Recht auf Selbstverteidigung. Geschworene sprechen George Zimmerman nach Todesschuss auf Afroamerikaner frei

Washington. Erlösung für einen Mann, der aus Sicht eines Teils der Nation das Gesicht des Rassismus personifiziert und nach Entscheidung von Geschworenen doch nur von seinem Recht auf Selbstverteidigung Gebrauch machte: George Zimmerman, 29, der im Februar 2012 Trayvon Martin, 17, erschossen hat, ist freigesprochen worden. Weder eines Mordes zweiten Grades noch des Totschlags sah ihn die sechsköpfige Jury schuldig, die 16 Stunden und 20 Minuten beraten hatte.

Zunächst regungslos und schließlich mit erleichtertem Lächeln nahm Zimmerman am Sonnabend den Freispruch hin. Seine Eltern, die Peruanerin Gladys und der aus Virginia stammende Robert Zimmerman, drängten zu ihrem Sohn, dem im Fall einer Verurteilung als Totschläger bis zu 30 Jahre Haft und für Mord lebenslänglich gedroht hätten. Nun ist Zimmerman, der erst 44 Tage nach seinem tödlichen Schuss auf Martin angeklagt und inhaftiert wurde, frei – und wird trotzdem kein normales Leben führen können. Denn die Emotionen kochen auch nach dem Ende des im Fernsehen live übertragenen Prozesses so hoch, wie sie es schon kurz nach den Ereignissen taten. Vorwiegend schwarze Demonstranten schrien vorm Gerichts ihren Unmut hinaus. „Beendet die rassistische Unterdrückung“, forderte ein Transparent. Protestler, die auf ihren T-Shirts das Porträt Zimmermans im Visier eines Zielfernrohrs zeigten, ließen Zweifel offen, ob diese Botschaft von jedermann beherzigt würde. In jedem Fall hat der Prozess gezeigt, dass die ethnischen Gräben in der amerikanischen Gesellschaft noch längst nicht geebnet sind. In mehreren Orten kam es zu Protesten gegen den Freispruch. In Oakland (Kalifornien) zerstörten wütende Demonstranten einen Streifenwagen der Polizei. Videoaufnahmen zeigten Bilder von Menschen, die Feuer legen wollten. Der New Yorker Bürgerrechtler Al Sharpton reagierte fassungslos. Der Freispruch sei ein „Schlag ins Gesicht“ für das amerikanische Volk.

Am Abend jenes 26. Februar 2012 war Martin auf dem Heimweg von einem Laden, in dem er Snacks für einen Fernsehabend bei seinem von der Mutter getrennt lebenden Vater und seinem jüngeren Halbbruder gekauft hatte. Als der Afroamerikaner durch die Nachbarschaft lief, dabei mit einer Freundin telefonierend, erweckte er das Misstrauen Zimmermans, der bei abendlichen Streifengängen stets nach möglichen Einbrechern Ausschau hielt. Zimmerman rief den Polizeiruf 911 an, berichtete, dass er einen Verdächtigen ausgemacht habe, der möglicherweise „unter Drogen“ und „auf nichts Gutes aus“ sei. Die Polizei schickte einen Streifenwagen und forderte Zimmerman auf, von einer Verfolgung abzusehen. Bis zu diesem Punkt ist der Ablauf der Ereignisse unbestritten; was danach geschah, wurde von Anklage und Verteidigung unterschiedlich dargestellt. Die Aufgabe der sechs Geschworenen, alle Frauen, fünf davon weiße und eine hispanischer Herkunft, bestand darin, sich für eine der Versionen zu entscheiden.

Laut Staatsanwalt John Guy, der in seinem Schlussplädoyer noch einmal die Sicht der Anklage dargestellt hatte, verfolgte Zimmerman den Jugendlichen. Er habe an jenem Abend „Polizist sein wollen“. Dabei kam es zu einer Konfrontation, die in Gewalt umschlug. „Der Angeklagte erschoss Trayvon Martin nicht, weil er das musste“, formulierte Guy, „er erschoss ihn, weil er das wollte“. Zimmerman ließ über seine Verteidiger einen anderen Ablauf erzählen. Er sei zu seinem Auto zurückgegangen. Dabei habe er gemerkt, dass Martin dieses umkreiste. Um der Polizei seinen exakten Aufenthaltsort angeben zu können, habe er versucht, Straßenschild und Hausnummer zu ermitteln. Dabei sei er unvermittelt von Martin angegriffen worden, der ihn geschlagen, seinen Kopf auf den Asphalt gehämmert und versucht habe, nach der Pistole Zimmermans zu greifen. In Todesangst habe er die Waffe gezogen und den Schuss auf den über ihm Knienden abgefeuert.

Es fehlte der Beweis, dass George Zimmerman den Kampf provoziert hatte

Zimmerman hatte bei der Befragung nach der Tat Wunden am Hinterkopf, und er blutete aus der Nase. Zudem bestätigten Verwandte und mehrere Anrufe, dass eine um Hilfe schreiende Stimme während des Kampfes der Männer, die durch den Notruf eines Anwohners von der Polizei aufgezeichnet wurde, eindeutig von Zimmerman stamme. Dass Martins Blut Spuren von Marihuana aufwies, stärkte ebenfalls die Position Zimmermans.

Selbstverteidigung ist in den USA traditionell ein hohes Gut. Die Anklage konnte nicht beweisen, dass George Zimmerman den Kampf bewusst oder fahrlässig provoziert hatte. Das ließ die Jury auf Freispruch entscheiden.