Jenseits der Hamburger Staatstheater stehen die Stadttheater Schleswig-Holsteins mit dem Rücken an der Wand. Eine Rundreise.

Schleswig/Lübeck/Kiel. Als "achtes Weltwunder" soll der legendäre Intendant August Everding einst das deutsche Stadttheatersystem bezeichnet haben. Einzigartig sollte das wohl meinen, sensationell und erhaltenswert. Koste es, was es wolle. Damals, in der liquiden alten Zeit, war dieses Denken noch drin. Doch jetzt, an einem herbstkühlen Morgen in der Schleswiger Innenstadt muss man als Besucher aus der Staatstheater-Metropole Hamburg sehr gutwillig sein, um das Wunder dieses Systems zu erkennen. Die Kosten und das Wollen - da liegt das Problem.

Vor der Kasse des Landestheaters wird geruhsam gefeudelt, das Besprechungszimmer von Intendant Peter Grisebach sieht so fünfzigerjahreantik aus, als stammt es aus dem Kulissenfundus eines Heinz-Ehrhardt-Films. Grisebach, zuvor Chef des Theaters in Wilhelmshaven, hat seine Lehrjahre bei Liebermann und Everding an der Hamburger Staatsoper absolviert, 124 Kilometer südlich, Welten entfernt. "Ich behandle hier alle gleich schlecht", berichtet Grisebach ganz pragmatisch.

Über Gagen verhandelt er hier nicht mehr. Seit August ist er im Amt und ist nun stolz wie Bolle, dass er zwar kein Weltwunder, aber immerhin ein örtliches Mirakel geschafft hat: Er hat auf Biegen und Brechen 700 000 Euro gespart und damit die Hälfte seines akuten Lochs im 20-Millionen-Haushalt gestopft. Hat mit frischem Wind im Spielplan die Abo-Zahlen nach oben gedrückt (20 Prozent plus in Flensburg, zwölf in Rendsburg, acht in Schleswig), ohne Stammkunden zu vergraulen. Hat den Gäste-Etat für diese Spielzeit halbiert. Und muss nun nicht 80 seiner rund 350 Mitarbeiter entlassen, weil er nur so noch dem Streichdruck ab 2012 entkommen könnte. Peter Grisebach hat Zeit gewonnen. Nicht den Kampf. "So etwas geht nur einmal, dann kommt die nächste Tariferhöhung."

Zwei ganz normale Spielzeittage unterwegs in Schleswig-Holstein, hinter den Kulissen der drei großen Kultur-Lieferanten. Das Land ist so überschuldet, dass es flächendeckend stöhnt und kracht. Im Frühjahr hatte die Regierung beschlossen, die FAG-Mittel für die kommunalen Theater zu deckeln. Aus dem Beamtendeutsch übersetzt: Die Bühnen in Kiel und Lübeck sowie das Schleswig-Holsteinische Landestheater - das größte Deutschlands - mit Hauptniederlassungen in Flensburg, Schleswig und Rendsburg bekamen in einem Akt fiskalischer Notwehr die Pistole auf die Brust gesetzt.

+++ Kommentar: Totgesparte spielen länger? +++

Hier wie so ziemlich überall in Deutschland haben Bühnen bald nur noch die Qual der Wahl ihrer wahrscheinlichsten Todesart. Sie können sich - siehe das Landestheater - aushungern bis aufs Skelett, sich - siehe Lübeck - mehr und mehr wegsparen. Sich à la Kiel erfolgreich verausgaben bis an den Rand des strukturellen Zusammenbruchs. Oder verzweifelt zusehen, wie sie ausbluten, wie ihnen die garantiert kommende nächste Tariferhöhung der Mitarbeiter das Genick bricht.

In jeder Chefetage geht man mit dieser Misere anders um. Beim Landestheater, das mit Unmengen von Gastspielen tapferen Kultur-Basisdienst im Flächenland leistet, ging man ans Eingemachte. Die Ensembles wurden von Grisebach verjüngt und damit noch billiger. Schauspieler mit "Spitzengehältern" von 3000 Euro wurden ausgemustert, nun spielen andere, Jüngere für 2000 Euro. Selbstausbeutung mit Applaus als Schmerzensgeld. Ein Kredit auf die Karriere; die Provinz als Startrampe, auf der man sich ausprobieren kann, nicht als Endstation.

