Das siebte und letzte Hamburger Ostertöne-Festival machte die Beziehung zwischen Brahms und heutiger Musik so greifbar wie nie.

Hamburg. Die Begegnung von "Brahms und Moderne" stand von Anfang an im Zentrum der Ostertöne. Doch nur selten war sie so greifbar wie diesmal, in der siebten und letzten Ausgabe des Festivals. Für ein Konzert mit dem Ensemble Resonanz in der Kulturkirche Altona hatten die Ostertöne bei drei jungen Komponisten Brahms-Bearbeitungen bestellt. Sie sollten je eins seiner Klavier-Intermezzi in Streicherklänge transformieren.

Stephanie Haensler setzt zu Beginn einige gleißende Sul-ponticello-Effekte, bleibt aber sonst eng beim Original; Saskia Bladt spaltet die Vorlage in reizvolle Kontraste aus ätherischen Flageolett-Tönen und dunklen Akkorden auf. Der Schweizer Benedikt Hayoz dagegen isoliert das gregorianische "Dies Irae"-Motiv, das bei Brahms mehrfach auftaucht, und erweitert den Streicherklang um minderwertige Midi-Sounds, die aus einem Mobiltelefon scheppern. Durch diese subtile Irritation ist die zeitliche Distanz zum Original in die Musik eingeschrieben.

Drei unterschiedliche Annäherungen an Brahms - vollzogen von Schülern der Residenzkomponistin Isabel Mundry. Deren eigenes Auftragswerk bildete den Abschluss des Konzerts und blickte ebenfalls in die Vergangenheit: In ihrem "Depuis le Jour" für 15 Streicher und zwei Schlagzeuger schimmern immer wieder Zitate des Renaissancemeisters Jan Pieterszoon Sweelinck auf. Mundry verzahnt hier ausbrechende Gesten, Sprachpartikel und kantige Akzente mit weichen Streicherlinien zu einem packenden Hörerlebnis. Ein Meisterwerk.

+++ Ostertöne haben jedes Lob verdient +++

Zwischen den Uraufführungen präsentierte das Programm Stücke von John Cage und Anton Webern. In der zeitgenössischen Umgebung wirkten die beiden Altmeister der Neuen Musik geradezu klassisch - auch, weil das Ensemble Resonanz deren Werke so souverän beherrscht, als lägen Noten von Schubert oder Brahms auf den Pulten. Die Streichorchesterfassung von Weberns Fünf Sätzen für Streichquartett kann man wohl nicht besser spielen.

Katrin Zagrosek bewies auch diesmal wieder hinsichtlich der Konzertkomposition und der eingeladenen Interpreten ihre glückliche Hand. In Festival-Verlautbarungen wird sie allzu administrativ nur Projektleiterin genannt, doch eigentlich ist sie die Programm-Ausdenkerin der Ostertöne seit 2008 und gibt dem Festival Jahr für Jahr ihr fein geschärftes Profil. Beim Kammermusikabend am Ostersonntag boten Ilya Gringolts (Violine), Anssi Karttunen (Cello) und Nicolas Hodges (Klavier) als hinreißend draufgängerische Virtuosen die beiden Brahms-Klaviertrios dar. Kontrastierend hierzu zeigte das perfekt ausbalancierte Galatea Quartet aus Zürich weitere Facetten des Schaffens der Isabel Mundry; in "Linien, Zeichnungen" und "falten und falten" (mit Hodges am Hammerklavier) entwarf die kluge Komponistin eine Kammermusik, die trotz oder wegen ihrer Verdichtung selbst auf manches ungeübte Ohr einigen Eindruck machte. Wie Isabel Mundry in der radikal modernen Klanglichkeit ihrer Werke die Musikgeschichte immer wieder in des Wortes mehrfacher Bedeutung aufhebt (sie selbst spricht von "respektvollem Vergessen"), war auch am Abend zuvor in ihrem Lied "Anagramm" zu bestaunen, das die großartige Sopranistin Mélissa Petit vortrug.

+++ Ein Festival auf Zeit nimmt seinen Abschied +++

Bei der von Kerstin Schüssler-Bach gewohnt kenntnisreich und launig moderierten "Liedernacht" rahmten Lieder von Brahms einige Werke des 20. und 21. Jahrhunderts ein. Unter den sieben Mitgliedern des Internationalen Opernstudios ließ als Interpretin neben Frau Petit vor allem Katharina Bergrath mit ihrem fein geführten, dabei strahlkräftigen Sopran bei zwei Debussy-Liedern aufhorchen. Mit der etwas problematischen Akustik im Brahms-Foyer ging Alexander Winterson am Flügel sensibler um als Simone Young, die die erste Partie der Lieder begleitete.

Dass David Afkham das vorzügliche Gustav-Mahler-Jugendorchester durch einen Abend führte, der passgenau auf den ursprünglich vorgesehenen, aber erkrankten Dirigenten Ingo Metzmacher zugeschnitten war, erwies sich als Glücksfall. Afkham dirigiert filigran und entschieden, wobei die Dosierung auf inspirierende Weise von einer Sekunde auf die andere wechselt. Den herb schönen, gedichtkurzen Sechs Orchesterstücken op. 6 von Anton Webern folgten Vorspiel und Liebestod aus "Tristan und Isolde", womit sich Brahms' Antipode Richard Wagner unvermutet ins Ostertöne-Programm schlich. Leider drückte die Sopranistin Iréne Theorin diese überwältigende Vergöttlichung des Gefühls mit allzu viel Nachdruck und einem ziemlich gleichförmigen Kurzwellen-Vibrato in den Saal. Zu Skrjabins schwelgerisch-explosivem "Poème de l'extase" wurden dann ein paar TV-Monitore links und rechts neben die Bühne gestellt, über die allerdings nichts flimmerte, das den Gehalt des Stücks hätte vertiefen können. Warum auch: Ekstase sucht ja den Raum jenseits aller flachen Bilder.