Bergedorf. Schicksalsjahr 1933: Im Jubiläumsjahr unserer Zeitung kommt Hitler an die Macht. Für Theodor Müller kein Problem – im Gegenteil.

Aus heutiger Sicht wirkt es wie ein peinlicher Augenblick der Geschichte unserer Zeitung, ein schrecklicher Zufall: Ausgerechnet im Jahr 1933 feiert die Bergedorfer Zeitung ihren 50. Geburtstag als Unternehmen der Verlegerfamilie Wagner, was Propaganda-Überschriften wie „Bergedorf unterm Hakenkreuz“ oder auch „Hitler über die Ziele der Evolution“ durch den Jubiläumskranz im Titelkopf geradezu feierlich wirken lässt.

Doch der Zufall war geplant – oder mindestens dem Chefredakteur der Bergedorfer Zeitung sehr willkommen: Theodor Müller, dem einzigen auf unserem Foto zum 50. Jubiläum mit brauner Uniform und Hakenkreuz-Armbinde. Er galt schon lange vor Hitlers Machtergreifung im Frühjahr 1933 als glühender Nazi und ließ dieser Haltung nun im ganzen Blatt freien Lauf. Bitteres Zeugnis dieser neuen Haltung der Bergedorfer Zeitung ist die 82 Seiten starke Jubiläumsausgabe vom 15. September 1933.

Im Jubiläumsjahr 1933: Die Selbstgleichschaltung der Bergedorfer Zeitung

Schon im Leitartikel auf Seite 3 macht Müller klar, dass das rechts-konservative Blatt zum Nazi-Organ geworden ist: „Der glückliche Zufall, der es fügte, dass die Bergedorfer Zeitung gerade in diesem Jahr des deutschen Erwachens und der deutschen Neugeburt auf ein halbes Jahrhundert ihres Bestehens zurückblicken kann, legte es nahe, das heutige Jubiläum betont in das Zeichen der nationalen Erneuerung zu stellen.“

Titelseite der Bergedorfer Zeitung – mit Jubiläumskranz – zur Verabschiedung des Ermächtigungsgesetzes am 24. März 1933. Es ist die rechtliche Basis zur sogenannten Säuberung der Verwaltung von politisch oder anderweitig unliebsamen Personen.
Titelseite der Bergedorfer Zeitung – mit Jubiläumskranz – zur Verabschiedung des Ermächtigungsgesetzes am 24. März 1933. Es ist die rechtliche Basis zur sogenannten Säuberung der Verwaltung von politisch oder anderweitig unliebsamen Personen. © BGZ | Ulf-Peter Busse

Es ist das Zeugnis der Selbstgleichschaltung der Bergedorfer Zeitung, die am 15. September 1933 längst abgeschlossen ist. Was angesichts der grassierenden Arbeitslosigkeit und der Wahlerfolge der rechten Parteien zur gefühlten Stimmung in der Bevölkerung gepasst haben mag, war allerdings nichts weniger, als vorauseilender Gehorsam: Die Presse wurde erst zum Jahreswechsel 1933/34 dem Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda unterstellt. Und selbst das dafür erforderliche „Schriftleitergesetz“ ist erst am 4. Oktober 1933, drei Wochen nach der bz-Jubiläumsausgabe, von Hitlers Kabinett abschließend beraten worden.

Kein kritisches Wort zu Verfolgung, Bücherverbrennung, Boykottaufrufen

Kein kritisches Wort findet sich auf den 82 Seiten, obwohl die Verfolgung Andersdenkender, erste Bücherverbrennungen, die Aufrufe zum Boykott jüdischer Geschäfte und sicher auch das Verbot des Bergedorf-Sander Volksblatts bei vielen Menschen große Zukunftssorgen auslösten. Theodor Müller nutzt seinen Leitartikel, um mit der Weimarer Republik abzurechnen: „Nach 14 Jahren des Dunkels und der Verirrung hat sich das deutsche Volk auf sich selbst besonnen und sein Schicksal unter der Führung berufener und starker Männer mit Besonnenheit und Zuversicht wieder in die eigene Hand genommen.“

