Nicht nur in Hamburg, auch in den Bundesländern Schleswig-Holstein und Niedersachsen wird heftig über Schulstrukturen gestritten.

Kiel. In Schleswig-Holstein wird es in einigen Jahren ein nur noch zweigliedriges Schulsystem aus Gymnasium und einer Art Regionalgemeinschaftsschule geben. Die Weichen dafür stellt ein neues Schulgesetz, dessen Entwurf das Kieler Kabinett gestern beschloss. Die Novelle sieht zudem vor, dass die Gymnasien verschiedene Bildungsgänge bis zum Abitur anbieten können.

Schleswig-Holstein sei im "Übergang" zu einem zweigliedrigen Schulsystem, sagte Bildungsminister Ekkehard Klug (FDP). Die 129 Gemeinschaftsschulen und 66 Regionalschulen würden "mittelfristig" verschmelzen. Mit der Novelle werden die Vorgaben für beide Schularten angeglichen. Die Pflicht, alle Schüler in der Orientierungsstufe (Klasse fünf und sechs) gemeinsam zu unterrichten, entfällt. Stattdessen dürfen Gemeinschafts- und Regionalschulen künftig selbst entscheiden, ob die Schüler ab Klasse fünf gemeinsam oder in abschlussbezogenen Klassen lernen. Gemeinschaftsschulen sollen nur "bei Bedarf" und damit in Einzelfällen eine Oberstufe erhalten können.

Eine Reform der Reform gibt es auch beim Abitur an den Gymnasien. Die Lehranstalten sollen künftig wählen dürfen, ob sie beim 2008 eingeführten Turbo-Abi (G8) bleiben, zum Langsam-Abi (G9) zurückkehren oder beide Wege zur Hochschulreife anbieten. Über das Angebot an einem Gymnasium entscheiden Schulleiter, Schulkonferenz und Schulträger sowie im Streitfall das Bildungsministerium.

Eine Prognose darüber, welches Modell die 100 Gymnasien im Norden wählen, wagte Klug nicht. "Schleswig-Holstein ist das erste Bundesland, das diesen Weg geht." Schulexperten gehen davon aus, dass die Mehrzahl der Schulleiter und -konferenzen am G8-Modell festhalten will. Bei den Schulträgern könnte es größere Bedenken geben. G8 ist aufgrund des höheren Raumbedarfs für die Kommunen teurer als G9.

Schleswig-Holstein schafft zudem die erst 2008 eingeführten "prophylaktischen" Prüfungen weitgehend ab. So erhalten etwa Gymnasiasten mit der Versetzung in die 10. Klasse (G8) wieder automatisch den Hauptschul- und mit der Versetzung in die 11. Klasse den Realschulabschluss. Durch diese Korrektur würden die Lehrkräfte entlastet, sagte Klug. Die Prüfungen waren eingeführt worden, um die Zahl der Schüler ohne Abschluss zu senken.

Hamburg

Im Streit um die Änderungen des Hamburger Schulgesetzes als Konsequenz aus dem Volksentscheid gegen die Primarschule ist die Kuh vom Eis - fast jedenfalls. Die vier Bürgerschaftsfraktionen von CDU, SPD, GAL und Linken sind den Forderungen der Volksinitiative "Wir wollen lernen" gestern in zentralen Punkten entgegengekommen. Damit ist sehr wahrscheinlich, dass das Schulgesetz in der heutigen Sitzung der Bürgerschaft abschließend geändert wird.

Wie von der Initiative gewünscht, wird die Beobachtungsstufe (Klassen 5 und 6) des Gymnasiums wieder in das Gesetz eingefügt. Auch der Begriff "Mittelstufe" (Klassen 7 bis 10) bleibt erhalten. Außerdem billigen die Fraktionen dem Gymnasium einen eigenen Bildungsauftrag zu, wie es früher der Fall war. Danach vermittelt das Gymnasium seinen Schülern "eine vertiefte allgemeine Bildung", während die Stadtteilschule "eine grundlegende und vertiefte allgemeine Bildung" anbietet.

Dagegen bleibt es bei dem Plan, die Grundschulempfehlung für die weiterführende Schule in der bisherigen Form abzuschaffen. An die Stelle tritt ein ausführliches Beratungsgespräch mit den Eltern, das auch schriftlich dokumentiert werden soll. Offen ist derzeit noch, in welchem Rahmen das Schulgesetz sogenannte Langformschulen (Grund- und Stadtteilschule unter einem Dach) zulässt. Die Volksinitiative hat die Sorge, dass hier das längere gemeinsame Lernen durch die Hintertür eingeführt werden könnte.

"Wir sind sehr nahe zusammengekommen. Beide Seiten haben sich bewegt", sagte der SPD-Schulpolitiker Ties Rabe. "Ich bin optimistisch, dass der Volksentscheid im Schulgesetz für alle Seiten akzeptabel umgesetzt wird."

