Die Dokumentation “Herbstgold“ erzählt von ehrgeizigen Seniorensportlern

Eigentlich wollte die italienische Diskuswerferin Gabre Gabric ihr Alter nicht verraten. Doch Signora Gabric war schon bei den Olympischen Spielen 1936 dabei - lang her. Die charmante Koketterie wäre also mit ein wenig Nachrechnen gar nicht nötig. Und dann platzt eine befreundete Konkurrentin versehentlich mit der Wahrheit heraus: Gabre ist 94. Die Lüftung des Geheimnisses pariert sie mit gespielter Entrüstung: Wer in hohem Alter noch Sport treibt, braucht auch Humor.

Gabre Gavric trainiert für die Leichtathletikweltmeisterschaften der Senioren im finnischen Lahti. Sie ist eine von vier Sportlerinnen und Sportlern, die Regisseur Jan Tenhaven in seinem Dokumentarfilm vorstellt und begleitet. Der Wiener Maler Alfred Proksch (99) wirft den Diskus und liebt die Frauen, Herbert Liedtke (93) läuft die 100 Meter. Doch ein großer, rüstiger Italiener flößt ihm, in einem der komischsten Momente des Films, ordentlich Respekt ein. Ilse Pleuger, 84-jährige Kugelstoßerin aus Kiel, will endlich die sechs Meter schaffen, und der tschechische Hochspringer Jiri Soukup, 82, will über 1,09 Meter hinaus - das wäre Weltrekord in seiner Altersklasse.

Tenhaven beobachtet seine Sport-Methusaleme in ihrem Alltag und beim Training, lässt sie erzählen und zurückblicken. Ein erklärender Off-Kommentar ist gar nicht nötig. Tenhaven hat in etwa einem Jahr Drehzeit das Vertrauen seiner Protagonisten gewonnen und entlockt ihnen auch Privates: Einsamkeit im Alter, Wehwehchen und die Sehnsucht nach körperlicher Nähe. Die einzelnen Erzählstränge finden bei der Weltmeisterschaft in Lahti zusammen. Bei aller Selbstironie spielt der Leistungsgedanke noch immer eine große Rolle. Dabei sein ist nicht alles, man will auch auf dem Treppchen stehen. Groß darum der Ärger ("Scheißdreck!"), wenn ein gesetztes Ziel knapp verpasst wird, groß aber auch die Anerkennung, wenn ein Gegner besser ist. Nur Herbert wirft dem Italiener bei der Siegerehrung einen verachtenden Seitenblick zu. Wenn er keinen Sport triebe, sei er längst tot, meint ein anderer. Spätestens jetzt begreift man als Zuschauer, dass es hier nicht nur um den Spaß an Leistung und Bewegung geht, sondern auch um die Lust am Leben.

Beurteilung: empfehlenswert Herbstgold Deutschland 2010, 98 Minuten, o. A.., R: Jan Tenhaven, täglich im Abaton, Koralle; www.herbstgold-derfilm.de