Der Nabu-Vorsitzende Alexander Porschke plädiert dafür, beim Umweltschutz Konfliktlösungen auszuhandeln, statt nur auf Konfrontation zu setzen.

Hamburg. Alexander Porschke, 56, ist seit März Vorsitzender des Naturschutzbunds (Nabu) Hamburg. Er will den 103 Jahre alten Verein, der zunächst Bund für Vogelschutz hieß, als Anwalt für Natur- und Umweltschutz profilieren und seinen Einfluss in der Politik stärken. Porschke kennt sich da aus. Der studierte Regelungstechniker war 1980 bei der Gründung der Grünen dabei, war von 1993 bis 1997 Bürgerschaftsabgeordneter der GAL und von 1997 bis 2001 Umweltsenator. 2002 stieg er aus der Politik aus und eröffnete ein Beraterbüro, blieb aber Mitglied der GAL.

Hamburger Abendblatt: Herr Porschke, Hamburg wird 2011 europäische Umwelthauptstadt. In der politischen Debatte spielt dieses Datum zurzeit keine Rolle. Warum nicht?

Alexander Porschke: Es ist schon überraschend, wie sehr das Thema außerhalb der öffentlichen Wahrnehmung liegt. Es gab damals auch im Naturschutzbund Stimmen, die gesagt haben: Das ist wohl ein Witz, ausgerechnet Hamburg zur Umwelthauptstadt zu machen. Und tatsächlich ist auch vieles zu kritisieren an der Landespolitik. Als wir uns dann näher mit dem Thema Umwelthauptstadt befasst haben, haben wir festgestellt, dass das europäische Auswahlverfahren keinen Hinweis auf Fehlentscheidungen gab: Unter den Blinden ist der Einäugige eben König. Die großen Städte sind alle nicht besonders weit mit dem Umweltschutz. Und auch Hamburg ragt da nirgendwo besonders positiv heraus. Herausragend ist Hamburgs Bewerbung allenfalls auf der Ebene der Versprechungen. Wir haben uns mit anderen Verbänden schon 2009 zur "Umwelthauptstadt Hamburg Umweltverbände-Initiative", kurz "UHU-Initiative", zusammengeschlossen. Wir wollen dafür sorgen, dass Hamburg im Jahr 2011 nicht nur Propaganda für den erreichten Umweltzustand macht, sondern auch echte Fortschritte erzielt.

Das Jahr 2011 beginnt in sieben Monaten. Haben Sie denn schon Aktivitäten seitens der Stadt wahrgenommen?

Ja. Beim Fahrradverkehr hat man zum Beispiel das zuständige Referat in der Behörde verstärkt, man hat zusätzliches Geld bereitgestellt und ein Gutachten zu Fahrradstreifen auf der Straße in Auftrag gegeben. Allerdings muss man auch sagen, dass wir großen Nachholbedarf haben. Die vergangenen beiden Legislaturperioden waren für den Umweltschutz verlorene Jahre.

Hat sich das mit dem CDU/GAL-Senat geändert?

Auf der Absichtsebene ganz deutlich.

Aber mit Absichtserklärungen können Sie sich ja nicht zufriedengeben.

Es gibt schon ein paar strukturelle Dinge, die sich verbessert haben: die Mittelausstattung für Nachpflanzung von Bäumen, die planerische Stärkung, die personelle Stärkung in der zuständigen Behörde. Das Fahrradverleihsystem ist ein Pluspunkt, das läuft nirgendwo in Deutschland besser als in Hamburg. Ich will es mal so sagen: Man kann einige Sämlinge sehen, auch schon erste Blättchen. Es sind aber noch zu wenige richtig wichtige Produkte abgeliefert worden. Aus meiner Zeit im Senat weiß ich allerdings, dass viele Dinge einen langen Vorlauf haben.

Wie passt der Bau des Kohlekraftwerks Moorburg zur "Umwelthauptstadt"?

Das geht sicher auf der Lastenseite in die Bilanz ein. Das war für die grüne Seite ein harter Brocken, dass das am Ende doch genehmigt werden musste.

Ist das ein Kardinalfehler gewesen?

Das ist eigentlich ein Kardinalfehler des Energieversorgungsunternehmens gewesen. Das hat sich dafür entschieden, sein Kraftwerk mit Kohle zu betreiben. Wenn man sich überlegt, dass das Kraftwerk in Wedel, diese alte Kiste aus den Fünfziger- oder Sechzigerjahren, einen höheren Gesamtwirkungsgrad hat als dieses neue, viel größere in Moorburg, dann muss man sagen: Da läuft was schief. Das ist ein klimapolitisches Armutszeugnis, das sich Vattenfall da selbst ausstellt.

Was sagt der Naturschützer zur Elbvertiefung?

Da haben die Behörden Fehler gemacht. Weil es ganz eilig war, wollte man die Auswirkungen auf den Naturschutz herunterspielen. Damit hätte man eine Bauchlandung vor den Gerichten gemacht. Jetzt musste das ganze Verfahren noch einmal von vorne begonnen werden. Da wurden Jahre verschenkt, weil man es nicht richtig gemacht hat.

Ist das altes Denken in den Behörden? Wird da ein überholter Arbeitsstil gepflegt?

