Die Spitzenkandidatin der Grünen attackiert die Sozialdemokraten bereits scharf: “Man darf der SPD die Stadt nicht allein überlassen.“

Wilhelmsburg. Es wehte ein kalter Wind um das Bürgerhaus Wilhelmsburg, und wären Mitglieder der SPD gestern Abend zufällig in der Gegend gewesen, wäre der Sitzungssaal sicher kein Ort zum Aufwärmen gewesen. Bei der GAL-Landesmitgliederversammlung schlug der SPD von vielen Seiten ein ziemlich eisiger Wind entgegen. Aber dazu später mehr.

Eigentlich war man doch zusammengekommen, um Anja Hajduk zur Spitzenkandidatin für die Bürgerschaftswahl zu nominieren. Diese Aufgabe erfüllten die 160 GAL-Mitglieder. Mit großer Mehrheit stimmten sie, bei nur einer Gegenstimme und wenigen Enthaltungen, für die ehemalige Stadtentwicklungs- und Umweltsenatorin. "Es wird sicherlich anstrengend bei der Kälte draußen, aber wir können uns an unserer Gemeinsamkeit und an unserem Ehrgeiz wärmen", sagte sie nach der Nominierung zu den Hamburger Grünen. Drei Stunden vorher waren die Worte noch weniger freundlich.

In Richtung SPD, die ja eigentlich der favorisierte Koalitionspartner ist, sagte Hajduk: "Man darf der SPD diese Stadt nicht alleine überlassen." Und: "Die SPD darf man in der Regierung nicht alleine lassen." Hajduk habe die Aussagen von SPD-Kandidat Olaf Scholz gehört - der größte Fehler in der Wirtschaftspolitik sei die harte Umweltpolitik gewesen, die es zu reparieren gelte, zitierte Hajduk den SPD-Spitzenkandidaten. "Selbst wenn man zu Recht ganz zufrieden ist mit der Lebensqualität in Hamburg, dürfen wir nicht vergessen, dass notwendige Änderungen vor uns liegen", betonte Hajduk. Klimawandel sei ein Problem, und Hamburg müsse seinen Lösungsanteil entwickeln. "Wenn wir die Lebensqualität erhalten wollen, müssen wir neue, kreative Lösungen suchen." Die SPD sei in diesen Punkten "sehr klassisch".

Ebenso frostig gestimmt war Fraktionschef Jens Kerstan. Er sagte, man könne sich nicht darauf verlassen, dass der "kühle Taktiker Scholz" sich zwangsläufig den unbequemen Partner aussuchen werde - und die GAL sei nun mal manchmal unbequem. Vielleicht, so Kerstan, werde die SPD da doch lieber die "bequemen Linken" wählen. Auch inhaltlich gab es einen mit. "Die SPD hängt mit ihrer Wirtschaftspolitik noch in den 50er-Jahren", sagte Kerstan. Die Verbindung von Ökonomie und Ökologie gebe es bei den Sozialdemokraten noch nicht, ihnen fehle zudem der Mut zur Modernisierung. "Wir brauchen eine starke Mehrheit für Rot-Grün", eröffnete Kerstan abschließend den Wahlkampf. "Vor allem brauchen wir aber eine starke Grüne."

Und wie die GAL in diesen Wahlkampf geht, machte die ehemalige Schulsenatorin Christa Goetsch deutlich. "Die CDU wird keine Bandscheibenvorfälle kriegen, weil sei kein Rückgrat hat", kommentierte Goetsch die Entscheidungen der CDU nach dem Koalitionsbruch. Auch für die Entscheidung der CDU, Walter Scheuerl für den Wahlkampf in die eigenen Reihen zu holen, hatte Goetsch nur Häme übrig. "Ahlhaus ohne Überzeugungen, Scheuerl ohne Moral, was für ein Duo", rief sie den Grünen-Mitgliedern zu.

Während sich Goetsch noch am ehemaligen Koalitionspartner abarbeitete, konzentrierte sich Justizsenator a.D. Till Steffen schon auf den künftigen. Konkret richtete sich seine Kritik unmittelbar an den SPD-Innenexperten Andreas Dressel. Seine Grundüberzeugung siedele ganz woanders, so Steffen. Innenpolitisch werde es in einer rot-grünen Koalition deshalb eine harte Auseinandersetzung geben, für die man viel Kraft brauchen werde.

Allerdings stand nicht nur der Koalitionspartner in spe unter Beschuss, die Grünen wären nicht die Grünen, hätten einige den Tagesordnungspunkt "Aussprache" nicht für ein offenes Wort gegen ihre eigene Spitze genutzt. "Ihr hattet keine Lust mehr", warf eine Rednerin der Führungsebene zu. Der Koalitionsbruch sei keine Gewissensentscheidung gewesen, sondern Taktik - und jetzt fehle ihr die Taktik für die Zukunft. Sie habe keine Lust auf Olaf Scholz als Ersten Bürgermeister der Hansestadt.

Andere Mitglieder fühlten sich in den Prozess der Spitzenkandidatensuche nicht ausreichend eingebunden. Und so forderte ein Änderungsantrag aus Wandsbek, lediglich über die Neuwahlen abzustimmen, nicht aber über Anja Hajduks Nominierung. "Es ist gute Tradition bei der GAL, erst über die Programme und dann über die Personen zu reden. Daran sollten wir festhalten", so die Begründung. Auch die Tatsache, dass die Mitglieder nicht vor der öffentlichen Verkündung in die Frage des Spitzenkandidaten einbezogen worden waren, sorgte bei einigen Mitgliedern für Ummut.

Landeschefin Katharina Fegebank warb trotzdem für die Nominierung, um von den anderen Parteien im Wahlkampf nicht "abgehängt" zu werden.

Trotzdem: Für Kritik an der SPD gab es den meisten Applaus - das ließ auch Parteichefin Katharina Fegebank aufhorchen. Sie lasse das sehr wachsam sein, so Fegebank. Es zeige ihr, dass die GAL sehr eigenständig in die Auseinandersetzung gehen müsse.

Die Grünen stünden für einen "breiten Strauß" mit den Themen Umwelt, Klima, Energie, Bürgerbeteiligung. "Das ist ein Angebot, das die Schnarchigkeit der SPD und die Verwaltungsmentalität der CDU in den Schatten stellt", sagte die Grünen-Chefin.