17-jähriger Afroamerikaner wurde vom Mitglied einer Bürgerwehr erschossen. Der weiße Täter ist frei, beruft sich auf ein Notwehr-Gesetz.

Washington. Trayvon Martin war 17 Jahre alt, unbekannt und unbescholten, als er am 26. Februar durch die Kugel eines Nachbarschaftsschützers in Sanford (Florida) starb. Der Mann, der ihn angeblich in Notwehr niederschoss, ist in Freiheit. Einen Monat danach werden überall in Amerika zu Martins Gedenken Mahnwachen, Gottesdienste, Proteste gegen staatliche Willkür organisiert. Trayvon Martin steht auf Transparenten neben Rodney King und Amadou Diallo, ebenfalls schwarzen Opfern von staatlicher Gewalt. Der amerikanische Präsident spricht über die "Tragödie" als Vater: "Hätte ich einen Sohn, er sähe aus wie Trayvon." Wer guten Willens ist, versteht Barack Obama richtig, auch wenn er sein Gebot, sich niemals als Schwarzer zu äußern, übertrat. Er konnte nicht schweigen, Amerika ist entlang von Rassengrenzen empört. Eine der ältesten Wunden der Nation, Angst vor und Gewalt gegen schwarze Männer, bricht wieder auf.

+++Separatisten-Gruppe: Kopfgeld auf den Mörder von Trayvon Martin+++

"Sehe ich verdächtig aus?" heißt es auf den Plakaten von Demonstranten, die ihre Kapuzenpullis tragen wie Trayvon Martin am 26. Februar. Von Iowa City bis New York, von Chicago bis Atlanta ist die Vermummung zum Symbol des Protests aufgestiegen. Trayvon Martin trug seine Kapuze, als er in der Halbzeitpause eines im TV übertragenen Football-Spiels die Wohnung der Verlobten seines Vaters verließ, um Eistee und Süßigkeiten zu kaufen. Die Kapuze, die cool sein soll, indem sie das Gesicht im Verborgenen hält, mag den Verdacht von George Zimmerman, 28, erregt haben. Der Bürgerwehraktivist war stolz auf seine Zusammenarbeit mit der Polizei. Er besaß einen Waffenschein für seine Pistole, und er verfolgte den Jungen, der ihm verdächtig vorkam.

Über die tödliche Konfrontation der beiden gibt es zwei unvereinbare Versionen. Zimmerman sagt, er sei angegriffen worden und habe sich verteidigt. Sein Nasenbein sei gebrochen, er habe eine Platzwunde am Kopf. Martins Freundin, mit der dieser bis zur letzten Sekunde telefonierte, sagt, er habe versucht zu entkommen. Anwohner hörten einen Wortwechsel und den Schuss.

Bis zu dieser Szene war der Vorfall traurige Routine in Florida. Doch es gäbe nicht Proteste im ganzen Land, wäre George Zimmerman festgenommen und, wie es normale Polizeipraxis ist, auf Alkohol und andere Drogen untersucht worden. Doch nichts dergleichen geschah, die Polizei von Sanford glaubte der Darstellung Zimmermans, konfiszierte nur seine Waffe und ließ ihn nach Hause gehen. Man habe keine Handhabe gesehen, weil das Stand-Your-Ground-Gesetz die tödliche Selbstverteidigung bei gefühlter Gefahr auch außerhalb des eigenen Hauses straffrei lässt. De facto bedeutet dies: "Zuerst schießen, dann fragen."

Ähnliche Gesetze gelten inzwischen in 21 US-Bundesstaaten. Kritiker machen geltend, dass Stand-Your-Ground-Gesetze jedem Wutbürger mehr Vollmachten und quasi Immunität einräumen, als sie Strafverfolgern zugestanden würden. Jeder Cop in Sanford muss sich für jede Patrone rechtfertigen und riskiert seinen Job; George Zimmerman kann einfach behaupten, er sei bedroht worden, und könnte, wenn Stand-Your-Ground Anwendung findet, nicht einmal angezeigt werden. In Florida berufen sich mittlerweile auch Gangmitglieder und Drogendealer auf ihr Stand-Your-Ground-Recht. Die Zahl der Täter, die sich als Opfer gerieren, hat sich verdreifacht.

George Zimmerman will sich offenbar nicht auf das umstrittene Gesetz stützen. Sein Anwalt Craig Sonner, der Kontakt zum untergetauchten Schützen hält, macht geltend, dass einfaches Selbstverteidigungsrecht gelte.

George Zimmerman fühle sich bedroht, sagt der Anwalt. Die New Black Panther Party hat 10 000 Dollar Kopfgeld auf die Ergreifung des Schützen ausgesetzt. "Es ist an der Zeit, dass wir, schwarze Männer, die Gerechtigkeit in unsere Hände nehmen. Wenn wir sie nicht bekommen, müssen wir sie uns nehmen", sagte Mikhail Mohammad, einer der Organisatoren einer Kundgebung der New Black Panther in Sanford. Das Southern Poverty Law Center, eine Organisation, die extremistische Vereinigungen in den USA beobachtet, nennt die Gruppe "virulent rassistisch und antisemitisch".

Nun wird vieles berichtet über den gut katholischen Latino George Zimmerman, der immer höflich war und schon als Messdiener angenehm auffiel. So kolportieren es seine Freunde, so beschwört es sein Vater. Sein Sohn sei weder schießwütig noch ein Rassist. Das sei ein schreckliches Missverständnis. Gesichert ist, dass Zimmerman seit 2004 mindestens 46-mal die Polizei über verdächtige Personen und Umstände informierte. "Die kommen verdammt noch mal immer davon", verfluchte er schwarze Jugendliche.

Die Angehörigen von Trayvon Martin ihrerseits schwören, ihr Junge habe sich nie geprügelt oder sei sonst aufgefallen. Zimmerman, so vermuten schwarze Kritiker, habe ein Phantom gejagt, ein Kapuzenklischee rassistischer Paranoia.

FBI und US-Justizministerium ermitteln unterdessen in Sanford; der dortige Polizeichef ist "einstweilen" zurückgetreten. Doch wenn die Ermittler kein Verbrechen nach Bundesrecht finden, etwa ein "Hassverbrechen", wird es schwer. Für die Demonstranten gibt es keinen Zweifel, dass Zimmerman, wäre er ein Schwarzer und wäre Trayvon Martin weiß gewesen, in Haft säße. Prominente Schwarze, Journalisten und Kolumnisten, nehmen die Tragödie persönlich. Jeder schwarze Vater warne seinen Sohn vor der Gefahr, als gefährlich zu gelten. Junge Schwarze müssten lernen, nicht bedrohlich zu wirken: nicht über Bürgersteige zu rennen, nicht die Stimme und niemals die Hand zu erheben, klagen sie. Jeder Schwarze, ob Professor oder Automechaniker, mache die Erfahrung, von weißen Mitbürgern und erst recht von der Polizei mit Misstrauen wahrgenommen zu werden.

An diesen Reflexen hat sich auch in der Ära Barack Obama wenig geändert. "Ich kann nur ahnen, was die Eltern durchmachen", hatte der Präsident gesagt, "wenn ich an den Jungen denke, denke ich an meine Kinder."

Die Proteste werden weitergehen. "Sehe ich verdächtig aus?" steht auf den Transparenten, und: "Ich bin Trayvon".