Finanzsenator Peter Tschentscher (SPD) erklärt in einem Interview, warum die Behörden bis 2020 jedes Jahr 250 Stellen abbauen sollen.

Hamburg. Am Tag nach der Vorstellung des Haushalts 2011/2012 empfing Finanzsenator Peter Tschentscher (SPD) das Abendblatt zum Gespräch - sein erstes großes Interview seit Amtsantritt. Nach dem Treffen achtete er darauf, dass seine Tasse nicht abgeräumt wird - die könne er noch mal benutzen.

Hamburger Abendblatt:

Vor Ihrer Tür demonstrieren Tausende Beamte gegen Kürzungen bei Tarifen und Weihnachtsgeld. Können Sie denen guten Gewissens sagen: Es geht nicht anders?

Peter Tschentscher: Schwarz-Grün hat die Beamtenbezüge um rund 180 Millionen Euro gekürzt und das im Haushalt so geplant. Wir werden nicht alles zurückgeben können, aber vielleicht in kleinem Umfang.

Als Arzt sind Sie Mitglied im Marburger Bund. Was fühlt das Gewerkschaftsmitglied Peter Tschentscher, das einige in der SPD gern dem linken Flügel zuordnen, angesichts der Proteste der Gewerkschaften gegen Lohnkürzungen?

Tschentscher: Mir wurde vor einigen Jahren das Weihnachtsgeld auch von einem Tag auf den anderen gekürzt. Als Arzt, wenn auch im öffentlichen Dienst, konnte ich das verkraften. Aber ich weiß, wie das ist. Diesen Einschnitt haben viele Beschäftigte im nicht öffentlichen Bereich schon hinter sich.

Am 11. Mai soll es ein weiteres Gespräch mit den Gewerkschaften geben. Wie viele Millionen können Sie auf den Kompromiss des Senats noch drauflegen?

Tschentscher: Die Gespräche führt der Bürgermeister. Wir reden erst mit den Betroffenen und entscheiden dann. Großen finanziellen Spielraum haben wir allerdings nicht.

Zusätzlich zu den Lohnkürzungen sollen mindestens 250 Stellen pro Jahr in der Verwaltung wegfallen. Wo hat die Stadt zu viel Personal?

Tschentscher: Es geht vor allem um die Organisation in den Behörden. Ein Beispiel: Hier in der Finanzbehörde haben wir drei Beschäftigte, die eine bestimmte EU-Förderung bearbeiten. Die ist aber so klein, dass es überhaupt nicht wirtschaftlich ist, damit drei Leute zu beschäftigen. Wir wollen diese drei Stellen streichen und mit Niedersachsen oder Schleswig-Holstein vereinbaren, das für uns mitzubearbeiten. Die Mitarbeiter können auf anderen freien Stellen besser eingesetzt werden. Das EU-Geld bekommen wir damit weiter, aber zu einem Bruchteil der Kosten. Solche Beispiele gibt es sehr viele.

Klingt ganz einfach. Warum haben viele Ihrer Vorgänger die Probleme ähnlich analysiert, aber nichts geändert?

Tschentscher: Wir haben uns dies jedenfalls sehr ernst vorgenommen. Man wird Ende 2011 und Ende 2012 sehen können, ob wir das Ziel erreicht haben - nur dann haben wir das Vertrauen gerechtfertigt. Im Übrigen gilt: 250 Stellen sind bezogen auf 65 000 Beschäftigte in der Verwaltung relativ wenig. Über 6000 Stellen werden jährlich frei. Wir können also trotzdem jedes Jahr 5750 Leute neu einstellen. Aber wir müssen sie für die richtigen Aufgaben einsetzen.

Nämlich?

Tschentscher: Dort, wo Dienstleistungen für die Bürger erbracht werden, zum Beispiel in den Bürgerämtern der Bezirke oder in den Sozialdiensten. Dort haben wir nämlich zu wenig Personal.

Die Zahl 250 soll nur gelten, wenn die Tarife um nicht mehr als ein Prozent steigen. Sie werden aber erwartbar darüber liegen. Was dann?

