Wieso musste Diren D. aus Altona in den USA sterben? Warum ging der 17-Jährige in die fremde Garage? Dort lag der Besitzer auf der Lauer – mit einer Waffe.

Es ist ein Polizeiprotokoll, das fassungslos macht. Der Schütze, der am vergangenen Sonntag in Missoula, der zweitgrößten Stadt im US-Bundesstaat Montana, den aus Hamburg stammenden Austauschschüler Diren D., 17, erschossen hat, hatte offenbar tagelang darauf gelauert, ein „verdammtes Kid“ zu töten. Das geht aus der Aussage einer Friseurin hervor, bei der sich der Mann vor der Tat die Haare schneiden ließ. Der Schütze Markus K., 29, soll sich mit einer Shotgun auf die Lauer gelegt haben. In der Garage, in der der 17-Jährige erschossen wurde, hatten die Bewohner sogar eine „Falle“ ausgelegt, die Diebe anlocken sollte und eine provisorische Videoüberwachungsanlage installiert. Das geht aus internen Akten der örtlichen Justiz hervor. Nach wie vor rätselhaft ist, warum der Jugendliche die fremde Garage betreten hat.

Zwei Einbrüche in den letzten Wochen hatten Todesschütze Markus K. und seine Lebensgefährtin Janelle P. wütend gemacht. Wie wütend, geht aus der Aussage der Friseurin hervor, die sie gegenüber einem Polizisten machte. Mehrere Nächte hatte Markus K. sich danach bewaffnet in seinem Haus verschanzt, um jemanden „zu stellen und zu erschießen“. Der Grund seien Einbrüche in seine Garage gewesen.

In dem Gespräch mit der Zeugin, das er am 23. April mit ihr geführt hatte, habe sich der 29-Jährige äußerst „vulgär und aggressiv“ ausgedrückt, erinnert sich Felene S. in ihrer Vernehmung. Als sie ihn schließlich gebeten habe, das zu unterlassen, habe er ihr gesagt, dass er sagen könne, was er wolle.

Am vergangenen Sonntag hatte Markus K. offenbar erneut auf der Lauer gelegen. Die Garage war als „Falle“ vorbereitet worden. Seine Lebensgefährtin hatte dort eine Geldbörse als Köder hingelegt. Das Garagentor ließen sie extra einen Spalt offen. Eine Kamera, die eigentlich zur Beaufsichtigung von Babys gedacht ist, wurde installiert.

Als Diren D. in die Garage kam, sah ihn das Pärchen auf dem Monitor. Markus K. sagte bei der Polizei aus, dass er sich sein Gewehr geschnappt habe und aus der Haustür zur Garage gelaufen sei, vor der der Pick-up stand. Seine Lebensgefährtin sei ihm gefolgt. Dann habe er das Geräusch von Metall, das auf Metall schlägt, gehört. Er hätte Angst gehabt, dass die Person aus der Garage kommen und ihn angreifen würde. Er habe aber niemanden in der Garage gesehen, den er hätte warnen können.

Als seine Lebensgefährtin die Außenbeleuchtung anschaltete, habe er noch weniger erkennen können. „Hey, hey“, habe er von draußen in die dunkle Garage gerufen, bevor er eine Patrone in den Lauf seines Gewehrs schob. „Hey“ oder „warte“ soll Diren noch gerufen haben, bevor der 29-Jährige innerhalb von zwei Sekunden vier Schüsse aus dem Schrotgewehr abgab.

„Ich habe extra hoch gezielt, um die Autos nicht zu beschädigen“, sagte der Schütze, nach dessen Angaben sich die dramatische Situation vom Verlassen des Hauses bis zur Abgabe des letzten Schusses innerhalb von „sieben bis acht Sekunden“ abspielte. Gleich danach habe er geschrien, dass seine Lebensgefährtin die Nummer 911, die Notrufnummer in den USA, anrufen solle.

„Ich hatte Angst um mein Leben“, behauptete der Schütze bei der Polizei. Er habe damit gerechnet, dass „der Kerl“ sich ein Werkzeug oder ein Messer aus der Garage schnappen und versuchen würde, aus der „stockdunklen Garage“ zu entkommen. „Ich wollte ihn nicht entkommen lassen“, sagt Markus K.. „Die Polizei hätte ihn nach der Tat bestimmt nicht ermittelt.“ Polizisten entdeckten den niedergeschossenen Hamburger. „Er lag hinter einem Wagen auf der Seite und hatte schwere Verletzungen am Kopf und am Arm erlitten“, so der Bericht eines Officers.

Mit einem Krankenwagen kam Diren D. in das St. Patrick Hospital. Dort wurde sein Tod festgestellt. Obwohl in Montana die Einwohner weitreichende Rechte haben, ihr Eigentum auch mit Waffengewalt zu verteidigen, blieb Markus K. zunächst in Haft. Inzwischen kam er jedoch auf Kaution frei.

