Kirsten Fehrs spricht beim Adventsempfang in der Hauptkirche St. Jacobi über den Missbrauchsskandal, kritisiert Kinderarmut und den SPD-Senat.

Hamburg. Hamburgs neue Bischöfin Kirsten Fehrs , 50, hat sich bei ihrem ersten Adventsempfang zum sexuellen Missbrauch in einer Ahrensburger Kirchengemeinde geäußert. "Dass dies geschehen konnte, dafür bitte ich in aller Form um Verzeihung." Sie kündigte in der Hamburger Hauptkirche St. Jacobi auch an, gemeinsam mit dem Schleswiger Bischof Gerhard Ulrich im April 2012 in einem Gottesdienst und einer öffentlichen Gemeindeversammlung in Ahrensburg auf dieses Thema eingehen zu wollen. "Ich will das verstehen", sagte sie. "Auch wenn es mich immer wieder, während ich mich damit beschäftige, fassungslos macht."

Der Adventsempfang ist zugleich ein gesellschaftliches Ereignis. Mehr als 500 Gäste waren gestern Abend in die City-Kirche gekommen, darunter Bürgermeister Olaf Scholz (SPD). Fehrs nutzte ihren ersten großen Auftritt als Bischöfin in der Hansestadt, um eine Art Programm für ihre Amtszeit vorzulegen. "Mich beruhigt sehr, dass zehn Jahre vor mir liegen. Denn schon jetzt gibt es viele Brennpunkte", sagte sie.

Zweiter wichtiger Punkt neben dem Thema sexueller Missbrauch ist für sie der Kampf gegen die Kinderarmut. "Gebt Acht, dass ihr nicht eines der Kleinen gering schätzt", sagte die Bischöfin. Gerade in Hamburg, in einer der reichsten Städte Deutschlands, nehme die Armut zu.

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Beim Kampf dagegen sprach sie sich für den Erhalt von Ein-Euro-Jobs aus. Auch diakonische Beschäftigungsträger leisteten mit diesen Arbeitsgelegenheiten sinnstiftende Arbeit in vielen Stadtteilen und Quartieren. "Dieses gesellschaftliche Engagement ist durch die neue Arbeitsmarktpolitik des Senats in ihrem Bestand gefährdet", kritisierte sie die Hamburger SPD-Regierung. "Ohne stadtteilnahe und öffentlich geförderte Beschäftigung sind viele Quartiere noch ärmer dran." Fehrs regte an, mit den zusätzlich in Aussicht gestellten Bundesmitteln Alternativen zu den Ein-Euro-Jobs aufzubauen. "Lassen Sie uns gemeinsam nachdenken."

Armut herrscht nach Meinung der Bischöfin auch in spiritueller Hinsicht. "Unsere Gesellschaft leidet zunehmend an einer metaphysischen Obdachlosigkeit." Es rede kaum noch jemand von dem, was er glaube, was ihn leite, was ihm Halt gebe. "Es wird geredet von Glück, nicht von Gnade." In diesem Zusammenhang rief sie alle Religionen und Konfessionen in dieser Stadt auf, gemeinsam gegen die Gottvergessenheit anzugehen. Das sei angesichts fremdenfeindlicher Tendenzen besonders wichtig. "In unserem Land braucht es eine Allianz der Humanität gegen rechts und gegen radikale Tendenzen überhaupt", sagte sie.

Die Adventszeit ist für die neue Bischöfin eine Zeit voller berechtigter Erwartung und großer Nachdenklichkeit. "Mich beflügelt sie, weil sie das Bittere mancher Realitäten mit einer Verheißung beantwortet." Ihr Programm als Bischöfin sei eine der Welt zugewandte Theologie. Sie setzt auf den Dialog. Wobei die Kirche im Fall des sexuellen Missbrauchs in Ahrensburg nach Einschätzung von Fehrs an ihre Grenzen stoßen könnte. Sie sprach von "hoch emotional besetzten Erwartungen" der Betroffenen, die "irritierend" seien. "Enttäuschung ist programmiert, weil kein Mensch, auch ich nicht, leisten kann, was ich als Wunsch zutiefst verstehe: eine Form von Satisfaktion."

Sie habe denjenigen, die sexualisierte Gewalt in Ahrensburg erlebt hätten, persönliche und vertrauliche Gespräche angeboten. Dabei will sie vermeiden, die Betroffenen auf ihre Opferrolle zu reduzieren. "Was wir anstreben müssen, ist ein neues Verhalten, das keinen stigmatisiert - die Betroffenen nicht, die Pastoren nicht, die Gemeinde nicht und die Kirchen leitenden Personen auch nicht." Auf Dialog setzt Fehrs auch beim Streit um das Wirtschaftsforum, das vor einer Woche im Michel stattgefunden und für eine heftige Diskussion gesorgt hatte. "Diese Debatte über die Nutzung von Kirche samt ihrer kritischen Stimmen möchte ich, möchten wir ernst nehmen."

Am 11. April 2012 soll es dazu ein öffentliches Forum im Michel geben. Am Ende ihrer gut 30 Minuten langen Rede gab es anhaltenden Beifall. Für die neue Bischöfin, die zuvor Hauptpastorin an St. Jacobi gewesen war, war es eine Rückkehr an ihre alte Wirkungsstätte. Verbunden mit einer Premiere: Beim Defilee zu Beginn des Adventsempfangs hatte sie mehr als 500 Hände zu schütteln.