Studierende, Professoren und Hochschulmitarbeiter protestierten gegen die Sparbeschlüsse des Senats. Einer gab sein letztes Hemd.

Hamburg. Die Stühle sind bequem. Genug Beinfreiheit für jeden. Der goldene Kronleuchter wirft sanftes Licht in den prächtigen Großen Festsaal. Drei der riesigen Wände sind mit Gemälden von Hugo Vogel geschmückt. Sie zeigen die Entwicklung Hamburgs von der Urlandschaft über die Besiedelung, Christianisierung bis Mittelalter und Neuzeit mit ihren großen Schiffen im Hafen als Ausdruck der Wirtschaftlichkeit der Hansestadt. An der vierten Wand liegen die Fenster, die zum Rathausmarkt hinausgehen. Und dort draußen drängt sich ein neues Bild auf: Wäre es ein Gemälde, es könnte den Titel "Zeitalter der Wissenschaft" tragen. Tausende Studenten haben es sich vor dem Rathaus bequem gemacht, haben sogar Zelte aufgeschlagen. Sie sind gekommen, um ihre Botschaft an den Senat zu schicken: Keine Kürzungen in der Bildung.

Während im Festsaal ab 17 Uhr die Politiker und Hochschulchefs im Wissenschaftsrat tagen, wollen die Studenten unter freiem Himmel vor dem Rathaus nächtigen. Drinnen die Debatte, draußen die Demonstration. Unter dem festlichen Leuchter Ernsthaftigkeit und Anspannung. In der leuchtenden Sonne Fröhlichkeit und Fest.

Es geht um den Erhalt der Fächervielfalt, um die Abschaffung der Studiengebühren und den vollen Ausgleich durch staatliche Mittel, es geht um die bedarfsgerechte Hochschulfinanzierung und darum, dass nicht weiter gekürzt werden soll.

Nur ein Bruchteil der Demonstrierenden - die Polizei spricht von 7500, die Veranstalter von 10 000 bis 15 000 - haben es in die öffentliche Ausschusssitzung geschafft. 220 Plätze sind für die Studenten vorgesehen. Wer nicht rechtzeitig kommt, muss draußen warten. Die Bannmeile vor dem Rathaus ist mit rot-weißen Metallzäunen abgesperrt, umsäumt von Polizisten. Die Bannmeile ist vorgeschrieben, weil drinnen auch die FDP-Fraktion tagt - ein Zufall.

+++ Leitartikel: Der erste große Fehler +++

"Ein Bild sagt mehr als tausend Worte", sagt der Hochschulchef, als er vor dem Ausschuss aufsteht, langsam sein Jackett auszieht, dann sein Hemd, bis er mit freiem Oberkörper vor den Politikern steht. Martin Köttering, er leitet die Hochschule für bildende Künste, will sagen: Wenn der Senat spart, müssen wir unser letztes Hemd geben. Der Applaus brandet so laut durch den Festsaal, dass man Angst haben könnte, das Elbwasser auf dem Schiffswandgemälde könnte echt sein und aus der Wand herausstürzen, um alle Politiker einfach wegzuspülen. Die Hochschulchefs sind bis an die Zähne bewaffnet - mit Zahlen. Jeder hier kann die jahrelangen Sparrunden und die Unterfinanzierung der Hochschulen in Hamburg belegen.

Leonie Spandau ist eine von denen, die draußen ihr Zelt aufgeschlagen haben. Die Studentin der Politikwissenschaften ist seit rund 14 Tagen fast rund um die Uhr mit den Vorbereitungen für die Demo beschäftigt. Sie hat gemeinsam mit Kommilitonen Plakate gemalt, T-Shirts bedruckt, einen Sarg gebaut. Sie trägt Schwarz, die Farbe der Trauer. "Wir beerdigen heute unsere Bildung", sagt sie. "Wir", das sind die Personalräte der Hamburger Hochschulen, das sind Erstsemestler genauso wie die Professoren, die Verwaltungsangestellten genauso wie die Präsidenten. Alle haben sich auf den Weg gemacht.