Ihm wird Mord vorgeworfen. Ausschlaggebend ist auch die Aussage der Zeugin, die angab, dass der Mann ihr erzählt habe, dass er mehrere Tage gelauert habe, um jemanden zu erschießen, der in seine Garage eindringt. Er werde sich nicht schuldig bekennen, da er sich nur verteidigt habe, sagte der Anwalt des Schützen. In Altona verbreitete sich die Nachricht vom Tod des 17-Jährigen, der dort viele Freunde hatte und beim SC Teutonia Fußballer war, wie ein Lauffeuer. Am Sonntagnachmittag hatte der 16 Jahre alte Atalya über Facebook erfahren, dass „etwas mit Diren“ sei. „Ich bin sofort zu seiner Wohnung gegangen. Als ich gesehen habe, dass da schon etwa 60 Menschen standen, wusste ich sofort, dass etwas Schlimmes passiert ist“, erinnert sich Atalay. Ein amerikanischer Polizist habe mit Direns Mutter telefoniert, doch zunächst gab es nur Spekulationen. Die Freunde informierten sich online in den amerikanischen Medien, und langsam kam die furchtbare Wahrheit ans Licht. „Alle haben geweint“, sagt Atalay. Seitdem verbringen die Freunde jede freie Minute zusammen. „Wenn man alleine ist, hält man es kaum aus.“ Gemeinsam haben sie ein Transparent gestaltet, das an „ihren Bruder“ erinnert. „R.i.p.“ steht darauf, rest in peace, Ruhe in Frieden.

Jeden Tag kommen seitdem Bekannte am Schmidt-Rottluff-Weg vorbei, in dem die Familie des Erschossenen wohnt. Am Sonntag wäre die Straße voll Trauernder gewesen, sagt Samy Hosseini, ein guter Freund. Direns Vater flog am Dienstagmorgen nach Montana, um seinen toten Jungen zurückzuholen. Er will ihn in der Türkei nach islamischem Brauch beisetzen. In Bodrum, wo die Familie eine Ferienwohnung hat, soll Diren D. seine letzte Ruhestätte finden. Vorher will sein Vater den Toten nach Hamburg bringen, damit seine Freunde und die Familie Abschied nehmen können.

Für sie ist es unbegreiflich, was passiert ist. Diren wäre auch überhaupt nicht der Typ, der in eine Garage einsteigen würde, um etwas zu stehlen. „Er war eher ängstlich“, sagte Cousin Yigit Durucan. „Er war immer der Erste, der sagen würde: Mach das nicht. Ein sehr vernünftiger Typ.“ Die Freunde erzählen, er habe auch noch nie Alkohol getrunken, gekifft oder geraucht. Durucan: „Er war ein Leistungssportler, er wollte das ganz bewusst nicht.“

Für Direns Mutter Gulan ist eine Welt zusammengebrochen. Weinend und immer noch geschockt sitzt sie am Dienstag in der kleinen Wohnung, immer ein Foto ihres getöteten Jungen in der Hand. Verwandte stützen sie, als sie das Haus verlässt. Sie habe die Tage gezählt, bis Diren wiederkommen wollte. Nicht einmal 50 wären es noch gewesen. Das Überraschungsfest für seine Rückkehr war schon geplant. Auch Direns Freundin, Sophia Kaminski, freute sich auf die Rückkehr des 17-Jährigen: „Ich habe ihn sehr vermisst. Aber Diren wollte unbedingt das Jahr in Amerika verbringen. Ich habe das akzeptiert und unterstützt. Es ist für mich unbegreiflich, was passiert ist. Dabei hatten wir schon Pläne geschmiedet für die Zeit nach seiner Rückkehr.“

Sein Cousin Yigit Durucan hatte sechs Stunden vor Direns Tod noch mit ihm über den Internetdienst Skype geredet. „Ihm ging’s sehr gut. Er hatte eine richtig schöne Zeit da. Er wollte so gern Englisch lernen, und hat sich immer interessiert für die Menschen in Amerika.“ Diren sei ein freundlicher und liebevoller Mensch gewesen, sagen Freunde übereinstimmend. Neugierig sei er gewesen und reiselustig. „Ein Musterjunge“, sagt Direns Onkel Bayram Durucan über seinen toten Neffen, der vor seinem Jahr in Amerika das Gymnasium an der Max-Brauer-Allee besucht hat und gleich nebenan bei Teutonia als Verteidiger spielte. „Er war ein richtig guter Fußballer“, so sein Freund Samy. Seine türkischen Freunde und Bekannten glauben, die tödlichen Schüsse seien rassistisch motiviert gewesen, weil der Täter eine Kamera in der Garage hatte und Diren sehen konnte. „Ich vermute, es ist ein Plan gewesen“, sagt ein Onkel. Todesschütze Markus K. muss Diren gekannt haben. „Sie wohnen seit fast einem Jahr in derselben Straße.“ Es ist eine Stichstraße mit zehn Häusern in einer guten Gegend.

Vorwürfe machen die Verwandten auch der Austauschorganisation Xplore. Im März hat die Familie noch einen Brief bekommen, worin gewarnt wurde, dass die Schüler keine Drogen oder Alkohol nehmen dürften. „Aber da stand nichts davon drin, dass man erschossen werden kann“, so Cousin Yigit.

Auch der SPD-Abgeordnete Kazim Abaci hat sich eingeschaltet. „Die Familie braucht Unterstützung wie psychologische Begleitung. Ich habe mit Behörden Kontakt aufgenommen, auch mit der deutschen Botschaft und versuche, von dort Hilfe zu bekommen. Auch juristische Unterstützung ist jetzt wichtig.“ Die Kosten für die Rückführung seien ebenfalls ein Thema.

Das Benefizspiel zugunsten der Familie beginnt am heutigen Mittwoch um 17.45 Uhr an der Memellandallee, auf dem Platz von Union 03 Altona.