Im Ernst-Deutsch-Theater wurde zum 13. Mal der Bertini-Preis für junge Menschen mit Zivilcourage verliehen. Und Hamburg blickt in die Zukunft.

Hamburg. Im Jahre 1982 bekam Ralph Giordano einen Anruf aus Hamburg. "Sie haben mein Buch gestohlen!", warf ihm eine Dame vor, sie rief aus Freiburg an. Dort wohnt Ingeborg Hecht noch immer, aber sie stammt aus Hamburg. Ihr jüdischer Vater wurde im KZ ermordet, ihre Lebensgeschichte erzählte die alte Dame in ihrem Erinnerungsbuch "Als unsichtbare Mauern wuchsen". Das wichtige Zeugnis der Nazi-Zeit erschien kurz nach Giordanos eigenem, autobiografisch gefärbtem Zeitroman "Die Bertinis".

"Es handelte von denselben Erfahrungen, spielte an den Schauplätzen", erklärte Giordano dem Auditorium im Ernst-Deutsch-Theater. Seinem Roman ist der Name des Preises entlehnt, der gestern zum 13. Mal an Hamburger Schüler vergeben wurde: Der Bertini-Preis ehrt und fördert Schüler, die Erinnerungsarbeit leisten, die Opfer der NS-Zeit vor dem Vergessen retten und sich gegen die Ausgrenzung von Menschen richten. Für den Ehrenvorsitzenden des Preises, den steten Mahner und Warner Ralph Giordano, schloss sich ein Kreis: Unter den fünf ausgezeichneten Projekten des Bertini-Preises war in diesem Jahr auch ein Theaterprojekt des Gymnasiums Lerchenfeld, das Ingeborg Hechts Buch auf die Bühne gebracht hat.

Der Bertini-Preis gehört mittlerweile fest zur Hamburger Erinnerungskultur. Wenn deutschlandweit am 27. Januar, dem Jahrestag der Auschwitz-Befreiung, der Opfer der Schoah gedacht wird, blickt man in Hamburg auch nach vorne. "Es muss eine Form der Erinnerung gefunden werden, die in die Zukunft wirkt", zitierte Schulsenator Dietrich Wersich den ehemaligen Bundespräsidenten Roman Herzog. Eine Forderung, die bei den Hamburger Schülern auf fruchtbaren Boden fällt: An den fünf Projekten des vergangenen Jahres beteiligten sich 85 Schüler.

Diesmal waren auch Schüler aus Prag an einem Vorhaben beteiligt, sie begaben sich mit ihren Hamburger Altersgenossen auf die Spur von jüdischen Harburgern, die ins KZ Theresienstadt deportiert wurden. Betreut wurde das Projekt unter anderem von der Tschechin Dagmar Lieblova, die ab 1944 neun Monate lang in den Außenstellen des KZ Neuengamme war. Ihre Familie wurde von den Nazis ermordet.

So etwas wie der Völkermord an den Juden darf nie wieder passieren - und pathetisch wirkende Formulierungen sind vielleicht gerade groß genug, um die Erinnerung wachzuhalten. "Ingeborg Hecht und ich haben erlebt, wie aus einer Demokratie ein KZ-Staat wurde. Deswegen sind wir jeden Tag froh, wenn wir aufwachen, dass es das Grundgesetz gibt", sagte Giordano.

Der 88-Jährige rief den Schülern einmal mehr das Motto des Bertini-Preises zu: "Lasst euch nicht einschüchtern!" Außerdem verwies er auf Neonazis und Ewiggestrige, die es immer, gegen einen machtlosen Staat, gebe - "das macht uns wütend".

Der ehemalige Hamburger Bürgermeister Ortwin Runde erinnerte in seiner Rede an den Hamburger Schüler Helmuth Hübener, der Flugblätter gegen den Krieg verteilte und 1942 in Berlin-Plötzensee hingerichtet wurde. Er war das jüngste Opfer des erbarmungslos gegen Widerstandskämpfer vorgehenden Volksgerichtshofs. Außerdem zitierte Runde den in Berlin geborenen französischen Intellektuellen Stéphane Hessel. Der Résistance-Kämpfer und Überlebende des Konzentrationslagers Buchenwald ist Autor des Essays "Empört euch!", das in Frankreich bereits mehr als eine Million Mal verkauft wurde. Hessel sieht die Gefahr einer großen gesellschaftlichen Gleichgültigkeit. "Es ist eine Fähigkeit, sich zu empören. Hessels Forderungen spiegeln sich in dem, was der Bertini-Preis auszeichnet", sagte Runde.

Also in den Projekten der Hamburger Jugendlichen. Für die gab es das verdiente Lob und den guten Rat mit auf den Weg, weiterhin couragiert, engagiert und durchsetzungsfähig zu sein - gerade auch gegen Widerstände.

www.bertini-preis.de