Tschentscher: Für dieses und kommendes Jahr kennen wir den Tarifvertrag und er ist - abgesehen von den Beamtengehältern - in den Haushalt eingearbeitet. Für 2013 und 2014 gibt es eine Prognose. Unsicher wird es ab 2015. Das bedeutet: Wird ab 2015 ein Tarifvertrag mit einer Steigerung von zum Beispiel 1,5 Prozent abgeschlossen, müssen wir diese 0,5 Prozent durch einen zusätzlichen Personalabbau oder eine andere Einsparung ausgleichen.

Also stimmt folgende Rechnung: Wenn die Personalausgaben der Stadt um zwei statt um ein Prozent steigen, wären das jährliche Mehrausgaben von 30 Millionen Euro. Bei Durchschnittseinkommen von 50 000 Euro müssten weitere 600 Leute gehen.

Tschentscher: Die Rechnung stimmt im Prinzip. Aber wir setzen darauf, dass alles, was wir jetzt tun, so einen starken Abbau verhindert. Wenn wir zum Beispiel von den 100 Millionen Euro, die wir für Büroflächenanmietung ausgeben, zehn Prozent sparen, können wir 200 Mitarbeiter mehr beschäftigen.

Sie planen mit jährlichen Ausgabensteigerungen von 0,88 Prozent - angesichts möglicher Inflationsraten von vier oder gar fünf Prozent sind das empfindliche Realkürzungen. Wie realistisch ist das?

Tschentscher: Bei vier Prozent Inflation hätten wir auch ein anderes strukturelles Einnahmeniveau. Im Grundsatz gilt: Wir richten alles am Zielpunkt des Jahres 2020 aus, wenn die gesetzliche Schuldenbremse greift. Wir dürfen niemals etwas in der Kasse verbuchen, wenn das Geld noch gar nicht da ist. Das gilt zum Beispiel auch für die Mai-Steuerschätzung.

Was werden Sie mit dem Geld, aller Voraussicht nach mehrere Hundert Millionen Euro, machen?

Tschentscher: Wenn das Geld wirklich kommt, wollen wir unter anderem ein Wohnungsbaudarlehen des Bundes über 200 Millionen Euro ablösen. Damit hätten wir sofort neun Millionen Euro weniger Zinsen pro Jahr zu zahlen. Auf keinen Fall werden wir zusätzliche Ausgaben der Fachbehörden beschließen.

Ist Schuldenpolitik unsozial?

Tschentscher: Das hängt davon ab, wofür man Schulden macht. Unsere Schulden wirken deshalb unsozial, weil wir dafür jedes Jahr eine Milliarde Euro Zinsen zahlen müssen, zulasten der Dinge, die wir eigentlich finanzieren müssten - Bildung, Kitas und soziale Ausgaben der Stadt. Aber es gibt auch Investitionen, für die man sich verschulden kann: Für den Rückkauf der Energienetze kann ein städtisches Unternehmen Kredite aufnehmen, wenn Tilgung und Zinsen durch Gewinne aus der Beteiligung bezahlt werden können.

Warum funktioniert das bei der geplanten 25-Prozent-Beteiligung, aber nicht bei 100 Prozent?

Tschentscher: Weil man einen Partner braucht, der eine Garantiedividende unterschreibt. Bei den Gas- und Stromnetzen funktioniert das.

Haben Sie politische Vorbilder?

Tschentscher: Ortwin Runde und seine Amtsvorgänger. Auch unter Wolfgang Peiner ist weniger falsch gemacht worden als in den letzten Jahren - abgesehen von den Privatisierungen und der HSH-Nordbank-Politik.

Belohnt der Wähler Sparpolitik?

Tschentscher: Wir werden für die Haushaltskonsolidierung nicht nur Applaus bekommen, aber viele Bürger wissen, dass die Überschuldung der Stadt unsere Zukunft sehr belastet. Wir dürfen auf keinen Fall etwas tun, was der Stadt weiter schadet. Es gibt Dinge, die tut man ungern. Wir würden das Weihnachtsgeld auch gern weiter zahlen. Aber ich fürchte, auf diesen Beifall müssen wir verzichten.