Ärzte und Jugendhilfeeinrichtungen fordern von der Sozialbehörde, dass das Netzwerk-Projekt weitergeführt wird.

Hamburg. Sabine Berger (Name geändert) wollte so gern eine gute Mutter sein. Aber das Leben nach der Geburt fühlte sich nicht annähernd so gut an, wie es sich die Juristin vorgestellt hatte. Doch es dauerte fast zwei Jahre, bis der Frauenärztin der jungen Mutter auffiel, dass es ihrer Patientin von mal zu mal schlechter ging. Bei Sabine Berger wurde eine Depression diagnostiziert, und endlich fand sie Hilfe. "Von Depressionen hatte ich schon gelesen, aber ich hatte das nie auf mich bezogen", sagt die Hamburgerin. Und rückblickend weiß sie: "Es ist sehr wichtig, dass andere genau hingucken, wie es einem geht." So wie bei Sabine Berger: "Ich war so froh, als endlich jemand die Ursache für meine Ängste, meine Panikattacken, die Furcht, allein zu sein, erkannt hat."

Um das genaue Hinschauen - darum geht es beim Projekt "Frühe Hilfen", das nach dem Bruch der schwarz-grünen Koalition Ende 2010 wieder in den Schubladen der Sozialbehörde verschwunden ist. Der künftige Sozialsenator solle das Projekt weiter unterstützen, fordert die Arbeitsgruppe, die sich auf Initiative von Dietrich Wersich (CDU) im Mai 2010 gebildet hatte und ihre Arbeit im Winter aufgegeben musste. Mehr als 200 Kinder- und Frauenärzte, Chefärzte mehrerer Kliniken, Psychotherapeuten, Hebammen, Familienbildungsstätten und zahlreiche Institutionen in Hamburg haben diese Forderung unterschrieben. "Der Senator, der jetzt neu kommt, müsste erneut den Auftrag an seine Behörde erteilen und Geld bereitstellen", sagt Dr. Bernd Hinrichs, Chefarzt der Abteilung für Kinder- und Jugendmedizin an der Helios-Mariahilf-Klinik Hamburg, der von Anfang an in der Arbeitsgruppe mitgearbeitet hat. Ziel der Frühen Hilfen sei es, die in Hamburg bereits vorhandene professionelle Fachkompetenz von Gesundheits- und Jugendhilfe zu koordinieren. "Damit aus kleinen Nöten keine Notfälle werden, bedarf es einer möglichst niedrigschwelligen Hilfe, damit Kinder gesund aufwachsen", sagt Hinrichs. Genau das sieht auch der Referentenentwurf zum neuen Bundeskinderschutzgesetz vor (siehe rechts).

Noch fordern viele Eltern gar keine Hilfe an. "Mehr als die Hälfte der Frauen in Hamburg wissen nicht einmal, dass sie während der Schwangerschaft und auch nach der Geburt den Anspruch auf eine Hebamme haben, die sie betreut", sagt Susanne Lohmann, Vorsitzende des Hebammen-Verbands Hamburg, die auch in der Arbeitsgruppe aktiv ist.

Es gehe nicht darum, erst im Krisenfall einzugreifen, betont die Kinderärztin Petra Kapaun, Mitglied der Arbeitsgruppe: "Frühe Hilfen, das ist kein Frühwarnsystem. Wir wollen ein Netzwerk für alle, ob Reich oder Arm, damit es nicht stigmatisierend ist, wenn man Hilfe in Anspruch nimmt." Die Medizinerin, die in einer Gemeinschaftspraxis in Hoheluft arbeitet, sagt auch: "Wir fischen nicht nur die Problemfälle raus, sondern wollen allen Familien ganz früh Unterstützung anbieten. Jeder Cent, den man in die Prävention steckt, macht sich tausendfach bezahlt."

Dazu müssten aber alle im Hilfesystem entsprechend fortgebildet sein, damit sie in der Lage seien zu erkennen, wenn etwas in der Bindung von Mutter und Kind nicht in Ordnung ist. "Aber Fortbildung kostet Geld", sagt Kapaun.

Die Gefahr, dass das Netzwerk jene Eltern, die Hilfe besonders nötig haben, möglicherweise gar nicht erreichen könnte, sieht Kapaun nicht. "98 Prozent der Kinder kommen zur U 3 (Untersuchung vier bis sechs Wochen nach der Geburt), und 96 Prozent noch zur U 6 (9. bis. 14. Monat)." Da hätten die Kinderärzte die Chance, genau hinzusehen. Derzeit sei es zu häufig vom Zufall abhängig, ob ein Arzt genau hinguckt auf Mutter, Vater und Kind.