Experten sehen in der sozialen Spaltung eine entscheidende Rolle für den Gewaltausbruch unter den jungen Menschen in Hamburg.

Zu allgemein gehalten, die Analyse nicht ausgereift, an den falschen Enden gepackt - Innensenator Christoph Ahlhaus (CDU) erntet nach seinem Interview im Abendblatt Kritik von SPD und Sozialexperten. In dem Gespräch über wachsende Gewalt junger Menschen hatte er erklärt: "Natürlich haben wir ein Problem mit jungen Menschen mit Migrationshintergrund ." Es gebe zu viele junge Menschen, die keine Bereitschaft mehr hätten, die hiesige Werte- und Rechtsordnung zu akzeptieren.

Der SPD-Innenexperte Andreas Dressel hält diese Äußerung für zu undifferenziert: "Es wird in der Debatte um Jugendgewalt zu häufig mit Vorurteilen operiert statt mit Fakten argumentiert, und das erschwert die Weiterentwicklung präventiver und repressiver Konzepte gegen Jugendgewalt", sagt Dressel. Das Merkmal Migration erkläre noch lange keinen verstärkten Gewaltausbruch.

Dressel fordert nach dem Vorbild Berlins eine auf fünf Jahre befristete Sonderauswertung 'Jugendgewalt im Rahmen der Kriminalstatistik', bei der für jugendliche und heranwachsende Tatverdächtige von Gewaltdelikten alle relevanten Sozial- und Herkunftsdaten, also auch Bildungsstand, Familiensituation und Migrationshintergrund, mit erfasst werden. Diese Daten müssen konkret dazu genutzt werden, die Konzepte gegen Jugendgewalt noch zielgenauer zu gestalten. Entgegen der Aussage des Innensenators sei dies auch in Hamburg möglich.

+++ SO KRIMINELL IST IHR STADTTEIL +++

Dimitra Merdin, Vorsitzende des Vereins "Unternehmer ohne Grenzen", schlägt in die gleiche Kerbe: "Natürlich gibt es gewalttätige Migranten, es gibt aber auch gewalttätige Deutsche", sagt sie. Sie sieht den Prozess der Integration insgesamt auf dem richtigen Weg, fordert aber noch mehr Engagement. "Wir haben eine Nationalmannschaft, die aus vielen verschiedenen Ethnien besteht, das ist gelebte Integration", die in der Basis ausgebaut werden müsse.

Die Schulreform sei einer dieser ersten Schritte in die richtige Richtung. "Eine bessere Bildung, bessere Ausbildungschancen, das ist wichtig", sagt die Psychologin, deren Verein ausländische Unternehmer unterstützt. Eine geringere Bildung verschlechtere die berufliche Perspektive und erzeuge Frust.

"In der Tat haben viele jugendliche Gewalttäter einen Migrationshintergrund", sagt Dirk Hauer, Leiter des Fachbereichs Migration, Flucht und interkulturelle Arbeit der Diakonie. "Dabei spielt die tiefer liegende gesellschaftliche Entwicklung und soziale Spaltung eine entscheidende Rolle." Sie hätten zunehmend schlechtere Lebensperspektiven, könnten immer seltener über Job oder Wohnung am gesellschaftlichen Leben teilnehmen. "Karrieremöglichkeiten sehen sie daher nur im kriminellen Bereich", sagt Hauer. "Daher müssen ihre Bildungschancen dringend verbessert werden."

Generell sei intensive soziale Arbeit nötig, um Jugendlichen mit Migrationshintergrund eine glaubhafte Perspektive zu weisen. Auch die Polizei sei gefordert, müsse daran arbeiten, nicht als Feind, sondern als Partner wahrgenommen zu werden, sagt Hauer. Insbesondere die Polizisten mit Migrationshintergrund könnten Jugendlichen signalisieren, dass sie keine Gegner seien. Und so dazu beitragen, dass das gegenseitige Feindbild abgebaut wird."

Christa Günther, Lehrerin an der Ganztagsschule St. Pauli, erlebt jeden Tag an vielen ihrer Schüler, was ihrer Meinung nach zu Gewalttätigkeit bei Jugendlichen führen kann. "Viele Eltern haben große Probleme bei der Kindererziehung", sagt sie. "Sie scheuen sich oft, Grenzen zu setzen." Zu oft würden Kinder sich selbst überlassen, doch auf der Straße würden gerade die Jungen schon als kleine Kinder oft die rauen Umgangsformen Jugendlicher kennenlernen und imitieren.

Um die Eltern zu erreichen, machen Christa Günther und ihre Kollegen Familienbesuche - möglichst schon bei Vorschülern und Erstklässlern. "Wir raten ihnen zu regelmäßigen gemeinsamen Mahlzeiten, die Kinder früh ins Bett zu stecken und sie möglichst wenig fernsehen zu lassen", sagt Günther.