Drinnen, im Rathaus, spricht der Chef der Uni Hamburg, Dieter Lenzen, heiser ins Mikrofon. Er ist erkältet und wütend: "Ich finde es schade, dass Sie den Boden der Tatsachen verlassen", sagt er in Richtung der SPD-Regierungsfraktion. Es geht um die Frage, warum die Universitäten noch Rücklagen haben, die sie laut SPD noch ausgeben könnten. Lenzen erzählt von Professoren-Budgets in Hamburg, die "nicht mal einen Hund hinterm Ofen hervorlocken" könnten. Die Professoren treten geschlossen auf: "Sparen trifft die jungen Wissenschaftler", heißt es. Oder dass man viele Angestellte nicht kurzfristig entlassen könne. "Ich kann meine Leute ja nicht erschießen", sagt Michael Stawicki, Chef der Landeshochschulkonferenz.

Um Punkt 14 Uhr war der Sternmarsch vom Bahnhof Dammtor und vom Berliner Tor in Richtung Innenstadt gestartet.

Es herrscht Volksfeststimmung. Die Studenten haben Luftballons an ihre Taschen geknotet, sie tragen T-Shirts mit der Aufschrift "Mehr Wissen schafft mehr", sie haben Trillerpfeifen besorgt und Transparente bemalt. "Unter den Talaren nackt vor lauter Sparen", steht auf einem. Anna, 18, hat sich diesen Spruch ausgedacht. Sie studiert Informatik im zweiten Semester. Doch in den vergangenen Tagen hat sie mit ihren Kommilitonen ausschließlich gebastelt, "um ein Zeichen zu setzen gegen die Sparbeschlüsse", wie Anna es formuliert. BWL-Studentin Cosima Ostan, 23, sagt, was die meisten hier denken: "Bildung ist unsere Zukunft." Cosima will mehr tun als nur auf die Straße gehen. Sie sammelt seit Tagen Unterschriften gegen die Sparmaßnahmen. Die Unterschriften erreichen am Abend auch das Rathaus. Weil der Bote nicht hineingelassen wird, übergibt sie die Linke-Fraktionschefin Dora Heyenn. Es sind 16 868 Unterschriften. "Sie hätten den jungen Mann ja auch reinlassen können, das wäre dann wenigstens ein öffentlicher Ausschuss", sagt Heyenn. Eine Sitzung des Ausschusses im Audimax war aus "Sicherheitsgründen" abgesagt worden.

Wissenschaftssenatorin Dorothee Stapelfeldt (SPD) sagt, "Katastrophenszenarien sind nicht angebracht". Aber fest steht, dass die Hochschulen in den kommenden zwei Jahren deutlich weniger bekommen, während sie Studienplätze ausgebaut haben. "Wenn unsere Gelder weiter runtergefahren werden, können wir bald nicht mehr mit anderen Hochschulen mithalten", sagt Prof. Udo Schumacher von der Uniklinik. Schon jetzt würden die meisten seiner Summa-cum-laude-Doktoranden nach Süddeutschland abwandern. Weil dort die Voraussetzungen besser seien.

Um halb fünf haben die Demonstrierenden ihr räumliches Ziel erreicht. Der Tross endet auf der Reesendammbrücke unweit des Rathauses. Näher ran an die Schaltzentrale der Macht dürfen sie nicht. Alexis Karvountzis stellt den schweren Holzsarg auf dem Asphalt ab. Alexis ist 22 Jahre alt, Politikwissenschaftler - und auf der Demo als Sargträger für die Bildung im Einsatz. "Die Demo hier ist genau unser Job", sagt Zweitsemestler Alexis. Das Studium diene doch dazu, Kritik zu kultivieren und das Andersdenken zu fördern. Alexis hätte seine Meinung auch gern im Rathaus gesagt. Doch der Festsaal ist voll. Und so demonstriert er seine Meinung per Zeltlager vor dem Rathaus. "Wir wollen ein Zeichen setzen", sagt er. Er sagt das auch, als die Polizisten ihn und die anderen auffordern, ihre Zelte vom Platz zu entfernen. Gegen einzelne Demonstranten wird Pfefferspray eingesetzt.

Im Rathaus stimmen die Sozialdemokraten versöhnlichere Töne an. Was ein Plan für die Wissenschaft erfüllen müsse, fragt Philipp-Sebastian Kühn (SPD). Uni-Präsident Lenzen: "Wir können Wissenschaftszentrum für Nordeuropa sein." Dafür brauche es finanzielle Zusagen über zehn Jahre. Lenzen: "Sonst werden Träume erzeugt, die nicht finanziert werden."