Rechtzeitig zur WM boomt das Geschäft mit den Fußball-Songs. Vor allem Schlichtes hat das Potenzial für die Fankurve und Charts.

Hamburg. "Ohohohohooo, wir hol'n den Pokal again." Spätestens als dieser Refrain, flankiert von Ballermann-Beats, in der Redaktion eintraf, hätten wir uns eine musikalische Rote Karte gewünscht für ein böses akustisches Foul, verbrochen von Matze Knop. Der Comedian hat sich zwar mit seinen Parodien von "Kaiser" Franz Beckenbauer und Spieler Luca Toni in die erste Liga der kulturellen Fußball-Verwertung persifliert. Aber die Passfolge aus Weltmeisterschaft, Südafrika, Howard Carpendale und "Hello Again" landet definitiv im ästhetischen Abseits.

Zwar wird in die Nationalmannschaft nicht jeder aufgenommen, der gegen einen Ball treten kann. Aber offensichtlich darf jeder, der nur in die Nähe von Instrumenten und Mikrofonen kommt, einen WM-Song aufnehmen. Das ist mindestens so bedauerlich wie das Gegentor kurz vor Abpfiff.

Der Fußball-Song ist so etwas wie Jagdgesang und Kampfruf des modernen Menschengeschlechts. Im zivilen Leben brüllt kaum einer los und erlegt dann ein wildes Tier. Zur WM jedoch dürfen sie noch mal aufs Feld geführt werden, die Urschreie der (Selbst-)Anfeuerung. Wie das in popkulturell ansprechendem Format geschieht, haben die Lightning Seeds 1996 mit "Three Lions" bewiesen. Bei der aktuellen Auswahl fühlt sich der Hörer jedoch des Öfteren direkt in die Steinzeit versetzt.

Ganz groß in Sachen Fußball-Ranschmeiße ist TV-Starlet Oliver Pocher. Nach "Schwarz und Weiß" (WM 2006) und "Bringt ihn heim" (EM 2008) legt er jetzt nach mit "Wir gehen nur zurück, um Anlauf zu nehm'". "2010, 2010, 2010 werden wir mit goldenem Pott nach Hause gehen", singt er, sicherheitshalber chorverstärkt, in seiner Hymne, die wie aus dem Kult-Setzbaukasten dahinrumpelt. Alte Helden wie Paul Breitner bemühen, vergangene Erfolge zitieren (1954), noch ein wenig den Kampfgeist beschwören und zum großen Finale die Fahnen am Brandenburger Tor wehen lassen, fertig ist der Chart-Stürmer. Soccer sells. Es grüßen die Sportfreunde Stiller, die ihren mitgröl-erprobten Hit von 2006 jetzt schlichtweg um vier Jahre und den Austragungsort Südafrika weitergedreht haben: "'54, '74, '90, 2010".

Aber: Fankurven-Potenzial haben sowohl Knops "Pokal again" als auch der Pocher-Pop. Denn: Simpel genug sind sie. Schließlich ist nur Kehlen-kompatibel, was noch nach dem zehnten Public-Viewing-Bier ohne melodische Stütze mitgelallt werden kann. Stichwort: Urschrei-Therapie. Doch ob diese einfachen Kombinationen auch in der Praxis verwandelt werden, ist keinesfalls garantiert. Was zum Fangesang auserkoren wird, ist zum Glück nur bedingt manipulierbar. Wie sonst ließe sich erklären, dass sich der Basslauf von "Seven Nation Army" ("Ohh Oh Oh Oh Ohh Oh"), einem spröden Rocksong von 2003, zum internationalen Torschützenkönig unter den Kollektivchören gemausert hat. Das US-Duo White Stripes, weit entfernt von Fußball-Anbiederung, dürfte sich jedenfalls die Hände gerieben haben, als ihre Nummer fünf Jahre nach Veröffentlichung Platz vier der deutschen Single-Charts belegte. Dass bei der Kicker-Mucke nicht nur der Ball, sondern auch der Rubel rollt, haben unter anderem die Parlotones begriffen - hier eher unbekannt, in Südafrika ein Multi-Platin-Act.

