Finanzsenator Peter Tschentscher über die Beteiligung an Hapag-Lloyd und zum Vorwurf, Hamburg helfe nur den großen Unternehmen.

Hamburg. Die Stadt Hamburg wird bis Anfang Juli zum größten Anteilseigner von Hapag-Lloyd aufsteigen. Um den Anteil von 23,6 auf 36,9 Prozent aufzustocken, stellt Finanzsenator Peter Tschentscher weitere 420 Millionen Euro bereit. Damit hat Hamburg seit 2009 mehr als eine Milliarde Euro in das Unternehmen investiert. Im Abendblatt-Interview begründet der SPD-Politiker die Strategie der Stadt.

Hamburger Abendblatt: Herr Senator, werden Sie bald Chef von Hapag-Lloyd, der größten Linienreederei Deutschlands?

Peter Tschentscher: Nein, so einfach ist das nicht. Wir werden vielleicht Mehrheitseigentümer, aber wir wollen nicht das Unternehmen operativ steuern. Das macht die Geschäftsführung. Hapag-Lloyd hat einen sehr guten Vorstand. Wir haben Interessen als Stadt, aber wir spielen nicht Reederei. So machen wir es auch bei anderen städtischen Beteiligungen wie beim Flughafen oder der Hochbahn.

Hapag-Lloyd-Chef Michael Behrendt geht im Sommer 2013 in den Ruhestand. Über die Nachfolge wird die Stadt doch ein Wort mitreden?

Tschentscher: Für solche Personalentscheidungen ist der Aufsichtsrat zuständig, in dem sich bei neuen Eigentümerverhältnissen die Mehrheiten verschieben. Wir würden einen zweiten Sitz erhalten. Ende März brauchen wir einen neuen Aufsichtsratsvorsitzenden, da die Amtszeit von TUI-Chef Michael Frenzel dann endet.

Will die Stadt den Aufsichtsratsvorsitz übernehmen?

Tschentscher: Nein, wir wollen aber gemeinsam mit den anderen Anteilseignern einen Aufsichtsratsvorsitzenden finden, der die Themen gut begleiten kann, die auf Hapag-Lloyd zukommen. Der Börsengang zum Beispiel, den wir nach wie vor im Auge haben. Es geht da nicht um ein unmittelbares Regierungsgeschäft. So viel ändert sich nicht. Wir waren bislang mit 23,6 Prozent dabei, in Zukunft würden es 36,9 Prozent sein. Insofern ist unsere Verantwortung zwar etwas größer, aber sie ist nicht völlig neu.

Was war die zentrale Motivation der Stadt für den Zukauf? Es gab ja keinen zweiten Bieter für Hapag-Lloyd, der Druck aufgebaut hat.

Tschentscher: Das weiß man nicht. Wir haben eine schwierige Lage, weil TUI vertraglich die Möglichkeit hat, im Herbst die Mehrheit an Hapag-Lloyd zu verkaufen. Damit könnte von außen in vielen Entscheidungen Einfluss auf ein Unternehmen genommen werden, das mit seinen Partnern bisher 40 Prozent des Containerumschlags im Hamburger Hafen ausmacht. Die hafenabhängige Wirtschaft wiederum führt zu Steuereinnahmen der Stadt von 600 bis 800 Millionen Euro pro Jahr, netto nach Länderfinanzausgleich. Würden wir das zulassen, wäre das bisherige Engagement der Stadt, die seit 2008 schon mehr als 700 Millionen Euro bei Hapag-Lloyd investiert hat, vergeblich gewesen. Das können wir meiner Meinung nach nicht akzeptieren. Außerdem stärken wir Hapag-Lloyd mit unserem Verhandlungsergebnis, weil Verbindlichkeiten von 350 Millionen Euro zu zwei Dritteln in Eigenkapital umgewandelt werden. Das Unternehmen spart so 47 Millionen Euro an Zinsen, die bislang allein TUI zugutekommen.

War die Stadt erpressbar, weil TUI die Mehrheit an Hapag-Lloyd hätte verkaufen können?

Tschentscher: Es gibt eben eine Vertragslage, in der wir eine sehr gute Lösung verhandelt haben. Wir engagieren uns auf Zeit, können in Ruhe einen Börsengang vorbereiten und neue Eigentümer suchen.

Hapag-Lloyd wird 2011 nach Steuern und Zinsen einen Millionenverlust einfahren. Ist das Risiko, in ein solches Unternehmen mehr als eine Milliarde Euro Steuergeld zu investieren, nicht zu hoch?

