Der 38-Jährige galt als Hoffnungsträger der SPD. Im Scheinehe-Prozess kämpft der einstige Polit-Star jetzt um seine Unschuld und seinen Ruf.

Hamburg. Alle Blicke sind auf ihn gerichtet. Und die Augen der Kameras. Eigentlich ein vertrautes Gefühl für den dunkelhaarigen Mann, der am schlanken Körper ein tailliertes hellblaues Hemd und einen tadellos sitzenden dunklen Anzug trägt und im ebenmäßigen Gesicht ein kurzes, aber gewinnendes Lächeln. Dabei hat er viel zu verlieren - seine Karriere und seinen guten Ruf.

Im Fokus stand Bülent Ciftlik, 38, schon oft - und vor den Kameras gern. Lange wurde er als Hoffnungsträger der Hamburger Sozialdemokratie gehandelt und als "Obama von Altona" gefeiert, der sich 2008 von einem als aussichtslos geltenden Listenplatz in die Bürgerschaft gewahlkämpft hat. Lange galt er als junger, aufgehender Stern am tristen Hamburger Polit-Himmel, "ein Augenschmaus", wie Radio Bremen seine Hörerinnen wissen ließ. Ein "Mann zum Niederknien" mit "einem Hals zum Reinbeißen", der sogar ein "Verwandter von Jean-Paul Belmondo" sein könnte (alles aus der "Brigitte") - ein Typ also, in den sich Redakteurinnen und Leserinnen mancher Frauenzeitschrift seitenweise verliebten.

Doch die einstige Lichtgestalt steht plötzlich im Schatten. Der Sohn türkischer Einwanderer soll eine Scheinehe zwischen seiner Ex-Freundin und dem Türken Kenan T. vermittelt und dafür 3000 Euro für seinen Wahlkampf kassiert haben.

Er steht also wieder im Fokus. Bloß dieses Mal nicht als redegewandter Strahlemann von Welt, sondern als Angeklagter. Neben seinen Verteidigern sitzt er am dritten Verhandlungstag in Saal 101 des Amtsgerichts St. Georg, den Blick nach vorn gerichtet, die Hände - am linken Ringfinger trägt er einen goldenen Verlobungsring - gefaltet. Seine Haltung ist sehr aufrecht. Wie aufrichtig sie ist, muss das Gericht klären.

Da sieht sich Bülent Ciftlik als Opfer, als "Beute" - öffentlichkeitswirksam erlegt von der Staatsanwaltschaft. Er spricht über den 15. April: Es war der Tag vor dem Prozessauftakt, als er bei der Staatsanwaltschaft am Gorch-Fock-Wall zur Vernehmung erschien. Für seine Verteidiger offenbar die letzte Chance, eine öffentliche Hauptverhandlung durch ein Geständnis abzuwenden und die Sache noch per Strafbefehl einzustellen.

Einige Minuten zu spät gekommen, sei er vom zuständigen Staatsanwalt sofort rüde getadelt worden, liest Bülent Ciftlik mit fester Stimme vor. "Es sollte eine Atmosphäre geschaffen werden, in der nicht auf Augenhöhe verhandelt wird", sagt er und hält souverän Augenkontakt mit dem Richter.

Er sei massiv unter Druck gesetzt worden, die Ermittler habe nicht die Wahrheit, sondern nur ein Geständnis interessiert. "Doch ich lüge nicht für die Akten." Sein damaliger Anwalt Thomas Bliwier, der später - noch am selben Tag - sein Mandat niederlegte, habe in Absprache mit der Staatsanwaltschaft eine geständige Einlassung vorbereitet, so Ciftlik. "Das Schriftstück habe ich vor der Vernehmung gar nicht gesehen." In dem Entwurf stand auch, er werde den Vorwurf der Anklage "vollumfänglich" einräumen. Schon dieser Passus sei schlicht falsch - so wie etliche andere auch. Mit einem Bleistift habe er Korrekturen an den Rand geschrieben, die jedoch in die abschließende Fassung nicht eingearbeitet worden seien.

Auch zu der ominösen E-Mail, die am 15. April in Papierform beim Pförtner der Staatsanwaltschaft abgegeben wurde, nimmt Bülent Ciftlik Stellung. In der E-Mail, die vermeintlich von der Mitangeklagten Nicole D. an einen Freund aus der türkischen Gemeinde gegangen sein soll, die aber später von der Staatsanwaltschaft als "plumpe Fälschung" bezeichnet wird, widerruft Nicole D. ihr Geständnis. Ein Bekannter habe ihn während der Vernehmung über den Eingang der Mail telefonisch informiert. "Die Sache kam mir auch merkwürdig vor", sagt Ciftlik. "Aber ich konnte darüber einfach nicht hinwegsehen und wollte die E-Mail prüfen." Die Staatsanwälte indes hätten ihn gedrängt, diese sogenannte geständige Einlassung zu unterschreiben. Auf seine Weigerung hin habe man ihm gedroht, ihn vorläufig festzunehmen. "Die Staatsanwaltschaft suchte händeringend nach einer Beute, die öffentlich präsentiert werden sollte. Diese Beute sollte ich sein."

Eine "leichte Beute" ist Bülent Ciftlik sicher nicht. Dafür hat er - und das zieht sich wie ein SPD-roter Faden durch sein bisheriges Leben - stets hart gekämpft gegen die Opferrolle. Der gebürtige Hamburger war immer der Macher, der es von unten - der Vater aus Anatolien malochte bei Blohm + Voss, die Mutter putzte Büroräume - nach oben geschafft hat.

