Der Senat kann für 2012 auf einen Einnahmerekord hoffen. Mehr als 4,5 Milliarden Euro flossen im ersten Halbjahr bereits in die Stadtkasse.

Hamburg. Die äußerst positiven Prognosen für den Hamburger Haushalt haben sich im ersten Halbjahr 2012 bewahrheitet. In den ersten sechs Monaten flossen exakt 4,577 Milliarden Euro an Steuern in die Stadtkasse, teilte die Finanzbehörde auf Abendblatt-Anfrage mit. Sollten die Steuern bis zum Jahresende gleichmäßig weitersprudeln, würde die Stadt mit 9,154 Milliarden Euro einen Rekord bei den Steuereinnahmen aufstellen (bisherige Bestmarke: 8,766 Milliarden Euro im Jahr 2008). Vor allem aber würden die Einnahmen rund 380 Millionen Euro oder 4,3 Prozent über den im Haushalt veranschlagten 8,775 Milliarden Euro liegen.

Ein sattes Plus, das Finanzsenator Peter Tschentscher (SPD) gleichzeitig die Arbeit erleichtern und erschweren könnte. Denn der Geldsegen weckt unweigerlich Begehrlichkeiten - und zwar ganz unterschiedlicher Art. So fordert die CDU angesichts der hohen Einnahmen, die Schuldenbremse 2020 vorzuziehen und spätestens 2015 einen Haushalt ohne Neuverschuldung anzupeilen. Im Gegensatz dazu sehen die Linkspartei und Gewerkschaften keine Notwendigkeit mehr für den strikten Sparkurs des Senats. Auch innerhalb der SPD ist der nicht unumstritten.

Dabei ändern die guten Steuereinnahmen zunächst wenig an der finanziellen Lage Hamburgs. Selbst wenn der positive Trend bis zum Jahresende anhalten sollte, würde die Stadt keineswegs im Geld schwimmen, sondern könnte lediglich die bislang für dieses Jahr geplante Nettokreditaufnahme von 600 Millionen Euro reduzieren. Hinzu kommen die Altlasten: Sollte die Stadt irgendwann Haushaltsüberschüsse produzieren, müssten erst einmal 25 Milliarden Euro Schulden abgetragen werden - das kann Jahrzehnte dauern. "Konjunkturell bedingte Mehreinnahmen werden nicht genutzt, um die Ausgaben zu erhöhen, sondern um das Haushaltsdefizit zu verringern", lautet daher die Ansage von Finanzsenator Tschentscher.

Größter Einzelposten bei den Einnahmen war die Lohnsteuer - mit 1,321 Milliarden Euro wurden per Ende Juni bereits 54 Prozent des erwarteten Jahreswerts eingenommen. Es folgten die Umsatzsteuer (947 Millionen/63 Prozent) und die Gewerbesteuer (843 Millionen/42,5 Prozent). Am weitesten über dem Etatansatz lag die Körperschaftssteuer: 207 Millionen Euro deckten bereits 73 Prozent des Ansatzes. Am schlechtesten entwickelte sich die Grundsteuer, von der "nur" 178 Millionen Euro oder 40,3 Prozent der erwarteten Summe eingenommen wurde.

Dennoch dämpft die Finanzbehörde die Euphorie: "Die leicht über dem Vorjahreszeitraum liegenden Steuereinnahmen im ersten Halbjahr 2012 dürfen nicht zu überhöhten Erwartungen führen", sagte Behördensprecher Björn Domroese dem Abendblatt. "Das Halbjahresergebnis kann nicht linear hochgerechnet werden, da es auf der Einnahme- wie auf der Ausgabeseite bei einzelnen Teilpositionen ungleichmäßig über das Jahr verteilte Zahlungsflüsse gibt." Zudem sei im Laufe des ersten Halbjahres von Monat zu Monat eine gewisse Abschwächung der Steuereinnahmen zu beobachten.

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Im Jahr 2011 kam die Hochrechnung allerdings ziemlich exakt hin. Damals hatte die Stadt zur Jahresmitte 4,354 Milliarden Euro Steuern eingenommen, am Jahresende waren es 8,716 Milliarden. Die Verdoppelung der Halbjahressumme wurde also nur um acht Millionen Euro verfehlt - nach oben.

CDU-Finanzexperte Roland Heintze sieht daher die Zeit gekommen, die Zügel bei der Haushaltskonsolidierung anzuziehen: "Der Finanzsenator muss aufhören, diesen positiven Trend bei den Steuereinnahmen zu ignorieren und für spätestens 2015 einen ausgeglichenen Etat anstreben." Bereinige man den Haushaltsentwurf des Senats um die dreistelligen Millionenbeträge, mit denen zum einen Löcher außerhalb des Haushalts gestopft werden sollen und die zum anderen als "Vorsichtsabschlag" von den erwarteten Einnahmen abgezogen werden, käme der Senat selbst zu dem Ergebnis, dass er 2015 keine Kredite mehr brauche, so Heintze. "Er muss jetzt nur dieses Signal setzen, dass er das auch will."

Tschentscher und Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) halten hingegen eisern an der pessimistischeren Sichtweise fest, wonach irgendwann die Konjunktur und damit auch die Einnahmen einbrechen werden. Das Ziel, vom Etat 2019/2020 an ohne Neuverschuldung auszukommen, sei daher ambitioniert genug. Vor wenigen Wochen hatte Scholz aber erstmals angedeutet, dass bei weiterhin sprudelnden Steuern vielleicht auch "etwas früher" die Kreditaufnahme gestoppt werden könne.

Linkspartei und Gewerkschaften fordern hingegen, dass die Stadt ihre Einnahmen erhöhen müsse, zum Beispiel über die Wiedereinführung der Vermögenssteuer. Dann müsste sie auch nicht teilweise Ausgaben kürzen. Da die Einnahmen nun wegen der brummenden Wirtschaft quasi von allein steigen, sieht Norbert Hackbusch, Haushaltsexperte der Linkspartei, neuen Spielraum: "Der Senat sollte die Zahlen zum Anlass nehmen, übereilte Kürzungen im Kinder- und Jugendbereich zu überdenken." Für große Aufregung sorgen vor allem die Pläne, den Bezirken die Mittel für die offene Kinder- und Jugendarbeit um 3,5 Millionen Euro zu kürzen und dem Heim für Kinderkuren auf Föhr den Zuschuss von zwei Millionen Euro jährlich zu streichen.

Trotz SPD-Mehrheiten in allen Bezirksversammlungen stemmen sich die örtlichen Jugendhilfeausschüsse mächtig gegen die Kürzungen - dieser Konflikt könnte jetzt noch zunehmen. Auch Hackbusch lehnt diese Sparmaßnahmen zwar gänzlich ab, schlägt aber vor, dass der Senat den Bezirken nun wenigstens mehr Zeit geben soll, die Vorgaben umzusetzen. "Sonst zerschlägt er unnötig Porzellan."