1400 Ehrengäste kamen im 12. Stockwerk der Elbphilharmonie zu der Feier zusammen. Vor der Baustelle gab es Proteste.

Draußen vor der Baustelle haben sie eine kleine Aufführung vorbereitet. Haben sich wahlweise in eine Toga gewandet oder einen Lorbeerkranz aufs Haupt gesteckt. Vor ihnen auf dem roten Teppich liegen Brote und Früchte, es gibt Sekt und Rotwein. Ein etwas älterer "Römer" verteilt Weintrauben an die Schaulustigen, ein anderer schmeißt Milliarden in die Menge. 350 000 000 Euro ist jeder Schein laut Aufdruck wert.

Es ist der Tag des Richtfestes der Elbphilharmonie. Der Tag also, den viele Skeptiker gar nicht mehr für möglich gehalten haben. Der Tag vor allem der Handwerker, Bauarbeiter und Ingenieure, die seit etwa drei Jahren rund um die Uhr an Hamburgs neuem Wahrzeichen bauen. Welches nunmehr auch deutlich sichtbar Stück für Stück in den Himmel wächst.

Das engagierte Ensemble aus einem Dutzend Protestlern freilich müht sich redlich unter freiem Himmel mit dem Schauspiel von der spätrömischen Dekadenz. Mit der Erinnerung an Zeiten also, als einige wenige in purem Luxus gelebt haben - Orgien, Essensschlachten und Saufgelage all-inclusive -, während der Rest der Bevölkerung zunehmend verarmte.

Während die römischen Laiendarsteller auf das politische Oberhaupt ("Wir wollen Ole sehen, wir wollen Ole sehen") warten und stattdessen erst einmal dessen Kultursenatorin, die ja nun irgendwie auch Bausenatorin ist, mit "Karin, Karin"-Rufen begrüßen, strömen Hunderte von geladenen Richtfest-Gästen in das neue Bauvorhaben. Ein weltweit einmaliges Projekt im Übrigen.

Gewaltige Lastenaufzüge bringen die Besucher in den 12. Stock. Dorthin also, wohin in zwei, drei Jahren - so genau mochte sich da am Freitag niemand festlegen - die Hamburger und die Touristen aus aller Welt mit einer am Ende gebogenen, knapp 90 Meter langen Rolltreppe gefahren werden. Um dann einen Blick zu genießen, der einem schlicht den Atem raubt.

Zeiten, in denen die einen buchstäblich in Wein badeten, während um sie herum Städte und Gebäude langsam verfielen - und es keine neuen Bauvorhaben gab.

"Als Richtfest-Event-Location haben wir uns nicht ohne Grund für die öffentliche Plaza entschieden", sagt Heribert Leutner, Geschäftsführer der städtischen Realisierungsgesellschaft ReGe, in seiner Ansprache. "Ein Grund ist natürlich, dass es nur bedingt möglich gewesen wäre, an einem anderen Ort hier in der Elbphilharmonie rund 1400 Menschen zu einem feierlichen Stelldichein zusammenzubringen. Der Hauptgrund aber ist, dass es keinen schöneren Ort geben könnte für ein solches Fest als den, der auch später allen Menschen die Möglichkeit geben wird, die Elbphilharmonie für sich zu entdecken: Konzertgäste, Hamburger, Touristen, Hotelgäste und Bewohner." Und mit 4000 Quadratmetern sei die Plaza immerhin fast so groß wie der Rathausmarkt und biete auf 37 Meter Höhe einen 360-Grad-Panoramablick über die Stadt. "Wo sonst gibt es das zu erleben?", fragt Leutner die Gäste.

Die sich übrigens direkt unter dem Großen Konzertsaal befinden. "Der wiegt 12 500 Tonnen", sagt Leutner. "Das ist viel, aber sehen tut man davon hier unten auf der Plaza eigentlich nichts. Um das zu ermöglichen, wurde bei der Tragwerksplanung ganze Arbeit geleistet." Das Gewicht des Großen Konzertsaales und all der Obergeschosse sei so differenziert auf das übrige Gebäude verteilt worden, dass man hier diesen offenen Raum haben könne, über dem der gesamte gläserne Aufbau gleichsam zu schweben scheine.