Es gibt da zwei Lager: Die Hardcore-Betonfraktion und diejenigen, die einen Ausgleich hinbekommen wollen. Aber ich will nicht bestreiten, dass es auch auf der Naturschutzseite manchmal sehr radikale Vertreter gibt. Ich glaube schon, dass es klug für die Stadt und für die Naturschützer ist, sich das Ziel zu setzen, Konfliktlösungen auszuhandeln, statt nur auf Konfrontation zu setzen. Ein gutes Beispiel dafür ist die gerade beschlossene Stiftung Lebensraum Elbe. Die soll sich der ökologischen Verbesserung des Lebensraums Elbe widmen, da können die unterschiedlichen Interessen ausbalanciert werden. Das Generalproblem der Elbe ist: Sie ist jetzt schon zu tief für eine natürliche Sauerstoffdurchflutung. Das verschärft sich durch eine zusätzliche Vertiefung. Außerdem wird dann durch den Tidenhub noch mehr Schlick aus der Nordsee in der Elbe abgelagert. Bund und Land geben jetzt schon für die Unterhaltsbaggerung fast 100 Millionen Euro im Jahr aus, das muss man sich mal vorstellen. Und da sind durchaus Lösungen denkbar, die dem Naturschutz helfen und zugleich diese Kosten reduzieren.

Befürchten Sie, dass die Stadtbahn den finanziellen Problemen der Stadt Hamburg zum Opfer fallen könnte?

Ich hoffe nicht, die Stadtbahn ist ja ein wirtschaftliches Verkehrsprojekt. Man bekommt da deutlich mehr Strecke für sein Geld als zum Beispiel bei einer U-Bahn. Die Stadtbahn steht im Koalitionsvertrag - und das ist die Messlatte. Ich habe die Hoffnung, dass dieser große strategische Punkt hinzubekommen ist.

Könnte der Naturschutz ins Hintertreffen geraten, wenn Regierungen nun wegen der Steuereinbrüche zu Extremsparern und zu Wirtschaftsförderern werden?

Das ist ein Dilemma, mit dem wir durchaus zu kämpfen haben. Die Stadt setzt ja immer noch auf sogar überdurchschnittliches Wachstum. Da werden die Prioritäten falsch gesetzt. Die Frage ist doch, wie wir es schaffen können, mit unserer hohen Wertschöpfung, mit unserer hohen Produktivität, mit unserem Reichtum dafür zu sorgen, dass die Menschen hier ein schönes Leben führen können. Wir müssen zum Beispiel Arbeitslosigkeit bekämpfen, in dem wir die Arbeit besser verteilen.

Ist Wirtschaftswachstum zugleich Naturzerstörung?

Nicht zwangsläufig. Aber es ist häufig so. Ich gehöre nicht zu denen, die sagen, da gibt es keinen Widerspruch. Das muss ausbalanciert werden, da geht es um Kompromisse und Kompensationen. Man kann dafür sorgen, dass es sowohl der Wirtschaft als auch der Natur besser geht.

Wie ginge das denn bei dem geplanten Bau der Hafenquerspange, die ihre Parteifreundin Anja Hajduk, die Stadtentwicklungssenatorin, jetzt in den Süden Wilhelmsburgs verlegt hat?

Dieser Formulierung würde ich so nicht zustimmen wollen. Es war eine Senatsentscheidung, Frau Hajduk muss das jetzt umsetzen.

Sie hätte ja versuchen können, diese Entscheidung zu verhindern.

Ich weiß aus Gesprächen, dass sie es versucht hat. Aber die Kräfteverhältnisse im Senat sind nun mal, wie sie sind. Aus Sicht des Naturschutzes ist das Ergebnis unbefriedigend. Wir werden uns mit Händen und Füßen dagegen wehren, dass die Hafenquerspange gebaut wird. Wir glauben nicht, dass die Straße überhaupt nötig ist. Wenn sie gebaut werden soll, dann bitte nicht in der naturschutzfeindlichsten Variante. Die Südtrasse ist zugleich auch noch die teuerste. Ich glaube, dass die Straße auch deshalb nicht gebaut werden wird.

Welche Note würden Sie dem schwarz-grünen Senat geben?

Ich bin absoluter Fan des Berichtszeugnisses. Erkennbar ist, dass sich der Senat wieder viel mehr für Umweltschutz- und Klimafragen interessiert als der Vorgängersenat. Erste Ergebnisse sind sichtbar, auch das Etikett "Umwelthauptstadt" gehört dazu. Das ist eine große Chance. Aber die Regierung muss noch deutlich mehr abliefern.

Das klingt nach dem Zeugnissatz "Das Bemühen ist erkennbar."

Ja, das kann man so sagen. Nach meiner Erfahrung kann man aber die Regierungsarbeit erst am Ende einer Legislaturperiode richtig beurteilen. Am Schluss wird abgerechnet.

Gab es schon Tage, an denen der Nabu-Vorsitzende Porschke gern aus der GAL ausgetreten wäre?

Es gab schon Tage, an denen ich mich über die GAL geärgert habe. Aber ich bin Gründungsmitglied der GAL. Ich habe in den Achtzigerjahren relativ viel bescheuerte Politik der GAL selbst vertreten. Ich fühle mich immer noch mit den Grünen verbunden und verdanke ihnen auch viel. Die Grundrichtung, in die sie in Hamburg wirken, finde ich richtig.