Sein türkischstämmiger Hintergrund wurde plötzlich fast schon zum "Migrationsvordergrund", Bülent Ciftlik von einem Tag zum anderen zum Beispiel gelungener Integration. Manch einer, so munkelt man in Rathauskreisen, soll über ihn schon orakelt haben, der junge SPD-Politiker könne der erste türkischstämmige Bürgermeister der Hansestadt werden. Doch nun sitzt er nicht im Rathaus, sondern auf der Anklagebank. Nachfragen des Anklagevertreters lässt Ciftlik grundsätzlich nicht zu, aber jetzt nutzt der Staatsanwalt sein Recht, auf die Vorwürfe von Ciftlik zu reagieren. Die seien nicht mehr als "blanker Unsinn", und überhaupt sei Ciftlik freiwillig zur Staatsanwaltschaft gekommen. "Wir hatten an der Entgegennahme eines Geständnisses gar kein Interesse." Nur einen Tag vor Prozessbeginn hätte die Staatsanwaltschaft das Verfahren ohnehin nicht mehr kippen können. Ganz abgesehen vom Geständnis von Nicole D. sei die Beweislage gegen Ciftlik "erdrückend".

Ein riesiger Prestigeverlust für Bülent Ciftlik, der in Hamburg und im US-Bundesstaat Kansas studiert hat. Er galt immer als einer, der das politische Geschäft glänzend versteht. In der Theorie als Diplom-Politologe. Und in der Praxis. Während seines Studienaufenthaltes in den USA hat er wohl eine wichtige Lektion gelernt, als er den damaligen amerikanischen Vizepräsidenten Al Gore im Wahlkampf unterstützte.

Nach amerikanischem Vorbild hat Ciftlik, der seit 2004 Pressesprecher der Hamburger SPD war, auch 2008 seinen Wahlkreis gewonnen. Bülent Ciftlik war der Politiker zum Anfassen, der Mann von nebenan. Einer, der endlich, so die Meinung seiner Wähler, nicht bloß am grünen Tisch saß, sondern auch mal bei ihnen auf dem Sofa. Türkische Hochzeiten soll er abgeklappert haben und Beschneidungsfeste, dabei stets auf Stimmenfang. Mit einer Herzlichkeit, die immer cool herüberkam. Mit einem Ehrgeiz, der immer sympathisch unverkrampft nach Zielstrebigkeit aussah.

Doch vor Gericht verblasst dieser Nimbus des Bülent Ciftlik, unversehens wird er vom Lenker zum Gelenkten - daran hat auch die offensive Strategie von Nicole D.s Verteidiger Johann Schwenn ihren Anteil. Gleich zu Beginn bringt Schwenn einen gewissen "Nick" ins Spiel, der nach Angaben von Nicole D. an einer von Ciftlik in einem Fotostudio inszenierten, gespielten "Zeugenvernehmung" beteiligt gewesen sein soll. Schwenn spannt die Falle. "Kennen Sie diesen Nick?", fragt der Verteidiger. "Ich war nie an Verdunkelungsmaßnahmen beteiligt", sagt Ciftlik. Ob er mit einem Nikolai A., genannt Nick, bekannt sei, will Schwenn wissen. Ciftlik bejaht das.

Und dazu weiß Schwenn wiederum eine Geschichte zu erzählen. Nach dem Tod des SPD-Bürgerschaftsabgeordneten Harro Frank habe Nikolai A. die Witwe verklagt, weil er Frank 25.000 Euro geliehen haben soll. Ciftlik habe in dem Verfahren zugunsten des vermeintlichen Gläubigers ausgesagt. Jedoch äußerte das Zivilgericht "erhebliche Zweifel" an der Glaubwürdigkeit seiner Aussage. Die Witwe habe nach dem Prozess Strafanzeige gegen ihn und Nikolai A. gestellt. Allerdings sei die Anklage vom Amtsgericht nicht zugelassen worden.

"Sie sollten sich etwas schämen", entfährt es Ciftlik kopfschüttelnd, schlicht "abenteuerlich" findet er die Stoßrichtung der Fragen, die nur einen Zweck verfolgten: ihn, Ciftlik, öffentlich weiter in Misskredit zu bringen.

Ciftlik hatte sich am zweiten Verhandlungstag zur Sache eingelassen, er hatte sämtliche Vorwürfe abgestritten und durchblicken lassen, dass Nicole D.s belastende Aussage möglicherweise ein Racheakt aus verschmähter Liebe gewesen sei - nachdem sie am 16. März erfahren habe, dass er sich verlobt habe und im September heiraten wolle. Doch Nicole D. bestreitet das. Ein Gespräch mit Kenan T. über die Verlobung habe es nie gegeben, von der bevorstehenden Heirat des Politikers habe sie erst am 30. April, also am zweiten Verhandlungstag, erfahren.

So steil sein Aufstieg war, so rasant scheint plötzlich auch Ciftliks Absturz. Ehemalige Parteifreunde haben sich längst von der großen Nachwuchshoffnung distanziert. Selbst der SPD-Landesvorsitzende Olaf Scholz, als dessen politischer Ziehsohn Bülent Ciftlik stets galt, teilte bereits Anfang des Monats mit: "Wenn der Abgeordnete Ciftlik verurteilt wird, hat er keine politische Zukunft mehr in der SPD und in der Bürgerschaft." Der Prozess wird am 26. Mai fortgesetzt. Unter den Augen der Kameras und den Blicken der Öffentlichkeit.