avidar, ehemals israelischer Gesandter in Katar, sagte, Demokratie könne nur geschaffen werden, wenn es die richtigen Institutionen und die geeignete Gesellschaft gebe, um sie anzunehmen. "Sonst werden radikale Gruppen wie die Muslimbruderschaft Ägypten ruckzuck übernehmen." Er verwies auf die Vorgänge im Gazastreifen, wo die Hamas bei Wahlen an die Macht gekommen sei.

Israelische Zeitung griffen die Kritik der USA am Mubarak-Regime teilweise scharf an. Dass Obama für einen "geordneten Übergang" in Kairo plädiert hatte, sei für Mubarak "eine Kugel in den Rücken - von Uncle Sam", schrieb "Maariv". Ein anderer Kommentator meinte, Washington habe Mubarak fallen gelassen "wie eine heiße Kartoffel". Ex-Botschafter Avidar sagte, Obama habe gegenüber Mubarak "enorme Respektlosigkeit" gezeigt. Die US-Administration begreife die Kultur des Nahen Ostens einfach nicht.

Gestern versammelten sich trotz eines Ausgehverbots wieder Tausende auf dem zentralen Tahrir-Platz in Kairo. Hubschrauber kreisten über der Stadt.

Zahlreiche Länder setzten ihre Bemühungen fort, ihre Staatsbürger aus Ägypten auszufliegen, darunter auch die Bundesrepublik. Mit einem Linienflug und einer Sondermaschine kamen zahlreiche Touristen und Geschäftsleute in Frankfurt an.