Jana Schiedek will Wirtschaftskriminalität stärker bekämpfen. Fehlverhalten in der Firma anzuzeigen, soll nicht mehr rechtswidrig sein.

Hamburg. Justizsenatorin Jana Schiedek (SPD) will die Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität zu einem Schwerpunkt ihrer Arbeit machen. "Wir brauchen wirksamere Mittel der Strafverfolgung, und wir brauchen ein starkes Signal auf diesem Gebiet", sagte die Senatorin in einer Rede vor Mitgliedern des Hamburgischen Anwaltvereins am Wochenanfang.

Ein erster Schritt auf dem Weg zu einem effektiveren Vorgehen gegen Wirtschaftskriminelle soll ein umfangreicher Antrag zu Gesetzesänderungen sein, den Schiedek auf der heutigen Herbstkonferenz der Länderjustizminister einbringt. Das Lagebild des Bundeskriminalamts weist für 2010 eine Gesamtschadenssumme von 4,66 Milliarden Euro aus Fällen der Wirtschaftskriminalität aus.

Schiedek will die Hinweisgeber aus Unternehmen besser schützen. Viele Fälle von Korruption und anderen Wirtschaftsstraftaten wie Steuerdelikten in Unternehmen werden durch Beschäftigte aufgedeckt. Wer brisante betriebsinterne Informationen an Strafverfolgungsbehörden weiterreicht, riskiert berufliche Nachteile und Ermittlungen wegen des Bruchs von Geschäftsgeheimnissen. "Diese Menschen dürfen wir nicht im Regen stehen lassen", sagte Schiedek vor den Anwälten.

Die Justizsenatorin regt eine Klarstellung im Bürgerlichen Gesetzbuch an. Danach soll derjenige, der Fehlverhalten im Unternehmen anzeigt, nicht mehr unbefugt und nicht mehr rechtswidrig handeln.

+++ Olaf Scholz und seine Senatoren +++

+++ Senatorin fordert besseren Opferschutz +++

Für Schiedek hat der Fall einer Altenpflegerin aus Berlin exemplarische Bedeutung. Die Frau hatte dem Klinikbetreiber vorgeworfen, zu wenig Personal zu beschäftigen, sodass keine ausreichende Pflege möglich sei. Die Staatsanwaltschaft stellte die Ermittlungen gegen den Betreiber ein, der Frau wurde aber fristlos gekündigt. Alle Instanzen bestätigten die Entlassung wegen der Verletzung der Loyalitätspflichten. Erst der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte beurteilte den Fall anders und verurteilte Deutschland zu Schadenersatz.

Zweitens schlägt Schiedek vor, die sogenannte Verbandsstrafe einzuführen. Bislang können in Deutschland nur Personen, nicht aber Unternehmen als Ganzes angeklagt werden. Sogenannte juristische Personen können nur über das Ordnungswidrigkeitenrecht belangt werden. Die Senatorin will mit der Einführung der Verbandsstrafe einer "organisierten Unverantwortlichkeit" in Firmen entgegenwirken.

Andere Staaten wie Frankreich, Großbritannien, Polen, die Niederlande oder die skandinavischen Staaten sind da weiter. In der Schweiz gibt es die Verbandsstrafe seit dem Chemieunfall in Schweizerhalle 1986. Damals war nach dem Brand einer Lagerhalle des Arzneimittelkonzerns Sandoz AG mit Chemikalien kontaminiertes Löschwasser in den Rhein geflossen und hatte ein großes Fischsterben ausgelöst. Der Grund waren ungenügende Rückhaltemöglichkeiten für Löschwasser.

Der dritte Schwerpunkt hat zum Ziel, die Rechte zur Vermögensabschöpfung zu verbessern und zu vereinfachen. "Der Täter darf nach der Tat nicht besser gestellt sein als vorher", sagt Schiedek. Für die Geschädigten von Wirtschaftsdelikten soll die komplizierte Verpflichtung entfallen, sich auf zivilrechtlichem Weg einen Vollstreckungstitel zu beschaffen. Geld, das nicht abgefordert wird, bekommt grundsätzlich der Täter zurück. Schiedek: "Dies muss verhindert werden."

Schließlich schlägt die Senatorin eine gesetzliche Neuregelung für Fälle waghalsiger Finanzexperimente vor, die das normale Maß unternehmerischer Risiken bei Weitem überschreiten. Es geht mit anderen Worten darum, Konsequenzen aus der weltweiten Finanzkrise zu ziehen. Einschlägig für eine mögliche Verurteilung ist in diesem Zusammenhang nur der Vorwurf der Untreue. Das Bundesverfassungsgericht hatte die Untreue im Fall des früheren BerlinHyp-Vorstandschefs und CDU-Politikers Klaus-Rüdiger Landowsky sehr eng gefasst. Unter anderem forderte das Gericht bei Risikogeschäften eine konkrete Bezifferung des Gefährdungsschadens, was in vielen Fällen wegen der nachträglichen Bewertung von Vermögen schwerfällt. Landowsky wurde zu Beginn des Jahres freigesprochen.

Auf Ersuchen der SPD-Bürgerschaftsfraktion hat Schiedek außerdem die Einführung eines bundesweiten Korruptionsregisters in das Antragspaket für die Justizministerkonferenz aufgenommen. Zwar gibt es Länder wie Berlin, die ein eigenes Register geschaffen haben. Ein länderübergreifender Abgleich fehlt allerdings. Außerdem können Unternehmen durch einen Standortwechsel der Registrierung entgehen. Ein Sonderfall der Wirtschaftskriminalität ist unerlaubte Telefonwerbung. Vor allem ältere Menschen lassen sich zum Beispiel bei Gewinnspielen überreden, ihre Kontodaten herauszugeben, die dann für Abhebungen genutzt werden. Schiedek will den Straftatbestand der unerlaubten Telefonwerbung in das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb aufnehmen.