Am Bergedorfer Markt 6 und 7 war von 1884 bis 1967 der Sitz der Bergedorfer Zeitung und ihres Verlags, der Bergedorfer Buchdruckerei von Ed. Wagner.
Am Bergedorfer Markt 6 und 7 war von 1884 bis 1967 der Sitz der Bergedorfer Zeitung und ihres Verlags, der Bergedorfer Buchdruckerei von Ed. Wagner. © BGZ | Kultur- & Geschichtskontor

Theodor Müller ist vermutlich Ende 1927 nach dem Tod Wilhelm Bauers, dem Schwiegersohn von bz-Gründer Eduard „Ed“ Wagner, Chefredakteur geworden. Seine Nazi-Gesinnung ausleben konnte er indes erst nach Hitlers Machtergreifung und den im März 1933 beginnenden Säuberungen in Bergedorfs Politik, Verwaltung und Gesellschaft.

Anfang 1933 gibt sich die Bergedorfer Zeitung noch als echte Heimatzeitung

So lässt die bz-Ausgabe von 2. Januar 1933 mit der Erklärung des nun für ein Jahr erscheinenden Titelkopfs mit der umkränzten 50 nichts erahnen, vom bevorstehenden braunen Umschwung unseres Blattes. Die Bergedorfer Zeitung sei „eine Heimatzeitung im besten Sinne des Wortes, die mit ihrer Leserschaft in Freud und Leid eng verbunden ist“, heißt es dort.

Und es werden die akuten Sorgen der Menschen klar beschrieben: „Das Jubiläum der Bergedorfer Zeitung fällt in eine ausgesprochene Notzeit. Wir wissen noch nicht, was uns das gestern begonnene Jahr 1933 bringt. Unser aller Wunsch geht aber dahin, dass es uns endlich die so bitter notwendige wirtschaftliche Besserung beschert. Erfüllt es uns diese Wünsche, so wäre das auch zugleich das schönste Jubiläumsgeschenk für unsere Bergedorfer Zeitung und ihren Leserkreis.“

„Freudenjahr des von unserem Volkskanzler begonnenen Wiederaufbaus“

Ein dreiviertel Jahr später klingt das im Vorwort zur Jubiläumsausgabe vom 15. September so: „Die Bergedorfer Zeitung kann heute doppelt stolz sein, weil ihr goldenes Jubiläum in das Schicksalsjahr der deutschen Zeitenwende fällt, in das Freudenjahr des von unserem Volkskanzler begonnenen Wiederaufbaus eines neuen stolzen Reiches der Freiheit, Ehre und Gerechtigkeit.“

Aufschlagseite der 70 Sonderseiten in der Jubiläumsausgabe zum 50. Geburtstag der Bergedorfer Zeitung am 15. September 1933. 
Aufschlagseite der 70 Sonderseiten in der Jubiläumsausgabe zum 50. Geburtstag der Bergedorfer Zeitung am 15. September 1933.  © BGZ | Ulf-Peter Busse

Dieses große Projekt Adolf Hitlers wolle unsere Zeitung an diesem Tag auf Bergedorf herunter brechen, indem die 70 Sonderseiten unter das Motto „Neue Ziele in Stadt und Land“ gestellt würden. Man habe das gleichzeitige Jubiläum „als ernste Verpflichtung gewertet, mit der festlich ausgestatteten Sondernummer den Willen kundzutun, zu unserem bescheidenen Teil an diesem großen Wiederaufbauwerk mitzuarbeiten“.

Bergedorfs Zukunftspläne werden mit dem Hakenkreuz der Nazis versehen

Dann folgt, was Theodor Müller ein Jahr später zum Kreispresseleiter der NSDAP in Bergedorf aufsteigen lässt: In seinem Geleitwort unter dem Synonym „Hanns Lotz“ stellt er sämtliche Bergedorfer Zukunftsprojekte in das Licht der neuen Machthaber. Während im hinteren Teil Stadtplaner, Verbandsvorsitzende und andere Experten die Perspektiven beschreiben für alle Bereiche vom Straßenverkehrsausbau über die Siedlungsentwicklung bis zum Gemüseanbau in den Vierlanden, so versieht Müller alles gleich vorn in seinem Geleitwort dem Hakenkreuz der Nazis.