Gestern Morgen hatte es zunächst so ausgesehen, als ob es nun auch noch einen heftigen Koalitionskrach wegen des Schulgesetzes geben würde. Grund waren zwei Beschlüsse der CDU-Fraktion vom Abend zuvor. Die Unions-Abgeordneten verlangten plötzlich eine Zweiteilung der Gesetzesänderungen.

In der heutigen Bürgerschaftssitzung sollten nur die Passagen geändert werden, die unmittelbar mit dem Volksentscheid gegen die Primarschule zu tun haben. Alle weitergehenden Novellierungen, wozu zum Beispiel auch die Bestimmungen zu den sogenannten Langformschulen zählen, sollten nach dem Willen der Unions-Fraktion verschoben und später in einem weiteren Gesetz beschlossen werden.

Nach Abendblatt-Informationen reagierte GAL-Fraktionschef Jens Kerstan in der Senatsvorbesprechung erbost auf die unabgesprochene Absicht zur Änderung des Fahrplans. Schnell stellte sich heraus, dass es keine inhaltlichen Gründe waren, die die CDU zum Kurswechsel veranlasst hatten. Kerstan konnte sich letztlich damit durchsetzen, heute doch das ganze Gesetzespaket auf die Tagesordnung zu setzen.

Ins Kuriose spielt der zweite Änderungswunsch der Union, mit dem sich die Fraktion allerdings durchsetzte. Obwohl CDU, SPD und GAL mit den Linken über die Schulgesetzänderung tagelang verhandelt haben, weigert sich die CDU-Fraktion, zusammen mit den Linken im Kopf des Antrags zu erscheinen. Die Lösung: Heute werden die Abgeordneten über zwei wortgleiche Anträge zur Änderung des Schulgesetzes abstimmen. Ein Text weist als Antragsteller CDU- und GAL-Fraktion aus, der andere SPD und Linke.

Gestern hat das Verfassungsgericht einen Eilantrag verworfen, der zum Ziel hatte, die Schulgesetzänderung in der Bürgerschaft zu verhindern. Damit wollten die drei Hamburger Kläger gegen den Volksentscheid erreichen, dass keine unkorrigierbaren Fakten geschaffen werden, bevor die Klage entschieden ist. Das Gericht kam einstimmig zu der Auffassung, dass die Bürgerschaft das Schulgesetz selbst dann ändern könnte, wenn bereits in einem Urteil festgestellt worden wäre, dass der Volksentscheid ungültig sei.

Hannover

Die Hauptschule in Niedersachsen steht zur Disposition. Mit der FDP hat gestern der kleinere Koalitionspartner in der Landesregierung seinen Widerstand gegen eine Schulstrukturreform aufgegeben. Mit ihrem Vorschlag, Haupt- und Realschulen zur neuen "Niedersachsenschule" zusammenzulegen, reagieren die Liberalen auf den dramatischen Rückgang der Schülerzahlen an den Hauptschulen. Nur rund zwölf Prozent eines Jahrgangs werden noch für diese Schulform angemeldet, angesichts des Geburtenrückgangs stehen deshalb viele Schulen im ländlichen Raum vor dem Aus.

Der FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Dürr bezeichnete den Vorschlag ausdrücklich nur als Diskussionsgrundlage: "Das ist nicht in Stein gemeißelt, es geht um Schulfrieden, wir wollen eine Lösung mit allen Fraktionen hinkriegen." Gebraucht werde eine Lösung "für mehrere Schülergenerationen", also Jahrzehnte.

Damit sind sich alle Fraktionen im Grundsatz einig über die Notwendigkeit einer Schulstrukturreform. Kultusminister Bernd Althusmann (CDU) hat mit den kommunalen Spitzenverbänden schon vor Wochen Gespräche begonnen, um auf rückläufige Schülerzahlen zu reagieren. "Wir brauchen unideologische und pragmatische Lösungen", umschreibt Althusmann sein Ziel. Seine Bedingung: Das Gymnasium darf nicht geschwächt werden. Der Vorsitzende des Landkreistages, der Osteroder Landrat Bernhard Reuter, hat sich ebenfalls für eine Fusion von Haupt- und Realschulen ausgesprochen.

Bei dem Versuch, eine fraktionsübergreifende Lösung zu finden, ist der weitere Umgang mit den Integrierten Gesamtschulen das größte Problem. Wenn Neugründungen, wie es die SPD fordert, künftig erleichtert werden, würde das zulasten der von der FDP vorgeschlagenen Niedersachsenschule gehen. Von fusionierten Haupt- und Realschulen unterscheidet sich das FDP-Modell vor allem durch stärkere Binnendifferenzierung des Unterrichts nach Leistungsfähigkeit sowie durch den Vorschlag, an größeren Niedersachsenschulen auch eine Oberstufe vorzusehen mit dem Abitur nach 13 Jahren.

Die GEW kritisierte den FDP-Vorschlag, weil er die Zulassung weiterer Gesamtschulen nicht vorsieht; der Philologenverband begrüßte dagegen das Zwei-Säulen-Modell - aus dem gleichen Grund.