Und dass hier und da eine Säule schief stehe, dass sei "nicht etwa ein Fehler, sondern beabsichtigt". Der ReGe-Chef ist momentan nämlich eher hauptberuflicher Streitschlichter. Weil seine beiden Vertragspartner - das Essener Bauunternehmen Hochtief auf der einen, die Schweizer Generalplaner Herzog & de Meuron auf der anderen Seite - wirklich nur noch das Nötigste miteinander besprechen. Vielleicht hat man ihn auf der Rednerliste auch deshalb zwischen die Streithähne gesetzt. Die sich aber, trotz aller horrender Differenzen und gegenseitiger Vorwürfe, für den Feiertag am Freitag zu einer Art Stillhalteabkommen verpflichtet haben.

Mag Pierre de Meuron noch in den letzten Tagen und Wochen mehrfach - offen und auch in Hintergrundgesprächen - geäußert haben, dass er derartige Kostensteigerungen und Terminverzögerungen in seinen gesamten 32 Geschäftsjahren noch nicht erlebt habe, so beschränkt er sich in diesem historischen Moment auf ausgewählte Freundlichkeiten. Auch wenn "von draußen der Sturm gegen das Mauerwerk peitscht". Ob die Elbphilharmonie, die den Steuerzahler wohl 323 Millionen Euro kosten wird, einmal ein Wahrzeichen wird, "das entscheiden nicht die Bauherren oder die Architekten, das entscheiden allein die Hamburger und die Besucher".

Und auch Henner Mahlstedt, der Vorstandsvorsitzende der Hochtief Construction AG, gießt an diesem Tag kein Wasser in den Wein, der neben Bier und Kaffee reichlich ausgeschenkt wird. Er erwähnt zwar, dass es mit den Planern "in der Sache täglich harte Auseinandersetzungen gibt", aber man könne hinterher immer noch "ein kleines Bier" miteinander trinken. Und wenn in der jüngst publik gewordenen Liste, in der die Planer rund 4500 Mängel aufgeführt hatten, gar von "sicherheitsrelevanten" Dingen die Rede gewesen sei, könne er das nur vehement bestreiten. "Sicherheitsrelevante Mängel gibt es nicht", sagt Mahlstedt und blickt fröhlich in die Runde, "sonst wäre ich heute ganz bestimmt nicht hier ..."

Auch der Bürgermeister ist da. Und auch er ist ja nicht lebensmüde. Ole von Beust (siehe auch Text rechts) macht erst gar nicht den Versuch, die Lage zu beschönigen. Die Kostensteigerungen seien katastrophal, und er bezweifele, ob er sich in den momentanen Zeiten noch einmal für die Realisierung eines solch gigantischen Projekts entscheiden würde. Andererseits freue er sich bereits auf den nicht mehr allzu fernen Tag, "an dem wir hier wieder zusammenkommen, um die Einweihung zu feiern".

Davor aber steht erst einmal der feierliche Akt - die Verlesung des Richtspruchs durch den Oberpolier Helmut Hesse mit dem anschließenden Hochziehen des Richtkranzes per Kran in das 26. Obergeschoss. "Nach manchem Stoß und hartem Schlag, nach manchem harten Arbeitstag, mit Eifer und mit viel Bedacht, wir unser stolzes Werk vollbracht, schaut her, wie prächtig dieser Bau", hebt Hesse an, als er das kleine, auf dem Rednerpult bereitgestellte Schnapsglas umstößt, das klirrend zu Boden fällt. Kurze Verwirrung, dann lautes Gelächter. Ein reibungsloser Ablauf hätte auch so gar nicht zum Bauwerk gepasst.

Und da kein zweites Schnapsglas so schnell zur Hand ist, wird dem bodenständigen Polier, der sich durch das Missgeschick nicht aus der Ruhe bringen lässt, von seinem Kollegen Werner Rininsland flugs ein großes Glas gereicht. So gab's dreimal einen großen Schluck Korn aus dem Weinglas - auch das passt irgendwie ins Bild eines

Bauwerks, an das die Hamburger sich erst noch gewöhnen müssen.

Draußen tuckert eine kleine Barkasse vorbei; "Elphi entern", fordern die beiden Demonstranten auf ihrem Plakat. Ihre Protestkollegen, die fröhlichen Spaßverderber vom Beginn der Veranstaltung, haben ihren Platz geräumt. Zurück bleiben zahlreiche Geldscheine und vereinzelte Weintrauben auf dem Boden. Beim Blick nach oben ein flatternder bunter Richtkranz und schräg dahinter der Michel. Er wird nicht mehr lange konkurrenzlos bleiben. Zumindest das steht seit Freitag definitiv fest.