Ein publizistischer Alleingang des Chefredakteurs und seiner Redaktion, die in der Bergedorfer Zeitung so die sich anbahnende Abschaffung der Pressefreiheit durch die Nazis vorwegnahm – übrigens ebenso wie die Unabhängigkeit der jetzt Schriftleiter genannten Redakteure von ihren eigenen Verlegern. Denn dienstrechtlich waren sie durch das Schriftleitergesetz ab 1934 allein von Joseph Goebbels’ Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda abhängig.

Journalisten sind nicht mehr Kritiker der Regierenden, sondern Teil des Systems

Nicht der Verleger oder der jetzt als Hauptschriftleiter bezeichnete Chefredakteur entschieden nun darüber, wer als Schriftleiter arbeiten durfte und wer entlassen wurde, sondern das Ministerium. Journalisten wurden laut Gesetz zu „Trägern öffentlicher Aufgaben“, die nicht mehr die Arbeit der Regierenden kritisch begleiten, sondern ausdrücklich nur deren Politik und Weltanschauung verbreiten sollten.

Adolf Hitler und Propagandaminister Joseph Goebbels im November 1933.
Adolf Hitler und Propagandaminister Joseph Goebbels im November 1933. © picture alliance / Everett Colle | Copyright © CSU Archives/Everett

Wer dem nicht folgte, wurde entlassen. Alle anderen hatten dagegen einen beamtenähnlichen Job – sofern sie die drei Grundvoraussetzungen erfüllten: einen deutschen Pass und einen Arier-Nachweis vorlegen konnten und als „politisch zuverlässig“ galten, also nicht bei einem der gleich nach der Machtergreifung verbotenen linken Zeitungen gearbeitet hatten, wie etwa dem Bergedorf-Sander Volksblatt.

Goebbels sichert regimetreuen Journalisten „wärmste materielle Unterstützung“ zu

Die Richtung hatte Joseph Goebbels schon in einer Rede vor der auswärtigen Presse am 6. April 1933 vorgegeben: Zur Politik und den Ziele der Nationalsozialisten müssten sich Journalisten in Deutschland künftig „mit einem klaren Ja – oder mit einem klaren Nein bekennen. Und dieses Ja oder Nein duldet kein Wenn und kein Aber.“

Natürlich wusste der Reichspropagandaminister, dass das für die Betroffenen aus wirtschaftlicher Sicht keine freie Entscheidung war. Angesichts jener 1300 zu diesem Zeitpunkt bereits in das Millionenheer der Arbeitslosen entlassenen und quasi mit einem Berufsverbot versehenen Redakteure der entschädigungslos aufgelösten linken Zeitungen fügte er hinzu: „Die geistigen Kräfte des deutschen Journalismus, die sich zu einem Ja verpflichten, können der wärmsten ideellen und materiellen Unterstützung der Regierung gewiss sein.“ Tatsächlich blieben große Proteste aus.

Aufgabe des „Zeitungsschreibers“ ist die „Erziehung zu wahrem Volkstum“

Theodor Müller fasste das in der Jubiläumsausgabe unserer Zeitung in typischer Nazi-Diktion so zusammen: „Aufgabe des Zeitungsschreibers“ in Bergedorf sei es, „zu seinem bescheidenen Teil an der Erziehung zu wahrem Volkstum, zu nationalem Denken und Fühlen, zu Arbeit am Volksganzen und damit zum Dienst am Gemeinwohl beizutragen“.

Titelseite der bz-Jubiläumsausgabe vom 15. September 1933: Unter dem feierlichen 50-Jahre-Titelkopf finden sich Artikel, die das Propagandaministerium vorgeschrieben hat. 
Titelseite der bz-Jubiläumsausgabe vom 15. September 1933: Unter dem feierlichen 50-Jahre-Titelkopf finden sich Artikel, die das Propagandaministerium vorgeschrieben hat.  © BGZ | Ulf-Peter Busse

Der Blick zurück in die gerade erst abgewählte Weimarer Republik fällt ebenso vernichtend aus: Die Demokratie sei dominiert gewesen von „ungezählten Parteien und Interessengruppen, die unter dem marxistisch-demokratischen System zum großen Teil kein anderes Ziel kannten, als auf Kosten des Gemeinwohls ihr eigenes Süppchen zu kochen“. Das unter den neuen Machthabern zu verhindern, sei nun auch Ziel der Bergedorfer Zeitung: „Nicht immer traten Sinn und Aufgaben der deutschen Presse so klar in Erscheinung, nicht immer ließen sie sich so frei und ohne Hemmungen erfüllen, wie heute.“

Rückblick auf verbotenes Bergedorf-Sander Volksblatt mit einem Schuss Nostalgie

Es folgt das Kunststück, die Bergedorfer Zeitung als „überparteilich“ zu beschreiben, gleichzeitig aber als ein Blatt, das eine „folgerichtige politische Linie verfolgt“. Konkret nämlich, „dass unser deutsches Volk aus dem Sumpf des Parteiunwesens herausgeführt und zu einer großen nationalen und sozialen Einheit zusammengeschweißt werde“ – nämlich zum Nationalsozialismus.