Christian Schwandt, beim Lübecker Theater für die Finanzen zuständig, hat einen radikal anderen Weg eingeschlagen. Montags, dienstags und mittwochs ist dort spielfrei. An den anderen Tagen steht das Haus sehr ordentlich da. Eigentlich ist es eine Erzsünde, Theaterfinanzen zu sanieren, indem man nicht spielt. "Wir haben versucht, weiter zu optimieren", sagt Schwandt dazu. 30 Prozent der Verwaltung eingespart. "Wir haben versucht, dass die künstlerischen Ensembles so wenig wie möglich abbekommen."

Dreimal wurden in den vergangenen Jahren die Preise erhöht. Dafür gab es aber auch, zuletzt wegen des Wagner-Mann-Projekts inklusive "Ring", Auslastungszahlen zwischen 85 und 90 Prozent. Bei seinen Kollegen hat sich Schwandt sehr unbeliebt gemacht, als er laut darüber nachdachte, warum Lübeck bei seinem 19-Millionen-Euro-Etat nur 9,78 Millionen Zuschuss vom Land bekommt, aber das Landestheater 13,27 und Kiel 13,65 Millionen Euro. "Wir sind das am schlechtesten Finanzierte und glauben, dass das nicht gerechtfertig ist." Schwandt schlug leistungsbezogene Subventionen vor, bezogen auf Zuschauerzahlen, Einnahmen und Zuschauer bei der Jugendarbeit.

In dieser Hansestadt steht die Politik hinter ihrem kulturellen Angebot und ihrem Theater, das Lübecker Rathaus bewilligte für die Spielzeit 2009/10 450 000 Euro nach. Wo zwei Literaturnobelpreisträger zu Hause sind und man beobachtet, wie viele Senatoren in den Premieren sitzen, mag man sich nicht als kulturbanausig blamieren. "Wir sind im Moment relativ gut aufgestellt", sagt Schwandt sehr vorsichtig, "Lübeck geht es momentan dreckig, und ich kann heilfroh sein, wie man hier reagiert hat."

Am nächsten Morgen vor dem Landtag an der Kieler Förde. Wo geht's denn hier zur Mahnwache? "Haus B", antwortet der Pförtner routiniert. "Inzwischen grüßen wir uns auch", berichtet Siegfried Jacobs, Schauspieler und Personalrat am Theater der Landeshauptstadt. Mit dabei ist Personalrätin Kerstin Abramowski aus der Technik. Auf ihrem Protestschild steht "Theater ist Bildung", auf seinem "Solidarität mit dem Landestheater". Seit Februar ist immer dienstags jemand hier, um Politiker an ihre Probleme zu erinnern. Heute sind sie nirgendwo zu sehen. Die Zwei-Personen-Demo mahnt ins Leere, ist aber guten Mutes. Das Zeichen zählt.

Dieser Ansicht ist auch Eckhard Zirkmann, Staatssekretär für Kultur und Bildung, der in einem Verwaltungshochhaus bodenfern über die Förde blicken kann. Redlich und freundlich sich bemühend, umschreibt er seinen Politiker-Logenplatz zwischen Baum und Borke und spricht von großen finanziellen Herausforderungen. Was soll er auch sonst machen, denkt man sich bei der Abfahrt im Paternoster.

Zehn Gehminuten entfernt, im Kieler Opernhaus, kann Generalintendant Daniel Karasek in seinem Büro mit Blickkontakt zum Rathaus beim besten Willen nicht mit aktuellen Katastrophen dienen. "Bei uns gibt's überhaupt keinen Grund zum Jammern", sagt er, und man mag seinen Worten kaum trauen. "Die Stadt ist im Grunde sehr solidarisch mit dem, was hier passiert." Seine Besucherzahlen sind prächtig, berichtet er. Zwischen die Kieler und ihr Theater, da passt momentan wohl kein Blatt. Andererseits: Wenn man hier das Theater wegnähme, nähme man im Grunde die Kultur weg, feixt er, dann könnte man auch gleich ein Schild aufstellen, das einem zum Kulturgenuss nach Hamburg schickt. "Hier wird entsetzlich viel gespielt und eine große Nachfrage erzeugt. Diesen Auftrag habe ich von der Stadt bekommen."

Alles Gold also, alles so flott wie weiland bei Everding? Das nun auch nicht. "Die Tarife sind für uns alle eine mittlere Bombe, das werden wir selbst mit den besten Einnahmen nicht ausgleichen können." Bei der Frage nach dem Erfolgsrezept wird Karasek grundsätzlich: "Es ist eine Wertefrage. Wie viel Theater einer Stadt wert ist. Wenn man diesen Wert an sich bestätigt, muss man auch wissen, welche Häuser man hat und was man von ihnen erwartet."