Gestern Mittag: ein Ortstermin zwischen Stahl, Statik und Schwerelosigkeit. Die Elbphilharmonie nimmt in 45 Metern Höhe Gestalt an.

Hamburg. Der Blick nach oben ist buchstäblich überwältigend. Und es kann einem schon etwas mulmig werden, wenn man im zwölften Stockwerk der Elbphilharmonie steht und über einem sich eine gigantische Betonkonstruktion wölbt. In 45 Meter Höhe geht der Blick nach links weit über die Elbe, rechts grüßen Michel und Alster - und nahezu schwerelos schwebt über dem Kopf der große Konzertsaal, in dem später einmal 2150 Besucher klassischen Klängen lauschen werden.

Wie kann das sein? Welche statischen Kräfte wirken hier so kraftvoll im Verborgenen, dass ein Raum, über dem 12.500 Tonnen Stahl und Beton ruhen, so offen sein kann? Und praktisch ohne Stützen, die eine traumhafte Rundumsicht über die Stadt behindern würden, auskommt?

Stefan Kaden von der städtischen Realisierungsgesellschaft ReGe Hamburg spricht von der "Grundidee des Schwebens und der Schwerelosigkeit". Dadurch. dass die gewaltigen Lasten "irgendwo im Gebäude konzentriert werden, wo man es nicht sieht", sei diese "Sichtachse zwischen Alster und Elbe" auf der öffentlich zugänglichen Plaza entstanden. "Die Kunst bestand darin, die Lasten spazieren zu führen und in den Baugrund abzuleiten", sagt Kaden. Die wenigen schrägen Stützen seien außerdem aus einem Spezialbeton, der eine "extreme Tragfähigkeit" garantiert. Warum schräge Stützen? "Ich bin selbst Tragwerksplaner", sagt Kaden, "und ich hätte keine schrägen Stützen geplant." Andererseits sei das wohl weltweit einmalig.

Die Elbphilharmonie nimmt Gestalt an. Abseits von den Diskussionen über Kostensteigerungen, Abweichungen vom ursprünglichen Zeitplan und die Aufarbeitung des Ganzen durch einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss arbeiten derzeit bis zu 800 Handwerker an dem Prestigebau. "Wir kommen mit den Dacharbeiten und dem Stahlbau gut voran", sagt Bernd Pütter, Sprecher des ausführenden Bauunternehmens Hochtief.

Raffinesse und Stahlbau - zwei Vokabeln, die man nicht unbedingt sofort miteinander in Verbindung bringt. Das ändert sich schlagartig beim Blick in den großen Konzertsaal. Und Hagen Schroth, 40, ist der Mann, der dem Laien sehr anschaulich zu erklären vermag, worin die Einzigartigkeit dieses neuen Hamburger Wahrzeichens liegt. Und warum dieses kolossale Bauwerk mit einem Gesamtgewicht von rund 200 000 Tonnen dennoch in vielen Bereichen eine schwebende Leichtigkeit ausstrahlt.

Der drahtige Oberbauleiter von Hochtief steht vor einem sogenannten Federpaket. Um diese stählernen "Puffer" - 50 cm hoch, 50 bis 70 cm breit und zwischen 50 und 200 Kilo schwer - gab es vor Monaten reichlich Aufregung. Die Elbphilharmonie-Architekten von Herzog & de Meuron hatten lautstark moniert, dass zahlreiche Federpakete nicht vorschriftsmäßig eingebaut worden seien. Dadurch sei eine optimale Konzertakustik gefährdet.

"Inzwischen hat der Prüfstatiker alles abgenommen und für gut befunden", sagt Hagen Schroth. Genau 326 Federpakete, auf denen Lasten von 17 bis 100 Tonnen lagern, sorgen nun für die Entkoppelung des großen Konzertsaals vom Restgebäude mit seinen 45 geplanten Wohnungen und dem Hotel mit insgesamt 250 Zimmern. Sie müssen millimetergenau zwischen Betonkonstruktion und Stahlträgern eingebaut sein, damit später weder Orchestertöne den Schlaf der Hotelgäste stören, noch ein kräftiges Schiffstuten sich mit sensiblen Streicherklängen vermischt.

Die Federpakete nehmen auch sämtliche Lasten auf und sorgen für eine sogenannte "Raum im Raum"-Konstruktion des großen Konzertsaals. Die Tragkonstruktion besteht aus einer 20 bis 40 cm dicken Außenschale mit Stahlbetonrippen und einer inneren Konstruktion bestehend aus 21 Stahl-Hauptrippen. Direkt darauf sind bereits einige der insgesamt 21 Tribünenfachwerke montiert. Die späteren Sitzreihen, die trichterförmig um die Bühne angeordnet werden, sind schon grob zu erkennen.

Es geht sichtbar voran. Davon zeugt auch die Spitze des bereits installierten obersten Trägers in 110 Meter Höhe, der den höchsten Punkt der Elbphilharmonie bildet. Wann jedoch die Eröffnung des Konzerthauses stattfindet, darüber wurde gestern nicht gesprochen. Während ReGe und Hochtief gemeinsam die Fortschritte auf Europas derzeit anspruchsvollster Baustelle präsentierten, wird hinter den Kulissen über die fristgerechte Fertigstellung des 500-Millionen-Bauwerks gestritten. Realistisch ist eine Eröffnung des Konzertsaals im Jahre 2013.