Auch das seit sechs Monaten verbotene Bergedorf-Sander Volksblatt der SPD wird erwähnt, eingangs sogar mit einem Schuss Nostalgie: „Unsere zahlreichen, oft recht gepfefferten Auseinandersetzungen mit dem Volksblatt unseligen Angedenkens beweisen es schlagend: Wir unterließen es zu keiner Zeit, die Krebsschäden dessen marxistischer Weltanschauung klar und deutlich anzuprangern und ins hellste Tageslicht zu stellen.“

Chefredakteur Müller stellt 50 Jahre bz als Steigbügelhalter der Nazis dar

Es folgt die Seite mit dem eigentlich größten Skandal: Geschmückt mit den Porträts von bz-Gründer Eduard Wagner († 1909), seinem Schwiegersohn und langjährigem Chefredakteur Wilhelm Bauer († 1927) und dem in zweiter Generation amtierenden Verlagsleiter Richard Wagner wirkt sie wie ein typischer Rückblick. Tatsächlich aber wird die gesamte 50-jährige Geschichte der Bergedorfer Zeitung in den Dienst Adolf Hitlers gestellt.

Theodor Müller bringt es als „Hanns Lotz“ sogar fertig, den schon seit den ersten drei Probenummern im September 1883 geprägten Slogan der „Bergedorfer Zeitung als Heimatblatt im besten Sinne“ zur Keimzelle der Begeisterung der Bergedorfer für das Dritte Reich zu erklären: „Der nationalsozialistische Staat, die deutsche Zeitenwende sind vollendete Tatsachen. Was wir alle mit heißem Herzen ersehnt, ist jetzt herrliche Wahrheit geworden!“

Zum Abschluss: Ewiger Schwur auf Hitlers Gedankengut

Abschließend heißt es: „Die Bergedorfer Zeitung wird als getreuer Mithelfer am Werk Adolf Hitlers jenes Gedankengut in ihre Leserschaft hineintragen, das berufen ist, unsere Volksgemeinschaft mit dem Geiste brüderlichen Sichverstehens und segenbringender Gemeinschaftsarbeit im Dienst der Nation zu erfüllen.“

Titelseite der Bergedorfer Zeitung nach der letzten Reichstagswahl von 5. März 1933: Klare politische Aussagen für Hitler und die NSDAP.
Titelseite der Bergedorfer Zeitung nach der letzten Reichstagswahl von 5. März 1933: Klare politische Aussagen für Hitler und die NSDAP. © BGZ | Ulf-Peter Busse

Das sollte die Haltung unserer Zeitung bleiben – bis die Nazis sie Ende August 1943 einstellten. Begründung für das Aus: Papiermangel. Vermutlich sollten die Abonnenten der noch immer selbstständigen Bergedorfer Zeitung aber auch endlich auf das parteieigene Hamburger Tageblatt umsteigen.

Weder das, noch die Gleichschaltung der Zeitungen insgesamt kam bei den Lesern übrigens gut an: Überlieferte Leserbriefe bringen unmissverständlich große Verärgerung über das Aus der bz zum Ausdruck.

Auch insgesamt waren die Bürger gelangweilt von der eintönigen, von Reichspropagandaminister Joseph Goebbels vorgegebenen Berichterstattung. Die Auflagen der Zeitungen gingen stetig zurück – auch wegen des staatlich verordneten Siegeszugs des Radios, das als Volksempfänger der Nazi-Propaganda Eingang in zahlreiche Wohnstuben fand. Bis zum Ende des Krieges waren 80 Prozent der noch existierenden Zeitungen im Besitz zweier Nazi-Verlage, die sie vor der drohenden Insolvenz „gerettet“ hatten.