Statt im Rausch der Musik zu versinken, lässt Intendantin Simone Young das Orchester lieber nach Vorschrift spielen.

Hamburg. Die für das Marketing des Philharmonischen Staatsorchesters zuständigen Werber haben ihrem Kunden für diese Saison eine interessante Mission abgelauscht: Sie wollen das menschliche Wahrnehmungsvermögen überschwemmen. "Sinne flutend" lautet deshalb das Motto für die 184. Spielzeit, die gestern Vormittag in der Laeiszhalle mit dem 1. Philharmonischen Konzert eröffnet wurde. Auf vielen Litfaßsäulen der Stadt sind dolle Werbeplakate zu sehen, auf denen Musiker des Orchesters auf Tauchstation gehen. Völlig losgelöst schweben sie mit ihrem Instrument im Strudel der Klänge. Der Slogan verspricht vielfältigen Rausch, nicht zuletzt den der Tiefe. Das "Konzert für Orchester" von Béla Bartók, mit dem die Matinee begann, ließ jedoch eher an die Tiefenerfahrung denken, die man an Bord eines Glasbodenschiffs hat. Es war alles zu sehen, aber nass wurde niemand. Das Element, in dem die Musik des ungarischen Nationalheiligen der Musik des 20. Jahrhunderts so wundervolle Tauchgänge unternimmt, blieb unberührbar. So fabelhaft präzis das Orchester spielte - pünktlich, dynamisch nach Vorschrift, sauber im Zusammenspiel -, so wenig gewannen unter Simone Youngs aufgeregtem, ausladenden Dirigat die einzelnen Glieder der Komposition Gestalt. Das Fleisch war willig (und fähig), aber der Geist blieb schwach.

Weil das Orchester nicht nur eine neue Imagekampagne pflegt, sondern auch einem dramaturgischen Saison-Plan folgt, war Bartók ein passendes Entree. "Folk Songs" lautet das Motto für die inhaltliche Klammer der Programme. Auch das Klavierkonzert Nr. 2 B-Dur von Johannes Brahms lässt sich mit seinen Anklängen an Ungarisches im Finalsatz und ans Liedhafte im Andante als zumindest ansatzweise folkloreaffines Kunstwerk deuten. Lars Vogt spielte den Brocken mit genuin musikalischer, elastischer Kraft, mit Sentiment ohne jede Sentimentalität.

Wenn hochkomplexes motivisch-thematisches Material so eng zwischen Klavier und Orchester verzahnt ist wie hier, wird jedes abweichende Zeitempfinden von Dirigent und Solist sofort hörbar. Das Orchester kam oft knapp nach Vogt ins Ziel, der jedoch nicht eilte, sondern nur dem eigenen Zeitmaß folgte. Möglicherweise werden die Besucher des heutigen Wiederholungskonzerts von den gestern noch recht häufigen Abstimmungsunschärfen zwischen Tutti und Solo profitieren. Denn nun kennt Frau Young die agogischen Momente in Vogts Deutung.