Tschentscher: Tatsächlich entwickelt sich die maritime Branche stark zyklisch. Hapag-Lloyd hatte 2010 ein Rekordjahr mit dem bisher höchsten Gewinn der Unternehmensgeschichte von mehr als 400 Millionen Euro. Wir investieren also in ein gesundes, gut aufgestelltes Unternehmen.

Gab es schon eine Dividende aus dem Engagement der Stadt?

Tschentscher: Bisher nicht und für 2012 ist auch keine geplant. Aber wir könnten sie natürlich gut gebrauchen, weil wir für die 420 Millionen Euro 3,5 Prozent Zinsen zahlen müssen. Das sind knapp 15 Millionen Euro pro Jahr.

Warum hat Hamburg von der TUI nicht noch die restlichen 22 Prozent an Hapag-Lloyd übernommen? Der nächste Streit mit den Hannoveranern ist so doch programmiert?

Tschentscher: Weil wir nicht mehr Geld ausgeben dürfen als nötig war, um die Interessen der Stadt zu wahren. Auch die Möglichkeiten des Anteilseigners Klaus-Michael Kühne haben ihre Grenzen. Schließlich hat er zuletzt 315 Millionen Euro in Hapag-Lloyd in-vestiert. Wir haben aber nun erreicht, dass drei Viertel der Reederei in den Händen von Investoren sind, die Hapag-Lloyd in der Stadt eigenständig erhalten wollen. Ein Kauf der restlichen Anteile ist damit für einen auswärtigen Investor nicht mehr attraktiv. Zudem haben wir mit Kühne vereinbart, dass er in den nächsten Jahren weitere 5,5 Prozent von der Stadt übernehmen kann. Damit haben wir schon einen guten Käufer für unsere Anteile in Sicht.

Die Stadt hilft immer den großen Unternehmen wie Beiersdorf, Aurubis oder Hapag-Lloyd. Sind Ihnen die kleinen Firmen gleichgültig?

Tschentscher: Keineswegs. Wir helfen, wo es nötig und wichtig ist, mit Bürgschaften, Zuschüssen und Innovationsförderung. Aber bei Hapag-Lloyd geht es derzeit gar nicht um finanzielle Hilfe. Dem Unternehmen drohte der Verkauf an einen Investor, dessen Interessen andere sind als die der Stadt. Das ist der Kernpunkt. Allerdings helfen wir auch dadurch, dass es endlich Klarheit gibt in der künftigen Anteilseignerstruktur.

Muss die Stadt jetzt nicht jedem größeren Unternehmen in Not helfen?

Tschentscher: Jeden Einzelfall muss man abwägen. Bei Hapag-Lloyd besteht eben die enge Verbindung zum Hafen. Es wäre fahrlässig gewesen, nicht zu handeln.

Auch die Sietas-Werft gehört zur maritimen Branche. Warum gab es keine städtische Beteiligung an der Werft?

Tschentscher: Auch hier hat die Stadt stark mit Bürgschaften geholfen. Das gilt auch für den neuen Großauftrag aus den Niederlanden. Bei Sietas geht es um die Perspektive, wie das Unternehmen wirtschaftlich vernünftig fortgeführt werden kann. Bei Hapag-Lloyd ist der Standort in Gefahr. Die Reederei braucht keine wirtschaftliche Hilfe.

Für 1,1 Milliarden Euro, die Hamburg inzwischen in Hapag-Lloyd investiert hat, hätte die Stadt 1000 Wohnungen bauen können. Wäre das nicht besser gewesen?

Tschentscher: Für die Wohnraumförderung gibt die Stadt bereits über 100 Millionen Euro im Jahr aus. Wir wollen, dass in Hamburg künftig jedes Jahr 6000 neue Wohnungen gebaut werden. Bei Hapag-Lloyd geht es nicht darum, 400 Millionen Euro auszugeben, die an anderer Stelle fehlen. Das Geld ist gut eingesetzt: Wir erwarten künftig Dividenden, wir engagieren uns auf Zeit, sichern den maritimen Wirtschaftsstandort, und wir haben mit Herrn Kühne bereits einen Käufer für einen Teil der Anteile.

Das Handeln der Stadt, die immer wieder bei Unternehmen einsteigt, wird bereits als Volkseigener Betrieb (VEB) Hamburg kritisiert. Stört Sie das?

Tschentscher: Nein, denn das sagen Markttheoretiker, die keine Verantwortung haben für öffentliche Interessen. Wir denken pragmatisch. Das bedeutet: Wir kümmern uns um eine gute Zukunft für unsere Stadt, den Hafen und Hapag-Lloyd.