In Wilhelmsburg wurden rund 2000 Bäume abgeholzt. Bürgerschaftsabgeordneter kritisiert Ausgleichsmaßnahmen.

Wilhelmsburg. Nachdem die zarte Weißbuche mit fünf Zentimetern Stammdurchmesser ihren Platz auf einer Brachfläche am Stillhorner Hauptdeich gefunden hatte, umgriff der Chef der Internationalen Gartenschau (igs) , Heiner Baumgarten, 60, das Bäumchen und gab eine realistische Prognose ab: "Ich werde nicht mehr erleben, dass hier der Specht klopft."

Die zarte Weißbuche ist eines von 1200 Bäumchen, die die igs seit Herbst 2010 im Wilhelmsburger Osten gepflanzt hat - als Ausgleichsmaßnahme dafür, dass die Tochter der Freien und Hansestadt Hamburg bislang rund 1900 Bäume auf dem Gartenschaugelände hat abholzen lassen . Insgesamt haben Arbeiter mehr als 5000 Bäume in Wilhelmsburg gefällt, um die Internationale Gartenschau und die Internationale Bauausstellung vorzubereiten, die ab April 2013 mehr als 2,5 Millionen Besucher auf der größten bewohnten Flussinsel Europas erwarten.

Das große Abholzen in Wilhelmsburg hat viele Anwohner und Naturschützer zutiefst empört. Jetzt gibt es auch erstmals von einem Politiker Kritik an den Ausgleichsmaßnahmen im Wilhelmsburger Osten. Der Wilstorfer FDP-Bürgerschafsabgeordnete Dr. Kurt Duwe, 61, kritisiert die Baumpflanzungen in Moorwerder und in Stillhorn: "Die Ausgleichsflächen werden voll gepackt mit Bäumchen, obwohl das Brachland dort jetzt schon erlebenswert und biologisch wertvoll ist. Aus extensivem Grünland werden jetzt kleine Wäldchen - das ist nicht natürlich. Moorwerder heißt ja Moorwerder weil es eine Moorinsel ist. Für die Kiebitze, die auf dem Grünland gut Platz hatten, wird kein Ausgleich geschaffen."

Kurt Duwe und seine Parteikollegin Martina Kaesbach hatten eine Kleine Anfrage an den Senat gestellt. Die noch nicht veröffentlichte Antwort liegt dem Hamburger Abendblatt vor. Daraus geht hervor: Es wird noch lange dauern, bis die neuen Bäume im Wilhelmsburger Osten ein vollwertiger Ersatz für die gefällten Bäume in der Wilhelmsburger Mitte sind.

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"Der gefällte Baumbestand befand sich in unterschiedlichen Entwicklungsstadien, die von erst kürzlich angelegten Brachflächen bis in die Nachkriegszeit zurückreichen", schreibt die Umweltbehörde. "Somit kann grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass die Bäume im Durchschnitt 20 bis 30 Jahre Entwicklung benötigen, bis ein vollwertiger Ersatz gegeben ist. Im Rahmen der umzusetzenden Ausgleichsverpflichtungen sind die Biotopkomplexe Kleingewässer und Blänken, Gräben und Wettern, Sumpfwald, extensives Feuchtgrünland und Ruderalbiotope herzustellen. Es ist davon auszugehen, dass neben den Maßnahmen der Erstherstellung eine Entwicklungspflege über 25 Jahre erforderlich ist, um einen vollwertigen Ersatz der zerstörten Biotope herzustellen."

Im Klartext heißt das: Die Natur in Wilhelmsburg braucht ein Vierteljahrhundert, um sich von den Mega-Veranstaltungen Internationale Gartenschau und Internationale Bauausstellung zu erholen. Aber dieser Eingriff ist von der Stadt gewollt: Die Steuerzahler geben 90,2 Millionen Euro an Fördergeldern für die IBA-Projekte aus, das Investitionsvolumen der Gartenschau liegt bei 70 Millionen Euro. Besonders sauer stoßen Kurt Duwe die Baukosten für temporäre Parkplätze der igs auf: 1335 Stellplätze an der Dratelnstraße kosten den Steuerzahler rund 1,4 Millionen Euro - die Kosten für die Ausgleichsmaßnahmen liegen bei rund 200 000 Euro. Und der Parkplatz am Reiherstiegknie südlich der Straße Bei der Wollkämmerei wird noch einmal 1,3 Millionen Euro verschlingen.

Besonders prekär: Für den Parkplatz an der Dratelnstraße in der Mitte Wilhelmsburgs muss ein rund vier Hektar großes Biotop weichen, in dem Naturschützer auch schon den Gelbspötter gesehen haben sollen - eine Vogelart, von der es in Hamburg nur noch drei oder vier Paare geben soll.

Bereits für den Neubau der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt an der Neuenfelder Straße hatte ein gesetzlich geschütztes Biotop mit einem Erlensumpfwald samt Teich weichen müssen. Auch das bringt den Umweltberater Duwe auf die Palme: "Es war ein Fehler, die Wilhelmsburger Mitte auf dem Reißbrett durchzuplanen und nicht die vorhandene Natur intelligent einzubinden. So wird künstliche Natur geschaffen auf Kosten bestehender Feuchtbiotope im Zentrum Wilhelmsburgs und bestehender Wiesenlandschaft in Moorwerder. Die Zerstörung bestehender Biotope kann nicht Sinn einer Gartenausstellung sein. Wasserläufe und Knicks sind wertvoller als viele Hektar Ersatzbiotop."