Die vier aus Johannesburg, die mit "Come Back As Heroes" den WM-Trailer der ARD untermalen, sind wahre Marketingspezialisten. Wer bereits ein Hähnchen-Menü, eine Laptop-Edition und einen Wein unter eigenem Namen verbuchen kann, der hofft natürlich auch beim Thema Fußball auf einen Treffer. Und dafür gehen selbst Rocker Kompromisse ein. Die recht pathetische Ballade stammt nicht von den Parlotones selbst, sondern aus der Feder der englischen Produzenten Charlie Grant und Pete Woodroffe. Aus einer Auswahl von Bands war das Quartett nominiert worden, den Song zu interpretieren.

"Die Ursprungsversion, die irgendwo zwischen Def Leppard und Brian Adams lag, wich sehr von unserem Stil ab", erklärt Sänger und Gitarrist Kahn Morbee. Erst nach einigem Hin und Her einigten sich Band und Abnehmer auf eine gemeinsame Laufrichtung.

Ein Millionenpublikum ist den Parlotones garantiert, wenn sie am 10. Juni in ihrer Heimatstadt neben Stars wie Alicia Keys beim Eröffnungskonzert der WM antreten. Bei der bisher größten Veranstaltung auf afrikanischem Boden wird Shakira auch den offiziellen WM-Song "Waka Waka (This Time for Africa)" intonieren. Ein hüftgoldiger Sommersong, der kolumbianische Rhythmen mit Afro-Beats verquickt. Trotz dieser südamerikanisch tänzelnden Leichtigkeit zieht die darwinistische Siegerlyrik den Hörer dann doch zu Boden wie eine Blutgrätsche. Spätestens zum Finale des Songs sind aber alle wieder unter einem (Arena-)Dach vereint: "We are all Africa." Neben den Stadionschlagern gibt es 2010 viel Liedgut rund ums Leder, bei dem wir alle ein bisschen Afrika sein dürfen. Dank "Helele" allen voran die Hamburger. Die südafrikanische Sängerin Velile Mchunu, die diese schmissige Hymne in der Landessprache Zulu gedichtet hat, singt die Rolle der Rafiki bei "König der Löwen" im Musicaltheater im Hafen. Ihre starke Stimme wird vorangetrieben von den dänischen Trommelprofis Safri Duo. Und das Video sorgt mit Straßen- und Strandfußball für reichlich Vorfreude aufs Kap.

Ob jedoch die WM auch zum Cup der guten Hoffnung für die Musikszene des Landes wird, ist fraglich. Die Parlotones sind da eher desillusioniert. "Wenn ich mir die anderen Weltmeisterschaften angucke, haben die Künste im Gastgeberland davon nicht maßgeblich profitiert", findet Morbee.


Andere Bands, wie Macstanley aus Kapstadt, verzichteten gleich ganz auf akustisches Offensiv-Spiel. "Wir haben festgestellt, dass jeder einzelne Musiker in Südafrika einen Worldcup-Song geschrieben hat", erzählt Gitarrist Clinton Gahwiler amüsiert. Auch das Septett wurde um ein Stück Rasen-Rock gebeten. "Aber als wir gehört haben, wie viele Nummern es schon gab, in denen sich die Leute stolz auf die Brust hauen, wollten wir uns lieber auf unsere eigene Musik konzentrieren", sagt Sänger Andrew Mac. Dabei hätte gerade Macstanley Grund genug, ihre Fußball-Affinität auch melodisch auszuleben. Immerhin wurde die Band mit dem auffälligen Drei-Zentner-Frontmann von Nürnbergs Co-Trainer Armin Reutershahn während eines Kapstadt-Urlaubs für den deutschen Markt entdeckt. Der Rockliebhaber reichte die CD an einen Freund beim Radio weiter und brachte so die Karriere ins Rollen.

Für Macstanley haben Fußball und Musik aber doch mehr gemein als nur den Franken-Coach. "Es ist die Psychologie menschlicher Performance, egal ob auf dem Sportfeld oder auf der Bühne: Bei beidem bist du in einer Art Flow, wenn du auf bestem Niveau spielst. Und letztlich", philosophiert Gahwiler, "geht es um die Kreativität." Schön wär's.